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Frage von Mirko S. •

Frage an Heiko Hilker von Mirko S. bezüglich Deutsche Einheit / Innerdeutsche Beziehungen (bis 1990)

Sehr geehrter Herr Hilker,

dass Ihnen die SED wohl ungeheuer viel bedeutete, stellen Sie mit insgesamt sieben Bemerkungen auf Ihrer Internetseite unter Beweis. Das mag viele Menschen verunsichern, ich frage mich und Sie aber: Was hat Sie in der Wendezeit bewegt, (1.) welches Gefühl hatten Sie bei dem Anblick von den Menschen auf der Berliner Mauer, auf den Montagsdemonstrationen, (2.) was dachten Sie als schließlich der zwei-plus-vier Vertrag und der Einigungsvertrag unterzeichnet wurde, und (3.) glauben Sie auch, dass Vieles besser gekommen wäre, hätte die DDR-Regierung an der Aufrechterhaltung eines zweiten deutschen Staates festgehalten?

Vielen Dank im Voraus und mit freundlichen Grüssen

Mirko Sauer

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Sehr geehrter Herr Sauer,
die, die wir heute sind, sind wir durch das, was wir waren. Unsere Vergangenheit gehört zu uns. Und ich war unter anderem, in der SED. Ja, ich dachte damals, dass man die DDR hätte verändern können. Ich nahm das Statut der Partei wie die Ansprüche des Landes ernst. Für mich war die DDR lange Zeit eine Alternative. In den letzten Jahren bis 1989 sah ich dann noch die Chance, die DDR zu einer Alternative zu entwickeln. Was die SED für mich war, habe ich in einem Text auf meiner Homepage versucht deutlich zu machen.

"SED war mein Vater, der mehr Zeit für den Betrieb und die Partei glaubte haben zu müssen, als für seine Kinder. Der glaubte, die Probleme mit sich austragen zu können und meine Realität vor mir verteidigen zu müssen. SED war auch ich. SED, das ist für mich ein Deutsch-Lehrer, der Jahre in der CSSR unterrichtete, der mir sagte, als ich darauf verwies, nicht mit achtzehn in die Partei gehen zu können, weil ich mit achtzehn noch kein Kommunist sein könne, daß man dies nur in der Partei werden könne. SED ist für mich auch die Direktorin, die mir Aussprachen aufhalste, weil ich mich weigerte, eine Unterstützungsunterschrift für das in Nicaragua kämpfende Volk zu geben, weil der Kampf nicht des Papieres bedürfte, sondern eher Geldes. SED, das ist für mich der Genosse, der mit schönen Worten vom Kandidaten zum Mitglied gehoben wurde und dann, gegen das Statut verstoßend, tagtäglich nichts leistend, nur große Worte spuckend sich leisten konnte, was er wollte. SED, daß ist für mich die Diskussion über eigene, selbst-gemalte Mai-Losungen, die nach stundenlangen Diskussionen die APO- und SP-Leitung durchschritten, um dann doch von der Kreisleitung am Kampf- und Feiertag ohne Diskussion im Schuppen zurückgelassen zu werden. SED, das sind für mich endlose Diskussionen darüber, ob und wie man bekannt macht, wie gültige und ungültige Stimmen bei der Wahl gezählt werden, und weshalb ich in die Wahlkabine gegangen bin. SED, das ist für mich das Zurückwerfen der Kritiker in die kritisierte Gesellschaft, die sie zu verändern hätten, bevor auf höherer Ebene Kritik anzumelden sei. SED, das sind für mich in der Mehrzahl Genossinnen und Genossen, die den Mund hielten, um ihn sich nur wenig später zu zerfetzen, die immer wußten, warum etwas zu tun sinnlos, eigentlich schon alles klar sei. SED, das ist für mich der immerwährende Versuch gewesen, ein System von innen und unten, mit Nadelstichen zu verändern. Und es ist für mich die Lehre, daß dies nicht ohne innere Erschütterungen und Druck von außen geht. SED, das sind aber auch Menschen, mit denen zusammen ich es immer wieder neu versuchte, anzugehen einen neuen Versuch. Das sind auch Menschen, die es mir ohne Bewährung und trotz mir von meinem späteren Dienstherren NVA anempfohlener Distanz zu NSW-Leuten ermöglichten, als Inland-Reiseleiter bei Jugendtourist zu sehen, daß auch hinter den Grenzen Menschen und nicht nur üble Klassenfeinde leben. Und - das sind auch Menschen, die im entscheidenden Moment mir zur Seite standen. SED war nicht Entweder-oder, sondern Sowohl-als-auch. Allerdings mehr sowohl." 1989 dachte ich, dass eine Alternative, ein Dritter Weg möglich ist. Doch die Realität belehrte mich eines Besseren. Ich weiß, dass eine langsame Annäherung, der Weg über eine Konföderation der bessere gewesen wäre. Und dies sahen auch andere so, bis hin zum Bundesverband Deutscher Banken, die eine schnelle Währungsunion ablehnten. Die PDS wollte 1990 ja nicht die Einheit aufhalten, hatte Ministerpräsident Modrow doch schon im Februar eine entsprechende Erklärung abgegeben. Die PDS wollte die Deutsche Einheit anders, nicht als Beitritt. Wir wollten, dass sinnvolle Ansätze der DDR übernommen werden. Und heute zeigt sich, dass dies nicht schlecht gewesen wäre: Ärztezentren, längeres gemeinsames Lernen, Kinderbetreuung sind da einige Beispiele. Doch dies ist die Vergangenheit. Der Blick zurück macht einiges klarer. Doch wenn es heute darum geht, Deutschland sozial und gerecht zu gestalten, hilft der Blick zurück meist nicht weiter.
Soweit in Kürze, mit freundlichem Gruß
Heiko Hilker