Frage an Hartfrid Wolff von Lutz L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Wolff,
herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort.
Ich habe noch Fragen, um deren Beantwortung ich Sie höflich bitte.
Wie ist der erlaubte Zugriff anderer Geheimdienste auf Daten in Deutschland praktisch geregelt? Gibt es Vollmachten für den Zutritt zur Technik oder automatisierte Schnittstellen in Deutschland? Ist die Hilfe deutscher Stellen notwendig?
Durch Umleitung zu ausländischen Servern von Mitteilungen an Server in Deutschland (Anfragen, Mails, Sprache) können beliebige Daten deutschen Boden verlassen. Der Weg der Daten in Deutschland wird jedoch durch deutsche Stellen gesteuert. Welche rechtlichen Regeln gibt es hierfür? Z.B. wenn ich über https(Browser) von meineadresse@xmail.de an meinefreunde@ymail.de eine Email schicke und diese über https(Browser) empfangen wird? Besteht eine gesicherte Übertragung zwischen den deutschen Firmen xmail.de und ymail.de? Welche Auflagen bezüglich Art.10 GG hätte die deutsche Firma xmail.de, wenn die Daten über das Ausland umgeleitet werden soll? Wie ist das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art.10 GG) in diesem Bereich praktisch gesichert?
Deutschland gilt als demokratischer Rechtsstaat. Grundlegend dafür ist die Einhaltung des Grundgesetzes, insbesondere auch des Art.10 GG (Post- und Fernmeldegeheimnis).
Lassen Ihre Anmerkungen zur Ablehnung Ihrer Reformbemühungen durch andere Parteien und die Arbeitsweisen der Behörden den Schluss zu, dass bewusst gegen Art.10 des GG verstossen wird? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Ist eine gezielte Verschleierung der Absichten und Aktivitäten auszuschließen?
Wer sollte den von Ihnen geforderten ständigen Sonderermittler auswählen und kontrollieren?
Welche Auswirkungen auf unsere Demokratie sehen Sie, wenn die Sachverhalte nicht ausreichend aufgeklärt und personelle und strukturelle Konsequenzen unterlassen werden? Ist die Haltung "Bin nicht betroffen, ich habe ja nichts zu verbergen" als Ausweg diskutabel?
Mit freundlichen Grüssen
Lutz Lippke
Sehr geehrter Herr Lippke,
haben Sie vielen Dank für Ihre erneute Anfrage auf Abgeordnetenwatch.
1. Wie ist der erlaubte Zugriff anderer Geheimdienste auf Daten in Deutschland praktisch geregelt? Gibt es Vollmachten für den Zutritt zur Technik oder automatisierte Schnittstellen in Deutschland? Ist die Hilfe deutscher Stellen notwendig?
Diese Fragen sind aus Gründen des Geheimschutzes nur eingeschränkt beantwortbar. Ein erlaubter Zugriff im Geltungsbereich des deutschen Rechts setzt meiner Meinung nach eine verbindliche Vereinbarung zwischen den deutschen und ausländischen Behörden voraus. Eine solche Vereinbarung muss zwingend dem in Deutschland geltenden Recht entsprechen. Die höchste deutsche Fachaufsicht über die deutschen Nachrichtendienste hat beteiligt zu werden. Je nachdem welche Nachrichtendienste betroffen sind, ist auf Seiten der Exekutive das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium des Innern und/oder das Bundesministerium der Verteidigung zu beteiligen. Auf Seiten der Legislative muss nach meiner Vorstellung das Parlamentarische Kontrollgremium vor und nach Unterzeichnung einer Vereinbarung unterrichtet werden, da es sich dabei unseres Erachtens um einen Vorgang von besonderer Bedeutung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. PKGrG) handelt. Das Parlamentarischen Kontrollgremiums ist nach wie vor in der Pflicht, die aktuellen Fragen weiter aufzuarbeiten und die Zusammenarbeit zu klären. Insofern sind die Vereinbarungen, die von rot-grün unter Koordination des damaligen Geheimdienstkoordinators Frank-Walter Steinmeier 2002 damals mit den Amerikanern geschlossen wurden, mit dem tatsächlichen Tun sehr genau zu prüfen.
2. Durch Umleitung zu ausländischen Servern von Mitteilungen an Server in Deutschland (Anfragen, Mails, Sprache) können beliebige Daten deutschen Boden verlassen. Der Weg der Daten in Deutschland wird jedoch durch deutsche Stellen gesteuert. Welche rechtlichen Regeln gibt es hierfür? Z.B. wenn ich über https(Browser) von meineadresse@xmail.de an meinefreunde@ymail.de eine Email schicke und diese über https(Browser) empfangen wird? Besteht eine gesicherte Übertragung zwischen den deutschen Firmen xmail.de und ymail.de? Welche Auflagen bezüglich Art.10 GG hätte die deutsche Firma xmail.de, wenn die Daten über das Ausland umgeleitet werden soll? Wie ist das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art.10 GG) in diesem Bereich praktisch gesichert?
Schon in der Theorie sind Ihre Daten nach deutschem Recht nur so lange gesichert, wie sie sich im Geltungsbereich unseres Rechts befinden. Wie die deutschen Firmen Ihre Daten praktisch schützen, kann von hier aus nicht pauschal beantwortet werden. Hierzu wenden Sie sich bitte an die entsprechenden Firmen, an deren Antwort ich ebenfalls interessiert bin. Umso mehr ist es bedeutsam, auch in der internationalen Zusammenarbeit sich auf gemeinsame rechtsstaatliche Standards zu verständigen. Ein erster Schritt ist dabei die Initiative auf EU-Ebene und das zu verhandelnde Rahmenabkommen mit den USA.
3. Deutschland gilt als demokratischer Rechtsstaat. Grundlegend dafür ist die Einhaltung des Grundgesetzes, insbesondere auch des Art.10 GG (Post- und Fernmeldegeheimnis). Lassen Ihre Anmerkungen zur Ablehnung Ihrer Reformbemühungen durch andere Parteien und die Arbeitsweisen der Behörden den Schluss zu, dass bewusst gegen Art.10 des GG verstossen wird? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Ist eine gezielte Verschleierung der Absichten und Aktivitäten auszuschließen?
Allein die Ablehnung unserer Reformvorschläge ist nicht zwingend ein Zeichen für den willentlichen Verstoß gegen Art. 10 GG. Dies würde ich Behörden und politischen Konkurrenten nicht vorwerfen wollen. Die Ablehnung ist eher Ausdruck unterschiedlicher Überzeugungen zum Verhältnis Exekutive-Legislative und über den Sinn parlamentarischer Kontrolle. Die FDP sieht als liberale Partei unsere Gesellschaft grundsätzlich nicht durch unseren demokratischen Rechtsstaat gefährdet, ist allerdings der Ansicht, dass sein auf den Bürger und dessen Rechte einwirkendes Handeln nicht nur besonderer Legitimation und Legitimität in Form von gesetzlichen Vorschriften bedarf, sondern auch die Einhaltung dieser Vorschriften parlamentarisch kontrolliert werden muss. Die Forderung nach mehr und besserer Kontrolle richtet sich dabei nicht gegen die Geheimdienste; Kontrolle ist vielmehr ein wesentlicher Teil der Legitimation der Arbeit von Geheimdiensten in einer Demokratie. Die Grundrechte, die in erster Linie als Abwehrrechte gegen den Staat entstanden sind, sollen dadurch bestmöglich weiterer Geltung verschafft werden. In Zeiten weltweit agierender Konzerne mit teilweise quasi staatlicher Macht, gilt es allerdings parallel dazu, die Grundrechte des Bürgers auch vor nichtstaatlichen Angriffen zu schützen. Die Grundrechten innewohnenden Leistungs- und Teilhabegarantien sind natürlich ebenfalls bedeutsam.
Gerade die Zahlungs- und Leistungsgarantien als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips sind es, auf die sich manch andere Partei sehr fokussiert. Der Staat hat dabei möglichst viel für die Bürger zu regeln, ihnen abzunehmen. Diese Grundhaltung kann dann zu einer besonderen Staatsgläubigkeit führen, da es deren Verständnis ist, dass allein der Staat die soziale Verantwortung trage. Das ist nicht die liberale Haltung, weil wir Liberale nicht den Staat als ersten in der Verantwortung sehen, Solidarität zu üben, sondern die Mitmenschen, eine verantwortlich handelnde Bürgergesellschaft. Wenn es aber der Staat, also die Exekutive, "schon richten wird", wie es bei vielen eher staatsgläubigen Parteien vorherrschende Meinung ist, wird eine weitreichende legislative Kontrolle der Exekutive mitunter als nicht von besonderer Bedeutung angesehen.
Auffällig ist das Verhalten der Grünen, die einerseits den Bürger hin zu einer vorgeblich besseren Welt erziehen und uniformieren wollen. Hierbei haben sie keine Probleme, tief in die Rechte der Bürger einzugreifen. Sie sollen beispielsweise nicht allein entscheiden dürfen, was sie essen wollen, wie sie ihre Häuser einrichten, wie schnell sie auf Autobahnteilstücken, für die eine Reduzierung der Geschwindigkeit aus Gründen der Sicherheit nicht erforderlich ist, fahren wollen. Während die Grünen also einerseits zur Durchsetzung ihres Weltbildes nahezu jeden Eingriff in die Rechte der Bürger für legitimiert halten, den Staat massiv als Erzieher der Gesellschaft einsetzen wollen, weil der dann "grüne Staat" ja besser als der einzelne Bürger weiß, was gut für den Bürger ist, kritisieren sie staatliche Grundrechtseingriffe, die z. B. mit dem Argument des Schutzes der Bevölkerung vorgenommen werden.
4. Wer sollte den von Ihnen geforderten ständigen Sonderermittler auswählen und kontrollieren?
Der Sonderermittler sollte vom Parlamentarischen Kontrollgremium ausgewählt werden, da er diesem Gremium verantwortlich ist und sich seine Rechte aus den Rechten des Gremiums ableiten. Außerdem halten wir es für wichtig, gerade hierfür keine Person auszuwählen, die in der Öffentlichkeit steht und damit selbst ggf. wie ein Politiker handelt. Entscheidend ist die Sachkompetenz und die effektive Kontrolle. Die Bewertungen sollen und müssen dann die Politiker im Kontrollgremium vornehmen.
5. Welche Auswirkungen auf unsere Demokratie sehen Sie, wenn die Sachverhalte nicht ausreichend aufgeklärt und personelle und strukturelle Konsequenzen unterlassen werden? Ist die Haltung "Bin nicht betroffen, ich habe ja nichts zu verbergen" als Ausweg diskutabel?
Dies ist keine liberale Haltung. Die Haltung "ich habe ja nichts zu verbergen" ist bereits der erste Schritt hin zu einem Unterwürfigkeitsverhältnis, den wir Liberale deutlich ablehnen. Denn: Wer entscheidet, was gesucht und damit verborgen werden muss? Für Liberale ist gerade der Schutz der unveräußerlichen Grund- und Menschenrechte, auch und vor allem zum Schutz von Minderheiten in einem demokratischen Rechtsstaat, notwendig. Unsere grundgesetzliche Ordnung darf nicht nur auf dem Papier gut aussehen, sie muss vor allem praktisch gelebt werden. Deshalb bleiben wir an der Sache dran. Im Unterschied zu den Grünen, die die verfassungswidrigen Sicherheitsgesetze des Innenministers Schily mitgetragen haben, jetzt in Baden-Württemberg zusammen mit der SPD die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung fordern, setzen wir uns auch in Regierungsverantwortung für die Grundrechte der Bürger ein, wie es beispielsweise die Einführung des "Löschen statt Sperren" oder die erfolgreiche Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung zeigt.
Mit freundlichen Grüßen
Hartfrid Wolff