Frage an Helga Trüpel von Karl-Jürgen H. bezüglich Kultur
Sehr geehrte Frau Dr. Trüpel,
der türkische Ministerpräsident hat auf seiner Rede in Köln gefordert, die kulturelle Identität der türkisch stämmigen Migranten in Europa nicht aufzugeben. Dabei hat er Assimilierung als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet und forderte entsprechende Unterstützung türkisch stämmiger Migranten durch türkische Schulen und Hochschulen in Deutschland (Quelle: tagesschau.de vom 11.8.2008).
Ich gehe davon aus, dass die Türkei irgendwann Vollmitglied der EU oder einem Vollmitglied weitgehend gleichgestellt sein wird. Daher zeichnet sich hier eine sehr grundsätzliche Fragestellung für die EU ab und ich würde mich freuen, wenn Sie dazu Stellung nehmen könnten.
Entspricht es Ihrer Vision von Europa, innereuropäischen Migranten die Wahrung ihrer bisherigen kulturellen Identität auf dem Boden beliebiger anderer EU-Mitglieder aktiv zu ermöglichen – auch wenn sie sich dort für immer niederlassen wollen?
Oder stellen Sie sich eine EU vor, die der kulturellen Einheit in den Gesellschaften seiner Mitglieder Vorrang gewährt?
Gibt es hierzu bereits eine Meinungsbildung innerhalb der EU-Institutionen?
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Jürgen Hanßmann
Sehr geehrter Herr Hanßmann,
vielen Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an der Integration von Migranten. Für die gesamte EU wie auch für Deutschland ist Integration von zentraler Bedeutung und wird in der Zukunft noch wichtiger werden. Türkisch stämmige Migranten spielen hierbei besonders in Deutschland natürlich eine große Rolle.
Generell muss erfolgreiche Integration immer auf einer gesunden Ausgewogenheit zwischen der Bewahrung der eigenen Kultur und der An- und Aufnahme der neuen Kultur basieren. Diese Balance sicherzustellen ist Aufgabe nicht nur der Migranten selbst, sondern ebenso sehr Verantwortung des aufnehmenden Staates.
Im konkreten Fall ist es daher von großer Bedeutung, dafür zu sorgen, dass Migranten in Deutschland Unterstützung erhalten, um ihre eigene Kultur, wie z.B. ihre Sprache, aufrechtzuerhalten und an ihre Kinder weiterzugeben. Gleichzeitig darf dies aber auch nicht heißen, dass sich Migranten nicht für die neue Gesellschaft öffnen und nicht von sich aus Anstrengungen unternehmen, sich zu integrieren. Hier ist der Staat wieder gefordert, in dem er Angebote, z.B. zum Erlernen der Sprache, schaffen und diese gegebenenfalls auch verpflichtend machen muss. So muss z.B. unbedingt sichergestellt werden, dass Kinder von Migranten im Kindergarten / in der Grundschule Deutsch lernen. Ohne diese Vorraussetzung sind sie ihr gesamtes Leben benachteiligt - wie die jüngsten Pisastudien wieder einmal herausstellen.
Der Kommentar des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, den Sie in Ihrer Frage erwähnen, geht meiner Meinung nach jedoch in die falsche Richtung. Abgesehen vom verfehlten Ton, geht es in der Integrationsthematik nicht um die Frage ´entweder Assimilation oder eigene Identität´. Wie oben beschrieben muss stattdessen eine gesunde Balance zwischen der Kultur des Herkunftslandes und der des neuen Landes geschaffen werden. Dass dies kein einfacher Prozess ist, ist klar; dass dieser Prozess deutlicher Unterstützung des deutschen Staates benötigt ist ebenso klar. Gerade dieser Prozess ist allerdings für Deutschland von enormer Bedeutung und bereichert die deutsche Kultur in großem Maße. Insofern sollten wir alle größtmöglichen Anstrengungen unternehmen, um sicherzustellen, dass die Integration von Migranten in Deutschland erfolgreich verläuft.
Mit freundlichen Grüßen,
Helga Trüpel