Frage an Heidrun Bluhm-Förster von Dr. Joachim G.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung "Globale Umweltveränderungen" (WBGU) weist in "Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation"
http://www.wbgu.de/hauptgutachten/hg-2011-transformation/
darauf hin, dass bis 2020 eine grundlegende Umstrukturierung unserer auf fossilen Brennstoffen basierten Gesellschaft stattfinden müsse, um das 2-Grad-Ziel noch zu erreichen. Dazu müsse der Staat eine proaktive Rolle übernehmen, d.h. er müsse die (wie der WBGU sie nennt) "Pioniere des Wandels" auf jede nur mögliche Weise fördern und ihre Zahl erhöhen.
Insbesondere zeigt Prof. Dirk Messner, dass Deutschland kohlenstoffinsolvent ist, d.h. Deutschland muss für seine gesamten CO2-Emissionen Rechte ("CO2-Zertifikate") von Ländern erwerben, die vermutlich auch künftig ihre zugewiesenen Budgets nicht voll ausschöpfen werden. Der Preis solcher Zertifikate muss höher sein als 75 Euro pro Tonne CO2.
Quelle: http://www.wbgu.de/sondergutachten/sg-2009-budgetansatz/
1. Schließen Sie sich dem WBGU an und lehnen den 2016 EEG-Novellierungsentwurf ab?
2. Schließen Sie sich dem Rat und der EEG-Novellen-Kritik von Fachorganisationen (z.B. BWE) an, welche die Energiewende bisher herbeigeführt, d.h. Deutschland ein exponentielles Wachstum von Wind- und Photovoltaik-Strom beschert haben?
3. Mit einer Verdoppelungszeit von 6 Jahren hätte die Windenergie im Jahre 2022 ihr Ausbaumaximum (175 TWh/a) und mit ihrer Verdoppelungszeit von 1.6 Jahren hätte die Photovoltaik in 2016 ihre Kapazitätsgrenze (100 TWh/a) erreicht.
( http://www.ag-energiebilanzen.de/index.php?article_id=29&fileName=20160128_brd_stromerzeugung1990-2015.pdf )
Sind Sie bereit, gegen EEG-Novelle und Reduzierung des Ausbaus um etwa die Hälfte zu stimmen?
4. Die Akteure im EE-Sektor sind unter den heutigen Rahmenbedingungen (z.B. begrenztes Stromnetz) bereit, massiv zu investieren. Widersprechen Sie dem BMWi-Argument, das unzureichende Stromnetz sei trotzdem ein EE-Ausbauhinderungsgrund?
Sehr geehrter Herr Dr. Gruber,
gerne beantworte ich Ihre Fragen zu Transformation und Energiewende.
1. Schließen Sie sich dem WBGU an und lehnen den 2016 EEG-Novellierungsentwurf ab?
Von der Zielrichtung teilen wir die Ansichten des WBGU aus dem Transformationsgutachten von 2011, allerdings haben die Thesen mittlerweile noch an Dringlichkeit gewonnen. Wir sind der Ansicht, dass nicht erst aber spätestens seit den Beschlüssen von Paris kein Land der Welt sich vor der Dekarbonisierung seiner Wirtschaft drücken kann. Wer das 2-Grad-Ziel, oder gar das 1,5-Grad-Ziel ernst meint, kommt sehr schnell darauf, dass der Energiesektor praktisch vollständig CO2-frei gestaltet werden muss. Und weil die CO2-Vermeidung im Verkehrssektor oder im Gebäudebereich sehr viel schwieriger sein wird, muss die Dekarbonisierung im Strombereich sehr viel schneller von statten gehen als in den anderen Sektoren. Dabei wird Braunkohle eher weichen müssen, als emissionsärmere und flexiblere Gas- oder Steinkohlekraftwerke. Auch der Preisverfall bei der Ökostrom-Produktion ermöglicht ein Umdenken.
DIE LINKE hat am 12. Mai dieses Jahres bereits zum dritten Mal einen Antrag zum gesetzliches Kohleausstieg in den Bundestag eingebracht.
(siehe hier: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/081/1808131.pdf)
Nach Lage der Dinge ist für einen solchen Kohleausstieg ein bundesweiter Abschaltplan das Instrument der Wahl. Denn wenn klar ist, zu welchem Datum welcher Block vom Netz geht, besteht Planungssicherheit für alle Beteiligten. Für die Unternehmen genauso wie für die Beschäftigten und die Region. DIE LINKE befürwortet bewusst ein ordnungspolitisches Instrument, weil der Emissionshandel versagt hat.
Dass es in einem solchen Konzept keine neuen Tagebaue oder Kohlekraftwerke geben kann, versteht sich von selbst. Vor allem aber muss dieser Ausstieg und der Strukturwandel begleitet werden. Die LINKE Bundestagsfraktion hat Kernforderungen zu einem solchen Ausstieg aus der Kohleverstromung und dessen arbeitsmarkt- und sozialpolitische Absicherung erarbeitet. Danach u.a. der letzte Kohlemeiler spätestens im Jahr 2035 vom Netz. Der Ausstieg soll spätestens im zweiten Halbjahr 2017 nach einem gesellschaftlichen Dialogprozess innerhalb eines Runden Tisches und eines Gesetzgebungsprozesses beginnen. DIE LINKE hat eine kritischere Sicht auf die CCS-Technik des Carbon Capture and Storage als der WBGU und lehnt diese Technik ab.
Den EEG-Entwurf lehnen wir ab, was wir in diesem Positionspapier begründen: http://linksfraktion.de/positionspapiere/eeg-2016-buergerenergie-retten-wachstum-erneuerbaren-beschleunigen-kosteneffizienz-einhalten/
2. Schließen Sie sich dem Rat und der EEG-Novellen-Kritik von Fachorganisationen (z.B. BWE) an, welche die Energiewende bisher herbeigeführt, d.h. Deutschland ein exponentielles Wachstum von Wind- und Photovoltaik-Strom beschert haben?
Ja, wir teilen die EEG-Kritik der Erneuerbare-Energien-Verbände, was im oben angeführten Positionspapier erläutert wird und exemplarisch folgenden Pressemitteilungen zu entnehmen ist:
Pressemitteilung vom 08.06.2016:
http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/attacke-energiewende/
Pressemitteilung vom 13.05.2016
http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/erneuerbare-energien-nicht-kaltstellen/
Video der Rede des Fraktionsvorsitzenden DIE LINKE, Dietmar Bartsch, auf der Energiewende-retten-Demonstration am 2.6.2016:
http://medien.linksfraktion.de/video/160602-db-eeg-demo-01.m4v
3. Mit einer Verdoppelungszeit von 6 Jahren hätte die Windenergie im Jahre
2022 ihr Ausbaumaximum (175 TWh/a) und mit ihrer Verdoppelungszeit von 1.6 Jahren hätte die Photovoltaik in 2016 ihre Kapazitätsgrenze (100 TWh/a) erreicht.
Sind Sie bereit, gegen EEG-Novelle und Reduzierung des Ausbaus um etwa die Hälfte zu stimmen?
Diese Frage verstehe ich nicht ganz: Verdoppelung gegenüber welchem Basisjahr? Was ist mit Ausbaumaximum und Kapazitätsgrenze gemeint?
DIE LINKE wird voraussichtlich der EEG-Novelle nicht zustimmen, allein schon weil wir die Umstellung auf das Ausschreibungssystem ablehnen, da es große Investoren gegenüber der Bürgerenergie bevorzugt. Wir lehnen das Ausbremsen der Energiewende durch diese EEG-Novelle ab. Wir halten die Ausbaupfade für zu gering, angesichts der Aufgaben, die aus den Beschlüssen von Paris und einer Beschleunigung der Energiewende folgen aber auch des Wandels, den die Energieversorgung insgesamt (Sektorenkopplung Strom-Wärme-Verkehrssektor) durchläuft. Der Stromsektor wird perspektivisch wachsen, wenn Elektromobilität und erneuerbare strombasierte Wärme sich zunehmend durchsetzen. Daher müssen die Ausbauziele erhöht werden.
4. Die Akteure im EE-Sektor sind unter den heutigen Rahmenbedingungen (z.B.
begrenztes Stromnetz) bereit, massiv zu investieren. Widersprechen Sie dem BMWi-Argument, das unzureichende Stromnetz sei trotzdem ein EE-Ausbauhinderungsgrund?
Ja, denn wir halten dieses Argument für vorgeschoben. Einerseits weil nach wie vor massive Überkapazitäten an Kohlestrom die Netze blockieren und andererseits weil wir die Bedarfs-Berechnung für den Übertragungsnetz-Ausbau für überdimensioniert halten und hier seit Jahren die Offenlegung der Berechnungsmethoden fordern. Die Netzentgelte wurden in den vergangenen Jahren massiv erhöht, ohne dass Stromleitungstrassen in dem Maße gebaut wurden wie geplant.
DIE LINKE hält aber auch die Kostendebatte, wie sie im Zusammenhang mit einem angeblich unzureichenden Netzausbau losgetreten wurde für unaufrichtig. Es hieß, die Redispatch-Kosten würden aufgrund unzureichenden Netzausbaus massiv ansteigen – Grundlage sind Schätzungen, die momentan nicht nachvollziehbar sind, mit denen aber Politik betrieben wird. Auf der anderen Seite wird der energieintensiven Industrie mit rund 220 Branchen – darunter die Herstellung von Fantasieschmuck und die Pelzwirtschaft – weiterhin circa fünf Milliarden Euro EEG-Umlage jährlich erlassen. Dies ist angesichts der Beschlüsse von Paris nicht nachvollziehbar, denn dort wurde beschlossen, dass alle sich an den Kosten des Klimawandels beteiligen müssen. Es sollte nur die Teile der energieintensiven Industrie Rabatte erhalten, die tatsächlich im internationalen Wettbewerb stehen.
Mit freundlichen Grüßen
Heidrun Bluhm