Frage an Hans-Ulrich Sckerl von Martin B. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Sckerl,
kürzlich gab es einen Tarifabschluss für die Angestellten der meisten Bundesländer.
In der Vergangenheit wurden diese Abschlüsse in Baden-Württemberg oftmals nicht inhalts- und zeitgleich auf die Landesbeamten übertragen, sondern nur in geringerem Umfang, so dass es zu realen Einkommensverlusten kam.
Beim neuesten Abschluss wollen sich die Grünen in Baden-Württemberg wiederum nicht festlegen, wie der Abschluss auf die Beamten übertragen werden soll.
Ihr Koalitionspartner fordert in Form von Herrn Gabriel (SPD) auf Bundesebene die Unternehmer auf, höhere Löhne zu zahlen und lässt diese Forderung sogar für den öffentlichen Dienst gelten:
z. B. hier:
http://www.rp-online.de/politik/deutschland/spd-chef-gabriel-fordert-hoehere-loehne-1.2705647
Warum werden die Landesbeamten immer wieder nachrangig behandelt? Wie verträgt sich dies mit der Forderung der Grünen nach Gerechtigkeit? Sind Beamte für die Grünen weniger Wert als Angestellte?
Landesbeamte können sich leider nicht durch Streik wehren. Ich habe den Eindruck, die neue rot-grüne Regierung in Baden-Württemberg nutzt diese Situation mindestens ebenso stark aus wie ihre Vorgänger. Angesichts der zahlreichen Streichungen im Beamtenbereich habe ich sogar den Eindruck, die Grünen in Baden-Württemberg lassen ihre Beamten gerne ausbluten.
Sollten Sie die nicht vorhandene Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung als Ausgleich anführen wollen, so möchte ich darauf hinweisen, dass dies den Beamten bei ihren täglichen Ausgaben und laufenden Kosten auch nicht weiterhilft.
Immerhin möchte ich zu Ihren Gunsten anführen, dass Sie sich bei der letzten Ditätenerhöhung 2012 von über 3 Prozent in Baden-Württemberg gegen diese aussprachen, auch gerade mit dem Argument, dass es Kürzungen bei den Beamten gab.
Als Landesbeamte wären wir schon damit zufrieden, wenn unsere Besoldung nach dem gleichen Modus steigt, wie die Diäten der Abgeordneten.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Bluhm
Sehr geehrter Herr Bluhm,
haben Sie besten Dank für Ihre Nachfrage. Nachdem nun die wirkungsgleiche, aber sozial gestaffelte Übernahme für die Landesbeamten beschlossen wurde, will ich diese Entscheidung in meiner Antwort näher erläutern.
Wir haben bei unserer Entscheidung die Wortmeldung des Vorsitzenden des Beamtenbundes, Volker Stich, vom 16.03.2013 aufgegriffen. „Damit müssten wir und damit könnten wir leben“, hatte Volker Stich zum Vorschlag einer inhaltsgleichen, aber zeitlich verschobenen Übertragung erklärt. Wir haben uns zudem für eine sozial gestaffelte Variante der zeitlichen Verschiebung entschieden.
Die Koalition hat mehrmals intensiv beraten, um einen gangbaren Weg zu finden – zwischen der Haushaltskonsolidierung einerseits und den Interessen der Beamtenschaft andererseits – bevor wir am Mittwoch, 20. März 2013, eine Entscheidung getroffen haben. Das Land Baden-Württemberg steht vor der schwierigen Situation, dass bis zum Jahr 2020 ein hohes strukturelles, jährliches Defizit (das bedeutet, dass seit vielen Jahren die Ausgaben um diesen Betrag höher sind als die Einnahmen) von 2,5 Mrd. Euro im Landeshaushalt abgebaut werden muss. Viele der Ausgaben sind durch europäisches Recht, Bundes- oder Landesgesetze gebunden und können nicht beliebig reduziert werden. Dies gilt zum Teil auch für den Personalkostenanteil von fast 50% des Haushaltsvolumens. Erschwerend kommt hinzu, dass die Länder fast keine Steuererhebungsrechte haben, also auch die Einnahmen nicht selbst relevant erhöhen können. Trotzdem dürfen die Bundesländer wegen der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen.
Die Mehrausgaben durch die Übertragung des Tarifergebnisses mit der sozial gestaffelten, zeitlichen Verschiebung führen bis zum Jahr 2016 zu Mehrausgaben von 143 Mio Euro für den Landesbereich. Die zeitgleiche Übertragung hätte alleine für 2013/2014 Mehrausgaben von 972 Mio. Euro bedeutet – und dies nur für den Bereich der Beamten. Für die Tarifbeschäftigten kommen 260 Mio. Euro hinzu.
Die genannten Mehrausgaben von zusammen über einer Milliarde Euro würden dazu führen, dass sich das jährliche strukturelle Defizit des Landeshaushalts nicht vermindert, sondern in einem Umfang weiter anwächst, den wir vor dem Hintergrund der Schuldenbremse nicht für vertretbar halten. Dies ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber nachfolgenden Generationen, denen wir keinen Schuldenberg auflasten sollten.
Es ging daher bei der aktuellen Entscheidung über die Anpassung der Beamtenbesoldung darum, einen verantwortlichen Mittelweg zwischen den Erfordernissen der nachhaltigen Haushaltswirtschaft und Ihrem berechtigten Interesse als Beamtinnen und Beamten zu finden, von der allgemeinen Einkommensentwicklung nicht abgekoppelt zu werden und für Ihre Leistungen auch eine finanzielle Anerkennung zu erhalten.
Durch die zeitliche Verschiebung und die soziale Staffelung konnten viel weiter gehende Einschnitte in die Besoldung, wie sie etwa jetzt in Nordrhein-Westphalen (NRW) entschieden wurden, für Baden-Württemberg vermieden werden. Die Bundesländer übertragen das Tarifergebnis in unterschiedlicher Weise auf die Beamten. Bayern überträgt beispielsweise wirkungs- und zeitgleich, während NRW sich für zwei Nullrunden 2013 und 2014 ab Besoldungsgruppe A 13 entschieden hat. Was wir erreicht haben, ist ein Kompromiss aus diesen Vorgehensweisen.
Aus Solidarität mit der Beamtenschaft hat die GRÜNE Landtagsfraktion vorgeschlagen, dass die Abgeordneten die automatische Anpassung ihrer Diäten zum 1. Juli ebenfalls um 12 Monate zeitlich nach hinten verschieben. Die Abgeordneten würden so im Jahr 2013 auf die Erhöhung ihrer Diäten verzichten. Dies würde für alle 138 Abgeordneten zusammen einen Betrag von ca. 30.000 Euro im Jahr einsparen. Obwohl dies sicherlich kein wesentlicher Konsolidierungsbeitrag für den gesamten Landeshaushalt ist, befürworten die GRÜNEN Abgeordneten diesen freiwilligen Verzicht aus Gründen der Solidarität mit Ihnen, den Beamtinnen und Beamten, ausdrücklich. Wir werden schnellstmöglich Gespräche mit den anderen Fraktionen aufnehmen und hoffen, dass diese sich unserem Vorschlag anschließen.
Zum Abschluss darf ich nochmal betonen, dass die grüne Landtagsfraktion die engagierte Arbeit der Beamtinnen und Beamten des Landes sehr schätzt - zweifellos hätten die Beamtinnen und Beamten aufgrund ihrer Arbeit und ihrer Leistung eine zeitgleiche Übertragung des Tarifabschlusses verdient. Vor dem Hintergrund der unabweisbaren Konsolidierungspflichten konnten wir jedoch über den erreichten Kompromiss „volle Höhe - zeitliche Verschiebung“ nicht hinausgehen.
Ich hoffe darauf, dass Sie nach diesen Erläuterungen dafür Verständnis finden können.
Mit freundlichen Grüßen
Uli Sckerl