Frage an Henning Otte von Andreas W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Otte,
ich habe heute in den Medien gelesen (Spiegel Online, Artikel: Unionspolitiker fordern mehr Geld für die Bundeswehr), dass Sie eine Aufstockung des Verteidigungsetats fordern, um der aktuellen Bedrohungslage angemessen begegnen zu können. Ich bin durchaus auch der Meinung, dass die Bundeswehr vernünftig ausgestattet sein muss. Allerdings glaube ich nicht, dass es finanziell auch nur im Entferntesten möglich sein wird, die Bundeswehr in eine Lage zu versetzen, dass diese als relevanter oder ernst zu nehmender Akteur in den vielfältigen internationalen Krisenherden, die sich in der letzten Zeit leider immer zu Tage kommen, auftreten kann.
Wäre es nicht endlich an der Zeit eine gesamteuropäische Lösung zur suchen, die den Namen auch verdient? Es ist doch eine Ressourcenverschwendung ohne Gleichen, wenn in der EU 28 kleine "Süppchen" gekocht werden als eine vernünftige große. Es mag ja sein, dass es bereits vielfältige Kooperationen auf verteidigungspolitischer Ebene in der EU gibt, aber mal im Ernst: Das ist, bei allem Respekt, doch nichts Halbes und nichts Ganzes. Ist es nicht endlich an der Zeit eine ernsthafte Bewegung anzustoßen, dass es auf mittelfristige Sicht nur noch ein europäisches Außen- und ein europäisches Verteidigungsministerium sowie eine gemeinsame europäische Armee gibt?
Für Ihre Antwort bedanke ich mich bereits im Voraus und verbleibe mit den besten Grüßen.
Andreas Waldraff
Sehr geehrter Herr Waldraff,
Herzlichen Dank für Ihre Anfrage vom 05. September 2014 auf AbgeordnetenWatch.de, in der Sie andeuten, dass Sie die Bundeswehr, selbst bei besserer finanzieller Ausstattung, nicht in der Lage sehen ein „relevanter Akteur“ bei der Bewältigung aktueller Krisen zu sein.
Dieser Auffassung muss ich widersprechen, da die Bundeswehr schon heute substantielle Beiträge bei der Bewältigung internationaler Krisen leistet. Gegenwärtig engagiert sich die Bundeswehr an 15 Missionen weltweit. Der größte Einsatz deutscher Streitkräfte ist der Einsatz in Afghanistan. Als drittgrößter Truppensteller haben wir uns zeitweise mit bis zu 4715 Soldatinnen und Soldaten an der Mission beteiligt. Das Engagement in Afghanistan hat in den letzten 12 Jahren dazu beigetragen, die Sicherheitslage im Norden des Landes, dem Verantwortungsbereich der Bundeswehr, spürbar zu verbessern. Dies wird schon alleine daran deutlich, dass große Teile der Bevölkerung mittlerweile enormes Vertrauen in die Bundeswehr setzen und diese Menschen nicht mehr, wie vor 12 Jahren von den Taliban terrorisiert werden. Weiterhin zeigen auch andere Einsätze der Bundeswehr, dass diese ein relevanter Akteur ist. Die Piratenangriffe auf Handelsschiffe am Horn von Afrika sind seit dem Beginn der europäischen Mission ATALANTA, bei welcher die Bundeswehr mit zumeist einer Fregatte und Fähigkeiten zur Seefernaufklärung, sowie rund 330 Soldaten beteiligt ist, deutlich zurückgegangen. Die mehrmalige Führung der Mission Atalanta durch Deutschland unterstreicht abermals die Relevanz der Bundeswehr bei der internationalen Krisenbewältigung.
Die Zusammenarbeit mit den europäischen und transatlantischen Partnern funktioniert gut, wie die bereits angeführten Einsätze zeigen, da hier der Erfolg natürlich nur durch das Zusammenwirken der einzelnen Nationen eintreten konnte.
Die von Ihnen angesprochene Europa-Armee stellt ein an sich interessantes Konzept dar, durch welches tatsächlich teilweise Doppelstrukturen beseitigt werden und vorhandene Budgets effizienter genutzt werden könnten. Allerdings wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass dieser Ansatz deutlich komplexer und problembehafteter bzw. zur Zeit nicht durchführbar ist.
Die Idee der Europa-Armee entstand bereits 1950, als der damalige französische Premierminister René Pleven vorschlug die deutsche Wiederbewaffnung solle im Rahmen einer europäischen Armee unter dem Kommando eines europäischen Verteidigungsministers stattfinden. Dieser Plan scheiterte jedoch auch schon damals an diversen politischen Realitäten, wie den französischen Bestrebungen den deutschen Einfluss in dieser neu zu schaffenden Institution extrem zu begrenzen oder dem Interesse der USA keinen weiteren Akteur im Bereich der gemeinsamen Verteidigung neben der NATO zu zulassen. Auch Deutschland war damals nicht bereit dem Pleven-Plan in seinen Details zuzustimmen.
Alleine dieser historische Abriss in Verbindung mit den zähen politischen Verhandlungen in den folgenden Jahrzehnten, welche teilweise auch zu den von Ihnen angesprochenen Integrationsschritten führten, zeigt dass eine europäische Armee aufgrund verschiedener Interessenlagen der Nationalstaaten mittelfristig eher unwahrscheinlich ist.
Des Weiteren gibt es auch zahlreiche Herausforderungen, die sich bei einer europäischen Armee zwangsläufig ergeben würden, welche unterhalb der politischen Ebene liegen. Allerdings müssen auch gerade diese Probleme beachtet werden, wenn man eine europäische Armee fordert.
Zum Beispiel stellt der rechtliche Status der Soldaten in einer europäischen Armee ein erhebliches Problem dar, weil in den 28 Mitgliedsstaaten der Union teilweise große Unterschiede im Dienst- und Disziplinarrecht für Soldaten bestehen. Es wird nun aber in der Realität kaum zu vermitteln sein, dass beispielsweise ein Soldat in einer europäischen Armee längere Wochenarbeitszeiten hat, nur weil er aus Deutschland kommt und nicht aus Dänemark. Eine ähnliche Problematik stellen die vielen unterschiedlichen Muttersprachen der Soldaten dar. Man kann nicht von jedem Soldaten verlangen, dass er eine Fremdsprache so perfekt beherrscht, dass er gegebenenfalls auch noch im Gefecht problemlos kommunizieren kann.
Ein weiteres sehr großes Hindernis bei der Schaffung europäischer Streitkräfte unter einem europäischen Verteidigungsminister, wie Sie es vorschlagen, stellt für mich der deutsche Parlamentsvorbehalt dar. Dieser stellt ein einmaliges Prinzip des Deutschen Politiksystems dar und sollte auf keinen Fall ausgehöhlt werden, da der Bundestag in Deutschland die höchste demokratische Legitimation besitzt und daher auch aufgrund des Grundgesetzes die Kompetenz über den Einsatz deutscher Streitkräfte keinesfalls verlieren darf. Genau diese Problematik würde sich jedoch ergeben, wenn man eine europäische Armee schaffen würde. Wer kontrolliert diese? Das Europäische Parlament? Oder kann ein Veto aus einem einzigen Mitgliedsstaat die Handlungsfähigkeit aller blockieren? Alle diese Fragen sind nicht hinreichend geklärt, um zu diesem Zeitpunkt ernsthaft eine europäische Armee zu fordern. Ansonsten könnte es noch zu der Situationen kommen, dass deutsche Soldaten in Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent eingesetzt werden, in denen Frankreich seinen Verpflichtungen als ehemalige Kolonialmacht nachkommt und das, ohne dass jemals ein deutscher Abgeordneter mit diesem Einsatz befasst war. Diese Problematik wird noch durch den Umstand bestärkt, dass Frankreich und Großbritannien darauf beharren ihre Streitkräfte auch weiterhin als Instrument der Exekutive zu nutzen.
Aus allen diesen genannten Gründen sehe ich die Zeit nicht gekommen eine „ernsthafte Bewegung“ in Richtung einer europäischen Armee anzustoßen. Auf diesem Gebiet bestehen jedoch auch alternative Konzepte, mit denen die Durchsetzungsfähigkeit der NATO-Staaten und damit auch die Relevanz der Bundeswehr noch gesteigert werden können.
Eines dieser Konzepte stellt das „Framwork-Nations-Concept (FNC)“ dar. Dieses Konzept der NATO sieht vor, dass zukünftig mehrere Nationen freiwillig einen „Cluster“ bilden, in dem die militärische Zusammenarbeit zwischen den Partnern besonders eng und abgestimmt erfolgt, um insgesamt mehr Fähigkeiten vorhalten zu können. Innerhalb dieser Cluster sieht das FNC jeweils eine Rahmennation vor, welche über ein breites Fähigkeitsspektrum verfügt und somit den „Rahmen“ für die Integration kleinerer und spezialisierterer Staaten bilden zu können.
In diesem Konzept fällt Deutschland die Rolle einer solchen Rahmennation zu, weshalb auch im Zuge der aktuellen Neuausrichtung der Bundeswehr die Maxime „Breite vor Tiefe“ gilt. So verfügt die Bundeswehr weiterhin über vielseitige Aufnahme- und Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Nationen bestehen. Breite vor Tiefe charakterisiert dabei den Anspruch, auch weiterhin ein möglichst umfassendes Fähigkeitsspektrum aufrecht zu erhalten und eher Abstriche bei der Durchhaltefähigkeit in Kauf zu nehmen, weil diese auch durch die Unterstützung von Partnernationen erreicht werden kann. Außerdem kommt Deutschland in dieser Weise seiner erhöhten Verantwortung als stärkste Wirtschaftsnation in der Mitte Europas nach, indem es die Zusammenarbeit mit den Partnerstaaten koordiniert und Fähigkeiten abbildet an die sich kleinere Staaten anlehnen können. Ein Beispiel für dieses Modell stellt aktuell die Unterstellung der 11. Luftbeweglichen Brigade der Niederlande unter die deutsche Division Schnelle Kräfte seit dem 13. Juni 2014 dar.
Das FNC wird von der CDU/CSU Fraktion befürwortet, da es Vorteile gegenüber anderen Ansätzen aufweist. Die Partnernationen behalten hierbei die Souveränität über ihre Streitkräfte und können gleichzeitig ein breiteres Fähigkeitsspektrum aufrechterhalten, ohne dass die Kosten, gerade für kleinere Staaten, zu hoch werden. Zudem können so Doppelstrukturen reduziert werden.
Vor dem Hintergrund der aktuellen sicherheits- bzw. außenpolitischen Lage, hat eine politische Diskussion über den Verteidigungshaushalt durchaus Sinn. Wir brauchen eine Armee, die stets die richtigen Antworten auf aktuelle sicherheitspolitische Herausforderungen bereit hält. Deutschland übernimmt in der Welt mehr Verantwortung.
Hierzu müssen wir unseren Soldaten stets das beste Rüstzeug an die Hand geben, um weltweit für Deutschlands Sicherheitsvorsorge einzutreten. Das sind wir unseren Soldaten und deren Familien schuldig.
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen zufriedenstellend beantworten konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Henning Otte MdB