Frage an Hartfrid Wolff von Lutz L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Wolff,
im Zusammenhang mit der NSA-Affäre gibt es derzeit vor allem populistische Schuldzuweisungen zwischen den Parteien. Es ist Wahlkampf.
Ich glaube, viele Bürger wollen jedoch vor allem korrekt und konkret informiert werden, um sich selbst ein Bild zu machen.
Sie sind Mitglied der G10-Kommission im Bundestag, der die mindestens monatliche Kontrolle der Überwachungsmaßnahmen (Beschränkung des Art.10 GG Post- und Fernmeldegeheimnis) zur Aufgabe hat. Dem Gesetz nach, musste jede Maßnahme der Geheimdienste dargelegt und begründet werden.
Waren Sie in dieser Funktion zuständig für die Kontrolle der jetzt bekannt gewordenen Vorwürfe zur massiven Überwachung? Hat man Sie umgangen oder fehlinformiert?
Sie fordern jetzt bessere Kontrollmöglichkeiten und weitere Kontrollorgane.
Seit wann ist Ihnen bewusst, dass die Möglichkeiten unzureichend sind?
Sie erwähnen auch, dass Geheimdienstmitarbeiter erst ihren Chef fragen müssen, bevor sie sich an die parlamentarische Kontrolle wenden. Sie wollen diesen Zustand ändern. Welchen konkreten Verdacht haben Sie gegenüber den Chefs bzw. Berichterstattern der Dienste bezüglich der Umgehung der Berichtspflichten. Wie schätzen Sie die Haltung dieser Verantwortlichen zur Verfassung und den Grundrechten ein?
Welche Konsequenzen würden Sie daraus als Jurist ziehen?
Umfässt Ihre Geheimhaltungspflicht aus der Kontrollfunktion in der G10-Kommission auch mögliche Gesetzesverstössen der Geheimdienste gegen die Berichtspflichten? Wird dadurch eine Feststellung möglicher Täter behindert?
Mit freundlichen Grüssen
Lutz Lippke
Sehr geehrter Herr Lippke,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage auf Abgeordnetenwatch.
"Sie sind Mitglied der G10-Kommission im Bundestag, der die mindestens monatliche Kontrolle der Überwachungsmaßnahmen (Beschränkung des Art.10 GG Post- und Fernmeldegeheimnis) zur Aufgabe hat. Dem Gesetz nach, musste jede Maßnahme der Geheimdienste dargelegt und begründet werden.
zu Ihrer 1. Frage:
Waren Sie in dieser Funktion zuständig für die Kontrolle der jetzt bekannt gewordenen Vorwürfe zur massiven Überwachung? Hat man Sie umgangen oder fehlinformiert?"
Als stellvertretendes Mitglied der G10-Kommission bin ich dem gesetzlichen Auftrag gewissenhaft nachgekommen. Sie werden aber sicherlich verstehen, dass ich nicht aus geheimen Sitzungen berichte. Man muss aber dazu sagen: das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages und die G10-Kommission sind allein für die Kontrolle der deutschen Nachrichtendienste zuständig. Deshalb habe ich eine bessere Koordination und gemeinsame Standards mit den Kontrollgremien der Parlamente befreundeter Staaten wie den USA und Großbritannien angeregt. Unabhängig davon haben wir uns als FDP auch in dieser Legislaturperiode und werden wir uns sehr deutlich für einen besseren Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger engagieren. Im Gegensatz zu den Grünen, der SPD und der CDU/CSU sind wir nach wie vor gegen einen Generalverdacht gegen die Menschen in Form der Vorratsdatenspeicherung, also der anlasslosen Speicherung sämtlicher Handy-und eMailverbindungen und den IP-Adressen.
zu Ihrer 2. Frage:
"Sie fordern jetzt bessere Kontrollmöglichkeiten und weitere Kontrollorgane. Seit wann ist Ihnen bewusst, dass die Möglichkeiten unzureichend sind?"
Die FDP hatte bereits in der letzten Legislaturperiode (16. WP) unter Federführung des leider verstorbenen Staatssekretärs im Bundesministerium der Justiz Dr. Max Stadler einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine weitgehende Reform der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste vorsah, aber im Bundestag keine Mehrheit fand. Eine kleinere Reform, an der wir beteiligt waren, gelang dann in der 16. WP. In dieser Legislatur haben wir des Öfteren insbesondere mit der CDU/CSU und der SPD um eine Intensivierung der Kontrolle der Nachrichtendienste gerungen. Dazu legten wir schlussendlich im September 2012 ein umfangreiches Positionspapier und im Februar 2013 einen eigenen Gesetzentwurf vor. Während die Verhandlungen mit der Union Fortschritte zeigten, blockte die SPD bis in den Frühling 2013 (also zeitlich vor den NSA-Enthüllungen) hinein alle Reformbestrebungen ab. Durch die NSA-Enthüllungen könnte die öffentliche Meinung die SPD zu einem Umdenken zwingen. Aber selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, werden wir - entgegen dem in diesem Bereich üblichen Verfahren - nicht länger auf die SPD warten und auch ohne Zustimmung der SPD in der nächsten Legislatur ein Gesetzgebungsverfahren eröffnen.
zu Ihrer 3. Frage:
"Sie erwähnen auch, dass Geheimdienstmitarbeiter erst ihren Chef fragen müssen, bevor sie sich an die parlamentarische Kontrolle wenden. Sie wollen diesen Zustand ändern. Welchen konkreten Verdacht haben Sie gegenüber den Chefs bzw. Berichterstattern der Dienste bezüglich der Umgehung der Berichtspflichten. Wie schätzen Sie die Haltung dieser Verantwortlichen zur Verfassung und den Grundrechten ein? Welche Konsequenzen würden Sie daraus als Jurist ziehen?"
Es geht dabei nicht um ein Misstrauen gegenüber den Behördenchefs. Die Praxis zeigt aber, dass sich Zeugen freier äußern, wenn die jeweiligen Vorgesetzten nicht aufwendig in die Befragung involviert werden.
In unserer Stellungnahme zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zu den NSU-Morden widmen wir uns auch dem höheren Dienst:
"Die Untersuchungen des Ausschusses und der Bericht des Sonderermittlers Engelke haben gezeigt, dass das Wissensmanagement im Bundesamt für Verfassungsschutz defizitär ist und dringend einer Reform bedarf.
Defizite sind insbesondere auf zwei Ebenen festzustellen. Zum einen sind die rechtlichen Vorgaben zur Führung von Akten und Dateien lückenhaft und nicht konkret genug. Zum anderen wird den Vorschriften weder vom leitenden Personal noch auf der Sachbearbeiterebene der gebührende Stellenwert eingeräumt. Daher verwundert es auch nicht, dass die Organisationsstruktur des Hauses die Beachtung der Vorgaben erschwert. So ist es zu erklären, dass Löschungsverfügungen des Bundesministeriums des Innern mitunter mehrere Jahre nicht vollzogen wurden. Obwohl die Situation leitenden Angehörigen des Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt gewesen sein muss, wurde sie nicht bereinigt. Inwieweit das Bundesministerium des Innern (BMI) als Aufsichtsbehörde Kenntnis hatte, bleibt zu klären.
Im Landesamt für Verfassungsschutz Berlin wird dem Aktenmanagement offensichtlich ebenfalls eine zu geringe Bedeutung beigemessen. Es entspricht nicht der gebotenen Sorgfalt, wenn Akten lediglich aufgrund ihrer Position in einem Raum kategorisiert werden, jede äußere Kennzeichnung der einzelnen Ordner oder mehrerer fest miteinander verbundener Ordner fehlt (Situationsbeschreibung: Feuerbergbericht, S. 70, MAT_B-BE-6-1).
Auch das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz hat mit der Aktenführung zu kämpfen. So fand man im Sommer 2012 und erneut im Juni 2013 bei der Aufarbeitung von Altbeständen unbekannte Akten zur Geheimoperation „Terzett“, bei der eine Wohnung in Zwickau observiert wurde, in der Hoffnung, so dem Trio auf die Spur zu kommen (SZ 19.06.2013; Leipziger Volkszeitung 20.06.2013).
Das Verfahren zur Vernichtung von Akten bzw. zur Löschung von Dateiinhalten, die zwischen Bund und Ländern ausgetauscht wurden, funktioniert in der Praxis nicht. Immer wieder kam es vor, dass die Informationen empfangenen Stellen nicht in der Lage waren, die von der informationsgebenden Stelle abgeforderten Erklärungen zur Vernichtung bzw. Löschung zu geben. Zum Teil haben sie auf die Anforderung nicht reagiert oder die abgelegten Informationen aufgrund des mangelhaften Wissensmanagement gar nicht mehr gefunden.
Die offen zu Tage getretenen Defizite sind zügig abzustellen. Parlamentarische und exekutive Normgeber haben Vorschriften auf den Weg zu bringen, die den Ansprüchen des Rechtsstaates genügen, Regelungslücken schließen und auch praktisch anwendbar sind. Zur Verbesserung des Wissensmanagements ist es aber nicht ausreichend, nur Gesetze, Verordnungen und Dienstvorschriften zu überarbeiten.
Bundesamt für Verfassungsschutz und aufsichtsführendes BMI waren nicht in der Lage, die Missstände abzustellen. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages (PKGr) beschäftigte sich ebenfalls nicht zielführend mit dem Wissensmanagement der zu kontrollierenden Dienste. Es sind daher jetzt alle leitenden und kontrollierenden Ebenen gefordert. Die Organisation der Behörden muss den rechtlichen Vorgaben Rechnung tragen, damit diese auch praktisch umgesetzt werden können. Die Verfassungsschutzbehörden und ihre ministerielle Aufsicht haben darüber hinaus einen Mentalitätswechsel in den Diensten voranzutreiben. Professionelles Wissensmanagement mit einer der Rechtslage entsprechenden Akten- und Datenpflege darf auf Leitungs- und Sachbearbeiterebene nicht länger als belästigendes Übel wahrgenommen werden. Vielmehr ist es als eine der Grundvoraussetzungen für professionelles Arbeiten in die Behörden zu implementieren. Die große Verantwortung, die hierbei dem Personalverantwortung tragenden Angehörigen der Dienste zukommt, hat sich schon auf das Verfahren zur Vergabe von Personalführungspositionen auszuwirken, Datenschutzbeauftragte in den Behörden sind zu stärken. Das bewusst unvollständige Führen von Akten und Dateien muss unterbunden werden.
Auch das PKGr hat sich kontinuierlich dem Wissensmanagement der Dienste zu widmen. Eine strukturiert in die Organisation und den Geschäftsgang der Nachrichtendienste vordringende Kontrolle erfolgt bisher nicht, ist allerdings erforderlich. Dem PKGr muss mit dem Hilfsmittel des ständigen Sachverständigen die Möglichkeit geschaffen werden, Kontrolle in den Nachrichtendiensten intensiver auszuüben. Er oder seine Mitarbeiter haben dann nach Recherchen in den Diensten eine Meinungsbildung im PKGr u. a. zum Wissensmanagement zu unterstützen."
Zu Ihrer 4. Frage:
"Umfasst Ihre Geheimhaltungspflicht aus der Kontrollfunktion in der G10-Kommission auch mögliche Gesetzesverstöße der Geheimdienste gegen die Berichtspflichten? Wird dadurch eine Feststellung möglicher Täter behindert?"
Die intensivere Überprüfung der Berichte der jeweiligen Dienste sollte noch stärker Aufgabe der Parlamentarischen Kontrolle sein. Hier braucht das Kontrollgremium das zusätzliche Instrument des „ständigen Sonderermittlers“ wie es die FDP schon länger fordert, um z.B. über intensivere Stichproben Kontrolle in den Diensten besser ausüben und die mündlichen Berichte besser überprüfen zu können. Zum anderen sollten rechtliche Hindernisse, also z.B. die eingeschränkte Protokollierung im Parlamentarischen Kontrollgremium, abgebaut werden.
Mit freundlichen Grüßen
Hartfrid Wolff