Portrait Harald Ebner mit blauem Hemd vor grünem Hintergrund. Lächelnd.
Harald Ebner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Christopher L. •

Frage an Harald Ebner von Christopher L. bezüglich Wirtschaft

Guten Tag Herr Ebner,

meine Frage an Sie: Besteht die Gefahr, dass durch das Freihandelsabkommen TTIP der gesetzgeberische Spielraum der Deutschen Bundestagsabgeordneten in irgendeiner Weise eingeschränkt wird? Wenn ja, können Sie mir bitte ein Beispiel oder Beispiele nennen?

Vielen Dank für Ihre Antwort im Voraus.

Freundliche Grüße Christopher Link

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Link,

vielen Dank für Ihre Frage.

Ich teile die Sorge, dass der regulatorische Gestaltungsspielraum von Abgeordneten und der Politik in der EU allgemein durch TTIP zwar nicht formal, aber faktisch erheblich eingeschränkt wird und bestehenden demokratisch errungenen Standards eine Aufweichung droht. Standards sind Ausdruck und Ergebnis des Handelns und der Normensetzung durch den Gesetzgeber.

Schon bereits existierende Regulierungen werden durch TTIP in Frage gestellt. Da es bei TTIP vor allem um die Beseitigung nicht tarifäre Handelshemmnisse geht (d.h. auch unterschiedliche Standards und Regulierungen) und die US-Standards im Verbraucher- und Umweltschutz oft niedriger sind, droht eine Absenkung der EU-Standards auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Bereits heute existieren Beispiele dafür, dass die EU-Seite zugunsten eines besseren Verhandlungsklimas bei TTIP und CETA im vorauseilenden Gehorsam Standards zur Disposition stellt oder auf strengere Regulierungen verzichtet. So wurde die Milchsäurebehandlung bei Rinderschlachtkörpern erlaubt, den USA eine Übernahme der (meist) deutlich schlechteren WHO-Höchstgrenzwerte für Pestizide angeboten (an Stelle der geltenden strengeren EU-Werte) und die EU-Kraftstoffrichtlinie abgeschwächt, um die Vermarktung von extrem klima- und umweltschädlichem Teersand-Erdöl aus Kanada in der EU zu ermöglichen. Hier findet also vorauseilender Gehorsam der EU-Seite auf Kosten von Verbraucher- und Umweltschutz statt.

Doch nicht allein bereits bestehende EU-Standards sind gefährdet, sondern auch zukünftige Handlungsspielräume, beispielsweise für eine bessere Regulierung der Agrogentechnik. Wie ein von mir bereits im November 2014 initiiertes Gutachten beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages bestätigt hat, wäre die Einführung einer Kennzeichnung von tierischen Produkten, die mit Gentech-Futtermitteln erzeugt werden, nach Abschluss der Verhandlungen kaum noch möglich bzw. mit sehr großem Klagerisiko behaftet.

Besonders problematisch für die Handlungsfreiheit der Politik sind zwei Elemente von TTIP und CETA : Die regulatorische Kooperation und die Einführung von Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren. Regulatorische Kooperationsräte sollen alle staatlichen Regulierungsvorhaben auf Ebene der Nationalstaaten und der EU im Vorfeld daraufhin überprüfen, ob sie Handels und Investitionen beeinträchtigen können bzw. gegen das Abkommen verstoßen. Im vorläufigen CETA-Text sind solche problematischen Bestimmungen bereits enthalten: Danach müssen alle Umwelt- und Nachhaltigkeitsmaßnahmen mit CETA inhaltlich vereinbar sein („consistent with this agreement“). Außerdem wird mehrfach betont, dass keine Maßnahmen ergriffen werden sollen, die den Handel beeinträchtigen.

Wir Grüne lehnen es ab, dass auf diese Weise alle politischen Ziele und Maßnahmen den Interessen von Handel und Investoren untergeordnet werden sollen und Handelspartner der EU faktisch ein Vetorecht bei zahlreichen politischen Vorhaben in der EU und ihren Mitgliedsstaaten erhalten.

Wir Grüne lehnen die Schaffung privater Schiedsgerichte für Investor-Staat-Klagen ab, weil damit demokratisch legitimierte Entscheidungen und Urteile von öffentlichen Gerichten ausgehebelt werden können und für ausländische Investoren Rechtsprivilegien geschaffen werden. Beispiele wie Klage des schwedischen Stromkonzerns Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg, die Aushebelung von gerichtlich angeordneten Umweltauflagen für das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg oder die Klage von Phillip Morris gegen die Verpflichtung zum Aufdruck abschreckender Bilder auf Zigarettenschachteln in Australien zeigen konkret die enorme Missbrauchsgefahr bei Regelungen zum Investitionsschutz auf. Auch bei CETA ist es trotz Zusicherung der EU-Kommission aus meiner Sicht nicht gelungen, solche Missbräuche von Investitionsschutzabkommen auszuschließen, da Einschränkungen bzw. Voraussetzungen sehr schwammig formuliert sind. Auch die Reformvorschläge der EU-Handelskommissarin Malmström bezüglich des Investitionsschutzes bei TTIP sowie die Idee eines internationalen Handelsgerichtshofes von Wirtschaftsminister Gabriel reichen nicht aus, um die grundlegenden Probleme auszuräumen.

Wir Grüne fordern einen kompletten Neustart der Verhandlungen mit einem neuen Verhandlungsmandat, das folgende Forderungen berücksichtigt:
• Kein ISDS (private Schiedsgerichte), Veto- oder Entscheidungsbefugnisse für regulatorische Kooperationsräte oder andere Mechanismen, die demokratisch legitimierte Entscheidungen bzw. Gestaltungsspielräume oder öffentliche Gerichte unterlaufen
• Keine Vereinbarungen oder Kompromisse, die Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards oder das Vorsorgeprinzip schwächen können
• Deutlich mehr Transparenz über die Verhandlungen, deren Verlauf und deren Ergebnisse sowie eine qualitativ wesentlich engere Einbindung und Information von Parlamenten und Zivilgesellschaft bezüglich der Verhandlungsprozesse
• Die Bereiche Agrar, Umwelt- und Verbraucherschutz, Kultur und Kernbereiche der Daseinsvorsorge müssen von den Abkommen ausgenommen werden.

Mit freundlichen Grüßen
Harald Ebner

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