Frage an Heinz Golombeck von Julius R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Golombeck,
werden Sie dem ESM Vertrag zustimmen? Dieser Vertrag hat totalitären Charakter und sollte Ihrer liberalen Überzeugung unvereinbar gegenüber stehen.
Einige Beispiele
"ARTIKEL 29 (Externe Prüfung)
Der Abschluss des ESM wird von unabhängigen externen Abschlussprüfern geprüft, DIE MIT ZUSTIMMUNG DES GOUVERNEURSRATS BESTELLT WERDEN [...]"
Inwiefern sollen diese Überprüfungen unabhängig sein? Wie sollen so die Aktivitäten des ESM kontrolliert werden?
"ARTIKEL 35
Persönliche Immunitäten
(1)
Im Interesse des ESM genießen der Vorsitzende des Gouverneursrats, die Mitglieder des
Gouverneursrats, die stellvertretenden Mitglieder des Gouverneursrats, die Mitglieder des Direktoriums, die stellvertretenden Mitglieder des Direktoriums sowie der Geschäftsführende Direktor und die anderen Bediensteten des ESM Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen"
Wieso sollen alle Bediensteten nicht für das, was sie machen haftbar sein? Wieso können diese Immunitäten nicht vom Europäischen Parlament, sondern nur vom Direktorium bzw. Gouverneursrat aufgehoben werden?
"ARTIKEL 36
(4)
Vom ESM eingeführte und für die Ausübung seiner amtlichen Tätigkeiten benötigte Waren
sind von allen Einfuhrzöllen und -steuern sowie von allen Einfuhrverboten und -beschränkungen
befreit."
Wieso muss der ESM sich nicht an Einfuhrverbote halten? Wieso braucht er das für seine Arbeit? Nach diesem Vertragswerk kann der ESM von Atombomben bis hin zu Drogen alles impotieren. Was soll das?
Was ist der Zweck dieses Vertrags? Einem nicht haftbaren Verein (der auch keine Steuern zahlt) werden 700.000.000.000€ (!!!!) in die Hand gedrückt, in der Hoffnung, dass dieses Geld dann schon sinnvoll verwendet werden wird. Möglichkeiten der Kontrolle und Überprüfung durch demokratisch legitimierte Instanzen besteht nicht.
Der Euro wird mit diesen Maßnahmen bestimmt nicht gerettet, machen Sie sich nichts vor.
Viele Grüße
Julius Reuter
Sehr geehrter Herr Reuter,
vielen Dank für Ihre erneute Anfrage zum ESM. Ich hatte Ihnen bereits am 26. August 2011 meinen Standpunkt zum ESM in sehr ausführlicher Art und Weise dargestellt. Hierauf stellten Sie am 7. September eine neue Frage, in welcher Sie sich für einen teilweisen Schuldenschnitt für Griechenland aussprachen und fragten, warum diese Option nicht ausgeführt wird. Ich möchte Sie an dieser Stelle nur freundlich darauf hinweisen, dass die Entscheidungsprozesse in diesen wichtigen Fragen durchaus etwas länger dauern können. Es ist nicht die alleinige Entscheidung unserer Bundesregierung, wie die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion sichergestellt werden kann. Bis sich alle 27 Staaten in unterschiedlichen Formationen und noch alle weiteren in die Prozesse involvierten Gremien zu einer mehrheitlichen Entscheidung durchgerungen haben, braucht es meist etwas länger als nur ein paar Wochen.
Wie Sie nun sicherlich aus den Medien erfahren haben, kam es vor kurzem zu einem Schuldenschnitt für Griechenland. Dies ist ein großer Erfolg für die FDP, da wir uns immer wieder für die Beteiligung der privaten Gläubiger ausgesprochen haben.
Seien Sie versichert, dass wir auch weiterhin sehr sorgsam mit den Steuergeldern der deutschen Bürger umgehen. Genau aus diesem Grund haben wir uns stets gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden und gegen Eurobonds ausgesprochen. Dies ist übrigens auch ein Grund, warum Ihnen die Lösung der Probleme vielleicht etwas langsam vorkommt.
Ihre Zweifel bezüglich des ESM-Vertrages teile ich nicht. Selbstverständlich untersteht dieser Vertrag Möglichkeiten der Kontrolle durch demokratisch legitimierte Instanzen.
Über Veränderungen des genehmigten Stammkapitals und eine etwaige Anpassung des maximalen Darlehensvolumens des ESM entscheidet der Gouverneursrat. Dies ist kein unabhängiges Gremium, welches autonome Entscheidungen über europäische Steuergelder treffen kann. Der Gouverneursrat besteht aus den Finanzministern des Euro-Währungsgebiets, die gewählte Regierungen der Eurostaaten repräsentieren. Alle wesentlichen Entscheidungen, einschließlich der Gewährung von Finanzhilfen oder Änderungen am gezeichneten Kapital, werden grundsätzlich einstimmig durch die Finanzminister des Euro-Währungsgebiets getroffen - Deutschland hat jederzeit ein Vetorecht.
Dem Deutschen Bundestag soll dieses Vetorecht faktisch übertragen werden, indem wir dem Abstimmungsverhalten des deutschen Vertreters im Gouverneursrat einen Parlamentsvorbehalt vorschalten, wie wir es bereits bei der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) auf Druck der FDP getan haben. Auf diese Weise muss sich der deutsche Vertreter im Gouverneursrat des ESM zunächst die Zustimmung des Bundestages einholen, bevor er einer etwaigen Ausweitung zustimmen kann. Sollte der Bundestag diese Zustimmung verweigern, muss der deutsche Vertreter mit Nein stimmen und kann damit eine Ausweitung von Hilfen im Rahmen des ESM effektiv verhindern.
In Art. 8 Abs. 5 ESM-Vertag ist klar geregelt, dass die Haftung eines Mitgliedstaates unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital beschränkt bleibt.
Die FDP im Deutschen Bundestag wird verhindern, dass der ESM - wie von der Opposition gefordert - eine Banklizenz erhält. Somit ist eine weitere Begrenzung der Mittel sichergestellt.
Da die Gewährung von Hilfen über den ESM an die strikte Einhaltung des Fiskalpaktes gekoppelt ist, dürfte sich rein faktisch die Inanspruchnahme des Stammkapitals in Grenzen halten. Auch hier gilt: Ohne Solidität keine Solidarität!
Der ESM soll über 80 Mrd. Euro eingezahltes Kapital verfügen und über 620 Mrd. Euro abrufbares Kapital, welches haushaltsrechtlich in Form von Garantien bereitgestellt wird. Der ESM wird daher nicht, wie teilweise behauptet, über 700 Mrd. Euro Grundkapital verfügen. Der Begriff Grundkapital suggeriert, dass die Beträge absolut gezahlt werden müssten. Das konsolidierte Ausleihvolumen von EFSF und ESM soll maximal 500 Mrd. Euro betragen.
Die Verzahnung zwischen ESM-Vertrag und Fiskalvertrag in den Erwägungsgründen beider völkerrechtlicher Verträge gewährleistet in sachgerechter Weise die deutschen Interessen. Zusätzlich zu den strikten Auflagen, an die die Gewährung von Finanzhilfen nach dem ESM-Vertrag in Übereinstimmung mit dem neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV geknüpft wird, ist es damit gelungen, eine präzise geregelte Verknüpfung mit den auf Prävention abzielenden Regelungen im Fiskalpakt zu vereinbaren.
Der Fiskalpakt bedarf - ebenso wie der ESM-Vertrag - der Ratifizierung durch nationale Parlamente. Das Verfahren für die Ratifizierung des Fiskalpakts ist in einigen Mitgliedstaaten komplexer als für den ESM-Vertrag, da z.T. Verfassungsänderungen erforderlich sind. Es ist deshalb durchaus sachgerecht, das die Ratifizierungsfristen für beide Verträge unterschiedlich lang ausgestaltet sind. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Regierungen der Eurozonen-Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ratifizierung des Fiskalvertrags untätig bleiben könnten: mit der Zeichnung des ESM-Vertrags und der Einigung über den Fiskalvertrag haben sich die Regierungen politisch darauf verpflichtet, alles in ihrer Macht stehende für eine rechtzeitige Ratifizierung des Vertrags zu tun. Die Fortschritte hierbei werden selbstverständlich sorgfältig beobachtet werden und in das Gesamtbild bei der Entscheidung über etwaige Anträge auf Gewährung von Finanzhilfen einfließen.
Entscheidend bei der Bewertung der Verbindlichkeit des Bedingungszusammenhangs ist außerdem, dass Finanzhilfen des ESM nicht ohne Zustimmung Deutschlands gegeben werden und die Einhaltung des vereinbarten Bedingungszusammenhangs deshalb durchgesetzt werden kann.
Bei den Immunitätsregelungen für den ESM handelt es sich um bei internationalen Finanzinstitutionen übliche Regelungen. Die Tätigkeit des ESM beinhaltet, so z.B. bei der Privatsektorbeteiligung, äußerst komplexe rechtliche Vorgänge, welche regelmäßig mit Risiken behaftet sind. In der Regel handelt es sich um Immunitäten im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Organisation. Handlungen der Bediensteten sind folglich nur dann geschützt, wenn sie offizieller Natur sind. Allerdings sind für die Spitze der Organisationen, also z. B. den Präsidenten, teilweise weitergehende Immunitäten vorgesehen. Diese Immunitäten entsprechen den Immunitäten, die den Diplomaten im zwischenstaatlichen Verkehr zukommen. Der Gouverneursrat des ESM, in dem die Finanzminister der Mitgliedstaaten der Eurozone vertreten sind, bzw. der Geschäftsführende Direktor können die Immunität der Amtsträger und Bediensteten bei Bedarf aufheben. Vergleichbare Regelungen gelten u.a. für den IWF, die Weltbank sowie regionale Entwicklungsbanken wie z.B. die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) und die Asiatische Entwicklungsbank (ADB).
Artikel 36 des ESM-Vertrags sieht u.a. die Befreiung des ESM von allen direkten Steuern sowie in bestimmten Fällen von indirekten Steuern vor. Zudem sind die Bediensteten von der nationalen Einkommensteuer befreit, aber unterliegen im Gegenzug einer internen Besteuerung durch den ESM, die durch den Gouverneursrat ausgestaltet und beschlossen wird. Dem Gouverneursrat gehört auch der Bundesfinanzminister an, der in dieser Frage für Deutschland über eine Sperrminorität verfügt. Bei den Steuerbefreiungen handelt es sich um bei völkerrechtlichen und europäischen Einrichtungen übliche Regelungen. Für EU-Einrichtungen und deren Bedienstete sind vergleichbare Regelungen im Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union festgelegt. Der Sinn solcher steuerlichen Regelungen besteht zum einen darin zu vermeiden, dass dem steuerberechtigten Staat ein Druckmittel gegen die Organisation und deren Bedienstete in die Hand gegeben wird. Zum anderen hat die Befreiung der Bediensteten von den nationalen Steuern das Ziel, eine unterschiedliche Besteuerung der Gehälter zu vermeiden.
Artikel 29 des ESM-Vertrags soll gewährleisten, dass eine externe Finanzkontrolle des ESM umgesetzt wird. Der Gouverneursrat ist für die Bestellung der externen Prüfer verantwortlich und wird Einzelheiten der externen Kontrolle festlegen. Die Mitglieder des Gouverneursrat werden dafür Sorge tragen - allen voran der deutsche Gouverneur - dass die externe Prüfung so unabhängig und strikt wie möglich und voll und ganz im Einklang mit der für uns so wichtigen finanzpolitischen Stabilitätskultur ausgestaltet sein wird.
Dem ESM-Vertrag kann ich demnach durchaus auch mit meiner liberalen Überzeugung zustimmen. Insbesondere, da die FDP es geschafft hat, sich mit vielen Forderungen durchzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Heinz Golombeck, MdB