Frage an Heidi Kosche von Gundula K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Kosche,
diese meine Frage habe ich auch an Ihre Kollegin Canan Bayram gestellt, weil ihr Gesicht auf allen Plakaten zu sehen ist, die hier aushängen. Sie hingegen sind hier wenigstens mit Foto zu sehen und haben auch schon geantwortet.
Meine Frage ist ganz einfach.
Vor einiger Zeit hab ich mal gelesen, dass sich die Grünen für die Gleichstellung des Islam mit dem Christentum in Deutschland einsetzen wird. Ist das so? War das nur eine Ente oder können Sie das bestätigen? Wie wollen Sie das in Berlin bewerkstelligen? Haben Sie eine Übersicht über die dann erforderlichen Maßnahmen?
Das war´s schon.
Über eine schnelle Antwort würde ich mich freuen.
Hallo Frau Kaufmann-Schoele,
da Sie Ihre Frage ja auch an Canan Bayram gestellt haben, ist die Antwort zwischen uns abgestimmt und textgleich.
Ihre Frage hat sowohl einen juristischen als auch einen politischen Aspekt. Juristisch ist es so, dass wir aufgrund unseres Grundgesetzes mit Hinweis auf die Weimarer Reichsverfassung eine Privilegierung der Kirchen haben. Diese Privilegien können muslimische Glaubensgemeinschaften wohl erst dann geltend machen, wenn sie den rechtlich geforderten Körperschaftsstatus erlangen. Ob bzw. wann dies der Fall wäre, ist - wie so vieles in der Juristerei - umstritten, wobei die derzeit herrschende Meinung dem eher kritisch gegenübersteht.
Bei der politischen Fragestellung stehen Bündnis 90/Die Grünen für die grundsätzliche Trennung von Religion und Staat sowie für die Freiheitsrechte. Beides wurde in Europa, auch gegen den Widerstand der etablierten Religionen, erkämpft: die Religionsfreiheit, als das Recht einen Glauben zu haben und diesen auszuüben sowie das Recht keinen Glauben zu haben, die Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung sowie die gesetzlich verankerte Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wir lehnen die politische Instrumentalisierung von Religion entschieden ab - egal von welcher Seite sie betrieben wird.
Es gibt MuslimInnen, die sich unter Berufung auf ihre Religion von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen. Bei unserem Einsatz für Frauenrechte, gegen Homophobie und für die Vielfalt der Lebensformen setzen wir uns daher immer wieder auch mit MuslimInnen kritisch auseinander. Gleichzeitig gilt: pauschale Diffamierungen und Verurteilungen verstärken die Probleme und schwächen den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir stellen uns grundsätzlich gegen Islamfeindlichkeit, gegen die Diskriminierung und Ausgrenzung von MuslimInnen und von Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihres Namens als MuslimInnen betrachtet werden, ohne dabei unsere Maßstäbe aufzugeben. Im Gegenteil: Kritik an bestimmten religiösen oder religiös begründeten Praktiken, egal welcher Religion, bezieht ihre Glaubwürdigkeit aus der politischen Konsequenz, mit der wir uns gegen antimuslimische Ressentiments stellen. Nur in dieser Konsequenz bleiben wir als die Partei der Vielfalt, der Menschenrechte und der Antidiskriminierung in einer sich verändernden Gesellschaft glaubwürdig.
Die Forderung nach der faktischen Gleichstellung des Islam - und war war ein Kern ihrer Frage - mit anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bedeutet nicht, dass der Islam eine Privilegierung erfahren soll oder der politische Islam unkritisch betrachtet wird. Wichtig ist mir persönlich auch, dass nicht jeder Mensch, dem aufgrund seiner Herkunft oder seines Äußeren die Eigenschaft „muslimisch“ zugeschrieben wird, die von einigen religiösen Gemeinschaften geforderten Rechte beanspruchen will bzw. deren Forderungen teilt. Vielmehr gibt es im Islam unterschiedliche Richtungen und durch den Islam geprägte Traditionen. Auch gibt es Traditionen, die ihren Ursprung aus der vorislamischen Zeit haben, aber aufgrund der Zuschreibung der Herkunft der Menschen aus sogenannten islamischen Ländern damit in Verbindung gebracht werden.
Zur Gleichstellung im Islam finden Sie in unserem aktuellen Wahlprogramm folgende Aussage:
„Der Islam gehört längst zu Berlin, deshalb wollen wir seine verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung mit anderen Religionen und Weltanschauungen auch auf Landes- und Bezirksebene praktisch umsetzen. Das Recht der MuslimInnen auf die Errichtung von Moscheen, Cem- und Gebetshäusern ist für uns selbstverständlicher Teil muslimischer Religionsausübung.
Dazu gehören für uns auch die Einrichtung eines Lehrstuhls für islamische Theologie an einer Berliner Hochschule zur Ausbildung von ReligionslehrerInnen für Berliner Schulen und die Weiterentwicklung der Curricula für islamischen Religionsunterricht mit VertreterInnen der muslimischen Glaubensgemeinschaften in Berlin. Außerdem setzen wir uns für den Abbau von Vorurteilen durch konkrete Aufklärungs- und Partizipationsinitiativen auf Bezirks- wie auf Landesebene ein.“
freundliche Grüße
Heidi Kosche, MdA