Frage an Heike Sudmann von Christiane H. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen
Sehr geehrte Frau Sudmann,
im Sommer vergangenen Jahres hat der Hamburger Senat mit seinem Konzept „stromaufwärts an Elbe und Bille “ eine Diskussion um die Entwicklung der Stadtgebiete im Hamburger Osten angestoßen. Ende Dezember 2014 hat er seine Vorstellungen in der Senatsdrucksache 20/14117 konkretisiert. Als Stadtteil-Initiative in Rothenburgsort stellt sich für uns derzeit insbesondere die Frage nach dem Stellenwert und der Ausgestaltung der Beteiligung der Bevölkerung im angekündigten Entwicklungsprozess.
1.) Der Senat will neue Beteiligungsstrukturen entwickeln, um (u. a.) die Entwicklung im Gebiet Billebogen und in Rothenburgsort und Hamm voran zu bringen (vgl. Drs. 20/14117, S. 8, „zweitens“). Dabei kommt aus Sicht des Senats der „intensiven Beteiligung“ der Bevölkerung und der Diskussion mit den Menschen vor Ort besonderes Gewicht zu“ (vgl. S. 4).
a) Auf welche Weise können Ihrer Meinung nach solche neuen gebietsbezogenen Beteiligungsstrukturen und -formate entwickelt werden?
b) Welche neuen bzw. zusätzlichen Beteiligungsstrukturen bzw. -formate könnten Sie sich dafür auf lokaler Ebene vorstellen?
c) Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Finanzierung der Entwicklung und der professionellen Begleitung der gebietsspezifischen Bewohner-Beteiligung zu gewährleisten?
2.) Über die jeweils gebietsspezifische Beteiligung hinaus hält der Senat weitere Beteiligungsformate für erforderlich, um die übergreifenden Ziele für den Gesamtraum zu diskutieren (vgl. Drs. 20/14117, S. 8, „drittens“).
a) Auf welche Weise sollten Ihrer Meinung nach Beteiligungsstrukturen für den Gesamtraum des Programms entwickelt werden?
b) Welche Beteiligungsstrukturen bzw. -formate könnten Sie sich dazu vorstellen?
c) Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Finanzierung dieser übergreifenden Beteiligungsstrukturen zu gewährleisten?
Mit freundlichen Grüßen
C. H.
Liebe Frau H.,
Ihre Fragen beantworte ich gerne, auch vor dem Hintergrund einer Bürgerschaftsdebatte im Januar, wo die SPD selbstzufrieden die gute Beteiligung bei dem Projekt "Stromaufwärts ..." lobte.
Ich hoffe, dass Sie und viele andere engagierte RothenburgsortlerInnen gemeinsam mit Aktiven aus weiteren betroffenen Stadtteilen erfolgreich bei der Einforderung von echter Beteiligung sind. Meine Unterstützung haben Sie auch weiterhin!
- 1.) Der Senat will neue Beteiligungsstrukturen entwickeln, um (u. a.) die Entwicklung im Gebiet Billebogen und in Rothenburgsort und Hamm voran zu bringen (vgl. Drs. 20/14117, S. 8, „zweitens“). Dabei kommt aus Sicht des Senats der „intensiven Beteiligung“ der Bevölkerung und der Diskussion mit den Menschen vor Ort besonderes Gewicht zu“ (vgl. S. 4).
Entgegen allen wohlklingenden Versprechungen ist es mit der in Aussicht gestellten BürgerInnenbeteiligung beim Konzept "Stromaufwärts an Elbe und Bille" nicht weit her. Es stellt sich die Frage, was mit "neuen Beteiligungsstrukturen" gemeint sein soll, wenn die Pläne für die verschiedenen Projekte schon weit vorangeschritten sind und der Zeitraum bis zur Beendigung der Beteiligungsphase denkbar knapp geschnitten ist. Ich habe z.B. im sog. Beteiligungsprozess rund um die „Neue Mitte Altona“ erleben dürfen, wie die sehr engagierten BürgerInnen zig Vorschläge machten und sogar ein Koordinierungsgremium durchsetzen konnten. Monate später wurde klar, dass der allergrößte Teil der Ideen, Anregungen und Forderungen für die Schublade war und die BSU an ihren Entwürfen nur geringfügige Veränderungen vornahm. Eine typische Beteiligungsfalle also, die von vielen Mitgliedern dieses Koordinierungsgremiums scharf kritisiert wurde.
Gerade bei den vielfach benachteiligten Quartieren in den Stadtteilen des Hamburger Ostens muss eine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen im Mittelpunkt stehen. Es kann nicht nur darum gehen, zu bauen, um die Planungsdaten zu erfüllen. Wir brauchen vielmehr ein Gesamtkonzept, Maßnahmen, die das Arm-Reich-Gefälle abbauen, die benachteiligten Quartiere also unterstützen, in dem vielerlei soziale und kulturelle Unterstützung gegeben wird. Beteiligung ist das eine, das Zurückdrängen von Armut und Benachteiligung das andere - zwei Seiten einer Medaille für DIE LINKE.
- a) Auf welche Weise können Ihrer Meinung nach solche neuen gebietsbezogenen Beteiligungsstrukturen und -formate entwickelt werden?
Bei so großen Vorhaben ist zunächst einmal Zeit unabdingbar. Zweitens ist eine nicht unbeträchtliche Summe Geldes wichtig, denn Beteiligung kostet, will gut vorbereitet, organisiert und ausgewertet werden. Drittens sind im engen Verbund mit örtlichen Initiativen und Vereinen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich möglichst viele Menschen einbringen können, was im Hamburger Osten sicherlich auch besonderer Bemühungen um die migrantische Bevölkerung bedarf. Viertens sind vorhandene Gremien und Initiativen mit ins Boot zu holen (wie z.B. Beiräte), und zwar nicht einmalig, sondern über den ganzen Prozess. Fünftens muss mit allen Betroffenen und Interessierten darüber nachgedacht und gesprochen werden, wie die BürgerInnenbeteiligung einheitlich und transparent gestaltet werden kann. Ggfs. sind neue Stadtteilgremien einzurichten, möglichst auch eine Begleitinstanz, damit die verschiedenen Quartiere nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Entscheidend ist nach meinem Dafürhalten sechstens allerdings, dass in Politik und Verwaltung eine neue Beteiligungskultur, eine andere Philosophie einzieht, die es nämlich ernst meint mit der partizipativen Demokratie. Und das bedeutet, dass von vornherein auf Augenhöhe diskutiert, entwickelt und verworfen werden muss. BürgerInnenbeteiligung kann sich nicht auf ein Durchhecheln von umfangreichen, bereits fertigen Papieren, schon gar nicht auf ein Abnicken beschränken. Doch ich befürchte, genau so ist es hier angedacht.
Empfehlen kann ich an dieser Stelle nur, sich über die Stadtteile hinweg zusammenzuschließen (vielleicht kann da auch die Bezirks-LINKE helfen),sich mit Initiativen und Engagierten aus anderen Quartieren (z.B. Altona oder Wilhelmsburg) über deren Erfahrungen auszutauschen und dann gemeinsame (Grund-) Forderungen zu erheben, um die Hürde von Beginn an hochzulegen. Wer keine Ansprüche geltend macht, wird beim jetzigen Verständnis vieler PolitikerInnen und BehördenmitarbeiterInnen über kurz oder lang über den Tisch gezogen.
- b) Welche neuen bzw. zusätzlichen Beteiligungsstrukturen bzw. -formate könnten Sie sich dafür auf lokaler Ebene vorstellen?
DIE LINKE befürwortet für jeden Stadtteil eine vernünftige, auch finanziell abgesicherte Beteiligungsstruktur. Erprobt sind in dieser Hinsicht in vielen Vierteln die Stadtteil- und Quartiersbeiräte. Sie werden den auch von mir persönlich unterstützten Kampf des „Netzwerks Hamburger Stadtteilbeiräte“ verfolgt haben, das sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren stark dafür eingesetzt hat, die Beiräte nicht zum Ende der jeweiligen RISE-Förderung auslaufen zu lassen, sondern im Gegenteil institutionell und finanziell abzusichern. Bei den Beiräten kommt es dann natürlich im Einzelfall auf die Zusammensetzung, den Sitzungsrhythmus und viele andere Erfordernisse an.
Darüber hinaus scheint mir der o.a. Gedanke wichtig: Sich zusammenschließen über die Quartiers- und Stadtteilgrenzen hinweg, so wie es im Prinzip ja schon das „Netzwerk Recht auf Stadt“ und das „Nordnetz“ erfolgreich praktizieren. Das setzt in der ersten Runde erst einmal nur Leute aus verschiedenen Stadtteilen - in diesem Falle des Hamburger Ostens - voraus, die sich das Senatskonzept anschauen und erste gemeinsame Forderungen erheben und Ansprüche geltend machen. Diese Form der Beteiligung würde es dann, so sehe ich das, zu verstetigen gelten. Regelmäßige Zusammenkünfte über die Stadtteilgrenzen hinweg, denn nur so bietet sich die Chance, auch in größeren Zusammenhängen zu denken und mitzugestalten. Außerdem ist der gegenseitige Erfahrungsaustausch natürlich gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Im Laufe des weiteren Prozesses - und der braucht Zeit, die allererste zentrale Forderung, die erhoben werden müsste - sind dann sicherlich zu verschiedensten Einzelaspekten Unter- und Ad-hoc-Gruppen zu bilden, gerne mit professioneller, d.h. unabhängiger und von der Stadt bezahlter personeller Unterstützung. Demokratie, Partizipation gibt es nicht zum Null-Tarif.
- c) Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Finanzierung der Entwicklung und der professionellen Begleitung der gebietsspezifischen Bewohner-Beteiligung zu gewährleisten?
Angesichts des zeitlichen und finanziellen Umfangs des anderswo bereits zynisch so titulierten "Aufbau-Programms Ost" halte ich es für eine Selbstverständlichkeit, dass von der Stadt auch ein erklecklicher Batzen Geld zur Verfügung gestellt wird, um die o.a. Formen der BürgerInnenbeteiligung verlässlich abzusichern. Und zwar nicht für einmalige Workshops, sondern vor allem auch für die Schaffung systematischer Strukturen und Gremien, die über einen längeren Zeitraum den Diskurs aktiv gestalten. Je deutlicher da die Anforderungen aus den Quartieren sind, desto leichter fällt es im politischen Zusammenhang (z.B. auf Bürgerschaftsebene), entsprechende Wünsche zu unterstützen und zu befördern. Das auf Jahre angelegte Stromaufwärts-Programm bietet allen Stadtteilen und BürgerInnen im Hamburger Osten die einmalige Möglichkeit, einen Quantensprung in Sachen Partizipation zu machen. Das muss dem Senat schnellstmöglich, einheitlich und lautstark signalisiert werden. Wie wäre es mit einem Netzwerk Hamburger Osten, sozusagen als erster, schneller Schritt? Auch deswegen, weil die BSU schon fast wieder an ihren Abschlussbericht denkt, bevor es überhaupt erst richtig losgegangen ist.
- 2.) Über die jeweils gebietsspezifische Beteiligung hinaus hält der Senat weitere Beteiligungsformate für erforderlich, um die übergreifenden Ziele für den Gesamtraum zu diskutieren (vgl. Drs. 20/14117, S. 8, „drittens“).
Der Senat orientiert zum wiederholten Mal auf die Stadtwerkstatt. Das ist ein Format, wo - sicher gut vorbereitet - ExpertInnen und andere Großkopferten zusammen kommen, um das Volk zu informieren, bisweilen auch auf Fragen einzugehen. Doch Partizipation ist etwas ganz anderes, wir wollen als BürgerInnen heutzutage nicht mehr nur einfach in Kenntnis gesetzt werden, wir wollen ernsthaft mitreden, mitplanen und letztlich auch mitentscheiden. Und da reicht die eine oder andere Stadtwerkstatt nicht im Entferntesten aus. Sicher, solche Veranstaltungen müssen und sollen sein, das eigentliche Salz in der Beteiligungssuppe sind allerdings die stadtteilbezogenen, regelmäßig tagenden Gruppen, Initiativen und Gremien, denen Aufmerksamkeit geschenkt wird, deren Vorschläge aufgenommen werden, deren Kreativität auf Dauer und immer aufs Neue befördert und beherzigt werden will. Was wäre das für eine schöne Situation, wenn in allen betroffenen Stadtteilen Beiräte existierten, regelmäßig tagten und auch noch übergreifend zusammenkämen, um ein gemeinsames Programm zu entwickeln. Ich kann erneut nur dringend empfehlen, sich nicht mit einer Stadtwerkstatt oder einmaligen Workshops zu begnügen.
- a) Auf welche Weise sollten Ihrer Meinung nach Beteiligungsstrukturen für den Gesamtraum des Programms entwickelt werden?
Im Kern habe ich das bereits beantwortet. Wenn es einen Plan "Stromaufwärts an Elbe und Bille" gibt, wenn also große Vorhaben für rund ein halbes Dutzend Stadtteile für die nächsten zig Jahre in Planung sind, dann bedarf es eines angemessenen Pendants auf BürgerInnenseite. Dazu gehört ein übergreifendes Beteiligungsgremium, in dem engagierte Menschen aus den betreffenden Quartieren zusammenkommen können, um über das Gesamtkonzept und gemeinsame Belange verbindlich zu diskutieren. Dies schafft nicht nur neue Beteiligungsstrukturen, das schafft auch neue Kontakte und Verbindungen und trägt - bestenfalls - zu einer neuen, aus meiner Sicht hoffentlich kämpferischen Identität bei, die den oftmals und langjährig benachteiligten Stadtteilen im Hamburger Osten nur nutzen kann. Sicherlich geht es auch darum, das Verhältnis zur Bezirksversammlung Hamburg-Mitte zu definieren, denn auch deren Mitglieder werden den Diskurs führen wollen. Doch alleine auf das Bezirksparlament mit seinen geringen Rechten zu setzen und zu vertrauen (wie es uns PolitikerInnen der etablierten Parteien gerne weismachen wollen), davon rate ich dringend ab. In diesem Fall kommt aber noch hinzu, dass es vielleicht sogar eine Art Zweckbündnis zwischen den Stadtteil- und BürgerInnen-Gremien einerseits und der Bezirksversammlung andererseits geben könnte, denn inwieweit die planende Zentralbehörde, die BSU, überhaupt dem Bezirk Kompetenz und Entscheidungsmacht zubilligt, das gilt es mit Sicherheit noch auszuloten und kräftig zu erweitern. Und das paart sich evtl. sogar ganz wunderbar mit jener Volksinitiative, die mehr Bezirksrechte bzw. -unabhängigkeit einfordert und gegenwärtig einen Volksentscheid vorbereitet.
Nebenbei kann ich nur empfehlen bzw. würde ich mich dafür einsetzen, auch neue Formen der Kommunikation und des Informationsaustausches anzugehen. Wie wäre es beispielsweise mit einer von (dafür bezahlten) BürgerInnen herausgegebenen übergreifenden Zeitung bzw. einer gemeinsamen Website? Die Zuständigkeit und Verantwortung könnte bei einem gut ausgestatteten Beteiligungsgremium sein. Man - d.h. die Behörde und Mehrheitspolitik - muss es nur wollen und kräftig unterstützen.
- b) Welche Beteiligungsstrukturen bzw. -formate könnten Sie sich dazu vorstellen?
Nochmals und zusammengefasst:
* Quartiers- und Stadtteilbeiräte in allen betroffenen Vierteln,
* ein gemeinsames Beteiligungsgremium, das sich aus allen betreffenden Quartieren rekrutiert,
* Untergruppen und ad-hoc-Veranstaltungen zu wichtigen Aspekten (Verkehr, Kleingewerbe, Belebung etc.),
* die eine oder andere Stadtwerkstatt zu zentralen Themen,
* regelmäßige Jour-Fixe- oder vergleichbare Treffen, um neue Menschen zu gewinnen und einzubeziehen und jederzeit über den Stand des Diskurses Auskunft zu geben,
* eine BürgerInnen-Anlaufstelle, Info-Poole, eine gemeinsame Zeitung, Website etc.,
* neue Formen der Beteiligung und Mobilisierung, z.B. nach dem Berlin-Lichtenberger Modell im Zusammenhang mit dem BürgerInnenhaushalt: Drei Tage machen Ämter zu und die MitarbeiterInnen holen Informationen auf der Straße ein, naja, neue Formen eben!
- c) Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Finanzierung dieser übergreifenden Beteiligungsstrukturen zu gewährleisten?
Ich sehe da eine Menge Möglichkeiten, vorausgesetzt, die entscheidenden Stellen ziehen mit und wollen das. In diesem Jahr hat die Freie und Hansestadt Hamburg z.B. einen unerwarteten Steuerüberschuss von 400 Mio. Euro eingefahren. Mit einem Bruchteil dieses Geldsegens könnte eine flächendeckende Beteiligungsstruktur nicht nur im Hamburger Osten, sondern über die ganze Stadt entwickelt werden. Doch dafür muss die linke Opposition wohl noch bedeutend stärker werden, denn der Antrag meiner Fraktion, einen neuen Stadtteilbeiräte-Etat im Doppelhaushalt 2015/16 zu schaffen und zunächst mit einer Million Euro auszustatten (um damit die Förderung von Beiräten unabhängig von RISE zu gewährleisten), ist von der Großen Koalition aus SPD, CDU und FDP abgelehnt worden. Dennoch, ich bin überzeugt davon, dass wir über kurz oder lang mehr Mittel für die BürgerInnenbeteiligung durchsetzen werden. Denn wir sind im 21. Jahrhundert, wir sind in Hamburg, und da wollen die Menschen mitreden und -entscheiden, mehr denn je.
Mehr über die stadtteilbezogenen Beteiligungs-Vorstellungen finden sich übrigens in der von der Linksfraktion im April 2014 herausgegebenen Broschüre "Mehr als schöne Worte? BürgerInnenbeteiligung in Hamburg", herunterzuladen über die Website http://www.linksfraktion-hamburg.de .
Mit den besten Grüßen
Heike Sudmann