Frage an Helmut Brandt von Brigitte F. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Brandt,
wie wollen Sie ein ja zur Griechenlandunterstützung rechtfertigen?
Der vorherige Kredit hat auch nicht die Verhältnisse in Griechenland verbessert.
Zum Dank gibt es jetzt Boykottdrohungen gegen deutsche Produkte.
Ich glaube nicht, dass Griechenland durch den Kredit selbständig wird und die Wirtschaft wieder anspringt.
Mit freundlichen Grüssen
B. Fehrenbacher
Sehr geehrte Frau Fehrenbacher,
vielen Dank für Ihre Email vom 16. Juli dieses Jahres.
Erlauben Sie mir, zunächst folgendes klarzustellen: Wir haben in dieser Woche im Deutschen Bundestag über die Aufnahme konkreter Verhandlungen zur Ausgestaltung eines dritten Hilfs- und Anpassungsprogramms für Griechenland zu entscheiden - nicht über den Start eines solchen Programms und die Auszahlung von Mitteln selbst. Hierzu bedürfte es einer gesonderten Entscheidung.
Dennoch kann ich Ihre Sorge sehr gut verstehen. Die Euro-Staaten sowie alle Mitglieder des Internationalen Währungsfonds haben in den vergangenen Jahren 240 Milliarden Euro bereitgestellt, um die dringend notwendigen Reformen in Griechenland zu unterstützen und Griechenland einen Verbleib in der Eurozone zu ermöglichen. Bedauerlicherweise hat die Regierung Tsipras den unter der Vorgängerregierung begonnenen Reformprozess abgebrochen und damit das Vertrauen in Griechenlands Reformbereitschaft und -fähigkeit aufs Spiel gesetzt.
Weitere finanzielle Hilfen kann es deshalb nur geben, wenn erkennbar ist, dass die als notwendig erkannten Reformen nun endlich vorangebracht werden. Dazu bedarf es eines belastbaren Rückhaltes im Parlament. Dass das griechische Parlament vorgestern den von den Staats-und Regierungschefs verabschiedeten Ansatz in Gänze gebilligt hat, sehe ich als ein gutes Zeichen. Darüber hinaus hat das griechische Parlament vorgestern erste konkrete Maßnahmen aus der Vereinbarung der Staats- und Regierungschefs gesetzgeberisch umgesetzt. Dazu zählen
- Verbesserungen bei der Erhebung der Mehrwertsteuer,
- eine reduzierte Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze,
- Maßnahmen zur Verbesserung der finanziellen Nachhaltigkeit des Rentensystems,
- das Entlassen der griechischen Statistikbehörde in die Unabhängigkeit
- die vollständige Umsetzung des europäischen Fiskalvertrages.
Die jetzt im griechischen Parlament verabschiedeten Maßnahmen enthalten zudem halbautomatische Ausgabenkürzungen für den Fall einer drohenden Abweichung von den vereinbarten Haushaltszielen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Umsetzungsrisiken vereinbarter Haushaltsziele im Verantwortungsbereich Griechenlands bleiben und nicht auf die europäischen Steuerzahler überwälzt werden.
Bis zum 22. Juli sollen ferner Maßnahmen für eine leistungsfähigere und effizientere zivile Gerichtsbarkeit auf den Weg gebracht sowie die europäische Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken vollständig in griechisches Recht umgesetzt sein. Die für ein drittes Griechenlandprogramm mit den Institutionen auszuhandelnde Vereinbarung soll überdies
- eine grundlegende Rentenreform,
- umfangreiche Öffnungen stark regulierter Wirtschaftszweige entsprechend der Empfehlungen der OECD,
- eine Liberalisierung der Energiemärkte,
- einen Umbau der Arbeitsmarktregulierung zugunsten eines nachhaltigeren und inklusiveren Wachstums und
Maßnahmen zur Sanierung des griechischen Finanzsektors einschließlich eines Stärkens seiner Unabhängigkeit vom griechischen Staat enthalten.
Vorgesehen ist zudem, dass Griechenland bis zum 20. Juli Vorschläge für eine grundlegende Verwaltungsreform vorlegt, deren Ziel mehr Leistungsfähigkeit und Unabhängigkeit von der Politik ist. Griechenland hat zugesagt, die hierzu von der Europäischen Union und den internationalen Organisationen angebotene Beratung und Unterstützung anzunehmen.
Von zentraler Bedeutung für die Erfolgschancen eines möglichen dritten Programms sind die getroffenen Vereinbarungen zum Umgang zwischen Hilfeersuchenden und Hilfeleistenden:
Die griechische Regierung und das griechische Parlament haben zugestimmt, künftig wieder vorbehaltlos mit den Institutionen zusammenarbeiten, was auch Programmüberprüfungen vor Ort einschließt. Der IWF mit seiner großen Expertise bei Länder-Reformprogrammen bleibt weiterhin im Boot. Das war uns ein besonders wichtiges Anliegen. Ohne den IWF geht es nicht. Darüber hinaus kommen die Gesetze auf den Prüfstand, mit denen die neue griechische Regierung bereits umgesetzte Vereinbarungen aus dem zweiten Hilfsprogramm rückabgewickelt hat.
Ein neues Programm kann frühestens in einigen Wochen starten. Für die Zwischenzeit ist eine "Brückenfinanzierung" erforderlich. Die Eurogruppe hat sich hierzu heute auf eine Lösung verständigt. Griechenland soll zunächst rückzahlbare Mittel aus dem Europäischen Haushalt über den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) erhalten. Die Nicht-Euro-Staaten werden vom Ausfallrisiko freigestellt, indem ihr rechnerischer Anteil durch zurückgehaltene Überweisungen aus den Zinsgewinnen der Zentralbanken aus griechischen Staatsanleihen besichert wird. Die hierfür notwendige Zustimmung des Deutschen Bundestages wird beantragt.
Sollte ein drittes Hilfsprogramm nicht zustande kommen und dadurch die Rückzahlung des EFSM-Darlehens gefährdet sein, wird die Europäische Kommission sicherstellen, dass das Risiko hierfür ausschließlich bei Griechenland bleibt und Instrumente zum Schutz des EU Haushalts einsetzen, etwa indem Forderungen Griechenlands gegenüber dem EU Haushalt mit dem Rückzahlungsanspruch des EFSM verrechnet werden. Auf diese Weise bleibt das finanzielle Risiko für die Euro-Staaten begrenzt. Ich halte die jetzt gefundene Lösung für vertretbar. Die Alternative eines sofortigen Programmstartes ohne die vereinbarten Sicherheiten in der Umsetzung der Programmvereinbarungen wäre hingegen nicht akzeptabel.
Die Vereinbarungen der Staats- und Regierungschefs vorn 12./13. Juli eröffnen eine neue Chance auf Einigung mit Griechenland. Sollte der Deutsche Bundestag zustimmen, werden wir in Verhandlungen über ein drittes Hilfsprogramm eintreten. Unser Ziel bleibt die immer engere Einigung Europas. Dazu zählt auch eine stabile Währungsunion. Der Erfolg dieses Projekts liegt in unser aller Interesse.
Mit freundlichem Gruß
Helmut Brandt