Frage an Heinz Golombeck von Jörg W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Golombeck,
die Piraten-Partei fordert, "Religion endlich zu privatisieren". Wie stehen Sie zu einer solchen Aussage?
Sehr geehrter Herr Willy,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Religion privatisieren, welche ich hiermit gerne beantworte. Es gilt bei dieser Frage natürlich auch die föderale Struktur der Bundesrepublik zu berücksichtigen.
Das gegenwärtige Verhältnis von Staat und Religion ist Ergebnis eines jahrhundertelangen Entwicklungsprozesses. Noch zu Zeiten der Gründung der Bundesrepublik und des Inkrafttretens des Grundgesetzes ging es im Wesentlichen um die Rolle der christlichen Kirchen im Staat. Hieraus leitete sich nicht nur der bereits im 19. Jahrhundert geprägte Begriff "Staatskirchenrecht" ab. Eine Folge der besonderen Rolle der christlichen Kirchen ist auch, dass die heute geltenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen teilweise auf diese Religionsgemeinschaften zugeschnitten sind. In Zeiten des religiösen Pluralismus, aber auch einer zunehmenden Säkularisierung und Individualisierung gilt es, das "Staatskirchenrecht" zu einem modernen "Religionsverfassungsrecht" weiter zu entwickeln. Auch hinsichtlich der Religionsgemeinschaften hat der Staat seine Pflicht zur Neutralität und Gleichbehandlung zu beachten und die verfassungsgemäße freie Religionsausübung oder gerade den Verzicht auf Religionsausübung zu gewährleisten. Bei der Weiterentwicklung des "Staatskirchenrechts" hin zum modernen "Religionsverfassungsrecht" ist der Pluralismus in unserer Gesellschaft auch bei ganz konkreten Fragen wie bspw. den Tanzverboten, der Militär- und Anstaltsseelsorge etc. zu berücksichtigen.
Der Sonderweg der Kirchen im Arbeitsrecht ist verfassungsrechtlich garantiert und begründet sich aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht der Weimarer Reichsverfassung. Er bedeutet zum einen, dass die für alle Arbeitgeber geltenden arbeitsrechtlichen Vorschriften (zum Beispiel der Kündigungsschutz) Anwendung finden, aber im Lichte des verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts auszulegen sind. Zum anderen bedeutet er, dass sich die Kirchen eigene Mitarbeitervertretungen und Kollektivregelungen schaffen können und dies auch getan haben. Dem kirchlichen Arbeitnehmer steht also ein an die Besonderheiten des kirchlichen Dienstes angepasster Schutz zu. Dies rechtfertigt sich durch die "Dienstgemeinschaft", wonach alle im kirchlichen Dienst Tätigen dem Auftrag der Kirche verpflichtet sind - der Verkündigung des Wortes Gottes in Wort und Tat. Wie die Kirche diesen Auftrag umsetzt liegt in ihrer Verantwortung. Wir wollen und können nach dem im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Religionsfreiheit den Kirchen nicht vorschreiben, wie sie ihren Auftrag zu erfüllen haben.
Es obliegt dem Landesgesetzgeber, ob und in welcher Form Religionsunterricht an öffentlichen Schulen angeboten wird. Dabei haben sich in den Ländern sehr unterschiedliche Konzepte und Unterrichtsformen herausgebildet. Dementsprechend wird an Berliner Schulen während der regulären Unterrichtszeit kein von den Kirchen mitgetragener Religionsunterricht durchgeführt - in den meisten anderen Bundesländern verhält es sich anders. Diese differenzierte Situation führt dazu, dass unsere Landesverbände sich eine eigene, auf die jeweilige Landesschulgesetzgebung bezogene Position erarbeiten müssen. Dementsprechend hat sich z.B. der Berliner FDP-Landesverband für die Einführung eines Wahlpflichtfaches "Religion" mit der Alternative "Ethik" ausgesprochen, während andere Landesverbände darauf verweisen können, dass ein entsprechendes Angebot bereits existiert.
Mit freundlichen Grüßen
Heinz Golombeck