Frage an Helga Trüpel von Klaus A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Fr. Dr. Trüpel,
mir ist leider nicht bekannt, welche Diskussionen innerhalb des EP zu den als "Revolution" von Ministerpräsident Orban bezeichneten Gesetzesvorhaben bzw. bereits verabschiedeten Gesetzen stattfinden. Immerhin war der Protest eines Teiles des Parlamentes zur Rede des neuen Ratspräsidenten gerechtfertigt und erfreulich. Mir scheint jedoch, dass sich die Diskussion auf die beiden Mediengesetze der konservativen Regierung verengt. Immer häufiger muss ich lesen, dass Wissenschaftler, Künstler, Publizisten, Schriftsteller in ihrer Arbeit behindert, schikaniert werden, ja sogar auf sogenannten schwarzen Listen erwähnt werden. Orban nahestehende Journalisten hetzen in schlimmster Weise.
Welche Schritte gedenken Sie, Ihre Fraktion, insbesondere aber das EP gegen die Aushöhlung demokratischer Rechte in Ungarn zu unternehmen? Wie will Europa Meinungsfreiheit und Grundrechte gegenüber z.B. Weissrussland, Usbekistan einfordern, wenn einer der höchsten europäischen Repräsentanten diese mit Füssen tritt?
Nebenbei: Zeigt sich hier nicht auch ein Konstruktionsfehler im Vertrag von Lissabon? Warum ist ein Ratspräsident auf Zeit (6 Monate) neben einem "dauerhaft" gewählten Ratspräsidenten notwendig?
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Klaus Albrecht
Sehr geehrter Herr Albrecht,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Im Europäischen Parlament gibt es durchaus Diskussionen, aber aus meiner Sicht nicht kritisch genug. Letzte Woche gab es in Straßburg eine Anhörung mit dem ungarischen Justizminister Navracsics, bei der auch Kommissarin Kroes teilgenommen hat. Die Fragen konzentrierten sich auf das Mediengesetz. Auch scharfe Kritik wurde geäußert.
Es geht hier um mehr: mich beunruhigt die politische Entwicklung in Ungarn insgesamt. Das umstrittene Mediengesetz ist nur die Spitze des Eisbergs. Zahlreiche liberale Intellektuelle wie Agnes Heller und György Dallos prangern die Repressionen der Fidesz-Regierung gegen Andersdenkende an. Der wachsende Nationalismus und Antisemitismus ist erschreckend. Hier muss das Europäische Parlament politisch deutlich Stellung gegen diese Entwicklung nehmen.
Bei der gestrigen Anhörung der ungarischen Staatssekretäre verpasste der Kulturausschuss diese Gelegenheit. Zu meiner Bestürzung legte die Ausschussvorsitzende den Abgeordneten einen "Maulkorb" um, um eine kritische Diskussion abzuwürgen. Einige Mutige haben dennoch kritische Fragen gestellt. Als Vizepräsidentin des Kulturausschusses und demokratisch gewählte Abgeordnete habe ich mir das Recht nicht nehmen lassen.
Meinungs- und Pressefreiheit gehören zu den Grundwerten der Europäischen Union. Das am 1. Januar in Kraft getretene ungarische Mediengesetz beschränkt und bedroht das Recht, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe weiterzugeben und steht im krassen Widerspruch zu Artikel 11 der Europäischen Grundrechtecharta.
Die Grüne/EFA Fraktion lädt am 1. März die Philosophin und liberale Intellektuelle Agnes Heller in das Europäische Parlament ein. Wir wollen die Diskussion weiterführen, denn es geht um mehr als das Mediengesetz. Hier geht es um die Verteidigung demokratischer Grundwerte und um unsere Glaubwürdigkeit. Wir können nicht Iran und China kritisieren und gleichzeitig in unseren eigenen Reihen die "schwarzen Schafe" walten lassen.
Beste Grüße
Helga Trüpel