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Helga Trüpel
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Frage von Thomas R. •

Frage an Helga Trüpel von Thomas R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dr. Trüpel,

eigentlich paßt TTIP ebenso zu den abgeordnetenwatch-Themen Arbeit, Gesundheit, Finanzen, Internationales, Soziales, Umwelt, womit die Bedeutung von TTIP schon belegt ist.

Ich verfolge die Vertragsverhandlungen zu TTIP -- soweit das überhaupt möglich ist -- mit großer Sorge. M.E. bedeutet TTIP wegen ISDS den Ausverkauf der Demokratie an internatrional agierende Konzerne. Die EU-www-Seiten geben keine klare Auskunft: laut EU wird selbstverständlich das Recht der Staaten, Regelungen zu Umwelt-, Arbeits-, Gesundheitsschutz usw. nicht beschnitten. Natürlich nicht, weil die Staaten, d.h. die Steuerzahler eben für die den Konzernen durch staatliche Regelungen angeblich entgangenen Profite aufkommen müssen (vgl. Vattenfall, vgl. CETA). Vor diesem Hintergrund meine Fragen:

Wieso sind die Verhandlungen, insbesondere die Verhandlungsmandate geheim?
Wieso sind vornehmlich Lobbyisten und kaum Vertreter von NGOs einbezogen?
Wie steht das EU-Parlament zu TTIP und zum Verfahren?
Wieso empören sich nur die üblichen Verdächtigen wie attac, campact, greenpeace, MehrDemokratie, Umweltinstitut München?
Wieso eiern die Grünen (auf dem Parteitag) herum?
Was hat man aus NAFTA, was aus (dem Scheitern von) MAI (auch unter Ausschluß der Öffentlichkeit ausgehandelt) gelernt?
Kann ich noch zur Europa-Wahl gehen, wo ich mich nur verschaukelt sehe?

MfG ThR

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dr. Risse,

1. Wieso sind die Verhandlungen, insbesondere die Verhandlungsmandate geheim?

Das Hauptargument für die Geheimhaltung besteht darin, dass die Verhandlungsstrategie nicht offengelegt werden soll. Wir Grüne haben dies von Anfang an vehement kritisiert. Auch die Bundesregierung schließt sich leider der Argumentation an, dass es für den Erfolg der Verhandlungen grundsätzlich einer gewissen Vertraulichkeit bedarf. Dieses Argument ist scheinheilig, denn es wird ja noch nicht einmal der aktuelle Verhandlungstext öffentlich gemacht, der bereits beiden Seiten vorliegt. Vor diesem Hintergrund hat der Rat, also auch die Bundesregierung, bewirkt, dass das offizielle Verhandlungsmandat der Kommission vor den Bürgerinnen und Bürgern Europas als geheim eingestuft bleibt. Dieses Vorgehen ist durchaus etwas Besonderes: Selbst bei den Verhandlungen um WTO Abkommen oder auch internationale Klimaabkommen werden vergleichbare Dokumente der Öffentlichkeit zugängig gemacht. Der charakteristische Mangel an demokratischer Kontrolle und Transparenz dieser Verhandlungen ist für uns Grüne nicht akzeptabel. Deshalb haben wir ein zugespieltes Dokument über das Verhandlungsmandat der EU- Kommission öffentlich gemacht.

2. Wieso sind vornehmlich Lobbyisten und kaum Vertreter von NGOs einbezogen?

Wir Grüne sind gegen die einseitige Einflussnahme der Wirtschaftslobby, da wir befürchten, dass gerade nichttarifäre Handelshemmnisse auf Kosten von Produktsicherheit, Verbraucherinnenschutz, Nahrungssicherheit, Umweltweltschutz, Sozialstandards und kultureller Vielfalt abgebaut werden sollen. Daher setzen wir Grüne uns dafür ein, dass Nichtregierungsorganisationen, die Zivilgesellschaft, nationale Parlamente sowie das Europäische Parlament stärker in den Verhandlungsprozess einbezogen werden.
Eine Anfrage der lobbykritischen Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory an die EU Kommission bestätigt, dass es sich bei 93% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Vorbereitungstreffen zu den TTIP-Verhandlungen um Interessensvertreterinnen großer Konzerne und ihre Lobbygruppen gehandelt hat. Auch wenn die EU-Kommission mittlerweile betont, die Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen miteinzubinden, ist das Verhältnis der Interessensgruppen noch immer eindeutig wirtschaftsfreundlich ausgerichtet.

3. Wie steht das EU-Parlament zu TTIP und zum Verfahren? Wieso empören sich nur die üblichen Verdächtigen wie attac, campact, greenpeace, MehrDemokratie, Umweltinstitut München?

Die Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments erwartet durch das Abkommen - angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise, der Lage der Finanzmärkte, der hohen Staatsverschuldung und der hohen Arbeitslosenquoten - , eine Ankurbelung der Wirtschaft in Europa und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Daher hatte im Mai 2013 die Mehrheit im Parlament dafür gestimmt, die Verhandlungen über das TTIP mit den USA aufzunehmen. Mittlerweile äußern sich jedoch selbst manche konservative Abgeordnete kritisch, insbesondere was die mangelnde Transparenz angeht, aus Grüner Sicht jedoch nicht genügend. Auch am wirtschaftlichen Nutzen des Abkommens gibt es mittlerweile erhebliche Zweifel. Wir Grüne und die Linke stimmten gegen die Entschließung. Stattdessen hatten wir Grüne eine Alternative Resolution eingereicht, mit den Kernforderungen vollständiger Transparenz der Verhandlungen, der Einhaltung und Erhöhung von Standards im Gesundheits- und Umweltschutz, in der Produktsicherheit und im Datenschutz. Außerdem fordern wir, dass öffentliche Aufträge und die Daseinsvorsorge aus dem Verhandlungsmandat ausgeschlossen bleiben, ebenso wie der Kultur- und audiovisuelle Bereich.

4. Wieso eiern die Grünen (auf dem Parteitag) herum?

Die Grünen haben nicht herumgeeiert, sondern beschlossen, dass die Verhandlungen unter den gegenwärtigen Bedingungen abgebrochen werden sollen und es einen Neuanfang unter voller Transparenz geben soll.

5. Was hat man aus NAFTA, was aus (dem Scheitern von) MAI (auch unter Ausschluß der Öffentlichkeit ausgehandelt) gelernt?

Aus grüner Sicht wurden aus dem Multilateralen Investitionsabkommen und dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen nicht genug Konsequenzen gezogen. Am Beispiel Mexiko sind die negativen Folgen besonders deutlich geworden. Das Versprechen, durch NAFTA zigtausende Jobs und Wachstum zu schaffen, ist nicht eingelöst worden, im Gegenteil. Neben den 500.000 entstandenen Niedriglohnjobs im Industriebereich sind in der Landwirtschaft 1,3 Mio. Arbeitsplätze verloren gegangen. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Mexiko liegt heute unter dem Niveau vor NAFTA. Alarmierend für uns Grüne sind die Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren, die für NAFTA charakteristisch sind und auch im TTIP verankert werden sollen. Wir Grüne lehnen diese privaten Investor-Staat- Schiedsgerichte vehement ab.

6. Kann ich noch zur Europa-Wahl gehen, wo ich mich nur verschaukelt sehe?

Sie sollten unbedingt an der Europa-Wahl teilnehmen und die Kräfte stärken, die für eine volle Transparenz der Verhandlungen eintreten. Gerade am Beispiel TTIP wird umso deutlicher, welche Sorgen - zu Recht - die Bürgerinnen und Bürger umtreiben. Mit Ihrer Wahl können Sie aber Ihre Rechte stärken und einen wesentlichen Beitrag für ein demokratisches Europa leisten.

Mit freundlichen Grüßen,

Helga Trüpel