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Helge Lindh
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Frage von Kevin E. •

Wie stehen Sie zur Gefahr der Einflussnahme des politischen Islams in Deutschland, einer Ideologie, die sich durch eine antisemitische und antidemokratische Grundhaltung kennzeichnen lässt?

In dem Buch Politischer Islam – Stresstest für Deutschland gibt Susanne Schröter (Universität Frankfurt) folgende Definition:

„Der politische Islam ist eine Herrschaftsordnung, die einen fundamentalen Gegenentwurf zu Demokratie, Pluralismus und individuellen Freiheitsrechten darstellt. Seine Vertreter streben die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft anhand islamischer Normen an.“

Mouhanad Khorchide (Universität Münster) als Leiter des wissenschaftlichen Beirates der Dokumentationsstelle Politischer Islam in Österreich definiert den „Politischen Islam“ folgendermaßen:

„Herrschaftsideologie, welche die Umgestaltung bzw. Beeinflussung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von solchen Werten und Normen anstrebt, die von deren Verfechtern als islamisch angesehen werden, die aber im Widerspruch zu den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates und den Menschenrechten stehen."

https://de.wikipedia.org/wiki/Politischer_Islam

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr E.,

vielen Dank für ihre Frage. Erlauben Sie mir bitte zunächst die Anmerkung, dass der Begriff „politischer Islam“, anders als die von Ihnen angeführten Zitate suggerieren, mitnichten derart unumstritten und eindeutig verwendet wird. Erlauben Sie mir deshalb bitte eine differenziertere Antwort zu geben.

Sofern Sie unter „politischen Islam“ salafistische und extremistische Ausprägungen des Islam fassen, gilt hier die gleiche Position wie für alle verfassungsfeindlichen Strömungen in unserer Gesellschaft: Wir benötigen eine strenge rechtsstaatliche Verfolgung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen, sicherheitspolitische Vorkehrungen, um mögliche Anschläge zu verhindern und Präventionsarbeit, um Radikalisierung zu verhindern. Dies betrifft salafistische Gruppen genauso wie rechts- und linksextremistische.

Gleichwohl erlaube ich mir die Anmerkung, dass ich die Verwendung des Begriffs „politischer Islam“ grundsätzlich für analytisch wenig sinnvoll halte. Seine Verwendung suggeriert, dass jedes politische Engagement von Islamverbänden eine verdächtige Handlung darstelle. Das ist mitnichten der Fall. Islamverbände haben das gute Recht – genauso wie Kirchen und jüdische Verbände – ihre Positionen und die Interessen ihrer Mitglieder in den politischen Diskurs einzubringen, sofern sie sich mit den grundgesetzlichen Rahmenbedingungen vertragen. Auch die Kirche und der Zentralrat der Juden machen von diesem Recht ausgiebig und richtigerweise Gebrauch.

Der Begriff „politische Islam“ droht dabei eine gesamte Religionsgemeinschaft unter Verdacht zu stellen. Dieser Generalverdacht verschärft die Probleme und verhindert gerade ein gegenseitiges Zuhören und das Entwickeln von Verständnis. Dieser weitverbreitete Generalverdacht führt immer noch dazu, dass die deutsche Gesellschaft in Teilen unfähig ist, mit den Opfern von Gewalt – wie etwa in Hanau, aber auch jüngst in Halle und auf dem Friedhof von Iserlohn – zu trauern, wenn sie muslimischer Glaubenszugehörigkeit sind. Stereotypisierende Kategorien helfen beim gesellschaftlichen Dialogprozess mitnichten weiter. Susanne Schröter ist eine bekannte, renommierte Wissenschaftlerin, deren Thesen zum Islam aber auch innerhalb der Wissenschaft umstritten sind und teilweise erheblichen Widerspruch erfahren.

Vor diesem Hintergrund sehe ich selbstverständlich die Gefahr religiösen Extremismus, halte aber wenig davon, jede politische Aktivität von Islamverbänden mit dem Begriff „politischer Islam“ unter Generalverdacht zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen

Helge Lindh, MdB

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