Frage an Heinrich Niemann von Bruno R. bezüglich Soziale Sicherung
Geehrter Doktor Niemann,
da Sie, ähnlich wie Ihre Parteigenossin Gesine, den Bau der Mauer etwas besser verbrämt als sie verteidigen oder jedenfalls sehr,sehr viel Verständnis dafür hegen, bleibt für mich nur noch die Frage, ob Sie dann die "Schießpraxis" (denn "Befehl" darf man in Ihren Runden ja nicht sagen, weil die alten Kader ja nach dem Befehlsschreiben verlangen. Ganz im Sinne: In dubeo pro reo, nur dass dieses leider keiner der Fluchtwilligen zu DDR-Gesetz-Zeiten für sich in Anspruch nehmen konnte!) auch für hinnehmbar halten. Und meinen Sie nicht, dass Ihr m.E. unter dem Blickwinkel der Aufrechnung abgegebenes Statement zu den Grenzsicherungsanlagen in Palästina und Nordamerika einen feinen Unterschied vergessen hat?: Dort sperrt kein Ulbricht-Nachfolger mit einem Trick sein eigenes Volk rundherum ein. Das Verlassen des eigenen Staates mit einem Ausweis über eine Grenzübergangsstelle wäre ja möglich; so hatte ja auch die DDR es in Helsinki unterschrieben und es dann aber dem e i g e n e m Volk nicht zugebilligt. Wie würden Sie es als Arzt denn bewerten, wenn ein Kollege einen Impfstoff von der WHO bekommt, das Impfen der ihm anvertrauten Patienten vor einem internationalen Gremium verspricht und dann zu Hause den Patienten von diesem Vertrag nichts erzählt, sie sogar hart bestrafen lässt, wenn sie sich informieren wollen, und sich dann nach Wandlitz absetzt? "Notwendige Rationierung" wegen des Kalten Krieges?
Mit nachdenklichem Gruß
Bruno Rein
Sehr geehrter Herr Rein,
Ihr "nachdenklicher Gruß" ermutigt mich, ihnen doch zu antworten. Allerdings habe ich mich klar und eindeutig artikuliert zur Mauer als mit ihrem Grenzregime gegen die Bürger der DDR gerichtetes Bauwerk, das am Ende das Scheitern der DDR mit herbeiführte und symbolisierte. Zu Ihren diesbezüglichen Auslegungen und Deutungen meiner Antwort werde ich mich deshalb nicht äußern.
Aber Ihre Anmerkung im Zusammenhang mit der Grenze zwischen den USA und Mexiko bzw. Israel/Palästina berührt mich dann wohl.
Es ist keine Aufrechnung der einen Grenze mit der anderen, wie Sie unterstellen, sondern ich stelle die Frage nach den Lehren und Schlussfolgerungen aus der Berliner Mauer für die heutige Zeit, bitte lesen Sie meine Antwort noch einmal nach! Und ich stelle die Frage nach den gleichen Maßstäben in der Beurteilung.
Selbstverständlich ist mir bewusst, dass es zwischen den einzelnen Grenzanlagen Unterschiede, so in den Gründen, in Ort und Zeit usw. gibt.
Aber Tatsache ist doch, dass an der Grenze von über 3000 km Mauern und Zäunen zwischen den USA und Mexiko jährlich zwischen 250 und 500 Menschen zu Tode gekommen sind, bei ihren Versuchen, illegal mit der Hoffnung auf Arbeit in die USA zu gelangen oder auch im Zusammenhang mit Drogenhandel. Das kann einen nachdenkenden Menschen doch nicht in Ruhe lassen, selbst wenn das Passieren dieser Grenze im Unterschied zur Mauer mit dem Pass möglich ist.
Also nicht Aufrechnung, sondern für heute die richtigen Schlüsse mit den gleichen Maßstäben ziehen, denn die Menschenrechte sind unteilbar.
Mit freundlichen und nachdenklichen Grüßen
Dr. Heinrich Niemann