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Hans-Ulrich Riedel
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Frage von Ulrich S. •

Frage an Hans-Ulrich Riedel von Ulrich S. bezüglich Bildung und Erziehung

1.Sind Sie für die Ganztagesschule?
2.Sind Sie für die Gesamtschule
3.Sind Sie für Förderung vom Privatschulen?
4.Welche Maßnahmen wollen Sie unternehmen um die schlechten Ergebnisse der Berliner Schulen zu verbessern.

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Antwort von
DIE LINKE

Lieber Ulrich Schlüter,

nun hat es doch etwas länger gedauert - tut mir leid.

Zur Sache:

Ich trete seit 1969 für die Gesamtschule ein, die ich aber nie als Ersatz für die Gymnasien verstanden habe - und ehrlich gesagt hatte ich von einer Gesamtschule auch eine andere Vorstellung als die Realität nachher gezeigt hat (meine Frau hat an einer Gesamtschule gearbeitet).

Und ebenso bin ich grundsätzlich für eine Ganztagsschule, soweit in den Tagesablauf einer solchen Schule andere gesellschaftliche Kräfte wie z.B. Sportvereine eingebunden sind - und die Schule nicht zu einem "closed shop" verkommt.

Aber insgesamt ist mir die Diskussion zu diesen Themen, die ja auch Grundlage Ihrer Fragestellung sind, zu formal bzw. zu organisatorisch und viel zu wenig inhaltlich.

Gleiche Chancen für alle kann nicht heißen, dass für alle Schüler - gleich welche Begabung bzw. gleich welches Leistungspotential einzelne Schüler in verschiedenen Alterstufen haben - grundsätzlich dasselbe angeboten wird. Der zu vermittelnde Stoff nimmt stetig zu, Erziehungsaufgaben werden - zum großen Teil auf Wunsch der Eltern - auf die Schule verlagert und damit auf die Lehrer, die dafür gar nicht ausgebildet sind. Gleichzeitig wird aber die Schulzeit verkürzt. Kann das funktionieren ?

Müssen wir uns nicht fragen, welche Inhalte bevorzugt in die Lehrpläne eingearbeitet werden müssen und welche eventuell zurückgestellt werden können ? Ist es andererseits nicht notwendig, gerade bei der Entwicklung von Lehrrahmenplänen die Schule und damit die Schüler vor Modeerscheinungen zu schützen ?

Macht die Schule heute eigentlich noch fit für´s Leben oder gilt der alte Spruch "nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir" nicht mehr ?

Und was meint eigentlich: "Schlechte Ergebnisse" ? Geht es hier nur um die Bewertung von abfragbarem Wissen oder werden z.B. soziale Kompetenz und selbständiges Arbeiten auch als Ergebnis berücksichtigt ?

Ich finde, dass das neue Schulgesetz von seiner Anlage her durchaus in die richtige Richtung geht, auch wenn man sich fragen muss, ob eine "kombinierte Haupt- und Realschule" nicht letztlich einer Gesamtschule ohne gymnasialer Oberstufe entspricht. Das Problem ist wohl eher die Umsetzung und speziell die Ausstattung der Schulen mit Geld und Lehrkräften.

Die Förderung von Privatschulen ist letztlich nur die logische Konsequenz einer viele Jahre andauernden, unzureichenden Bildungspolitik, die dazu geführt hat, dass Eltern in das staatliche Schulsystem kein Vertrauen mehr haben - und dass Eltern für ihre Kinder das Bestmögliche wollen, ist ja wohl eine Selbstverständlichkeit. Wenn ich aber die öffentlichen Schulen nicht auf dem bestmöglichen Stand halte, muss ich - um der gesellschaftlichen Aufgabe "Bildung" nachzukommen - eben Privatschulen fördern.

Ich glaube, dass die ganze Misere unter anderem auf einem Mißverständnis der späten 60er Jahre der vorigen Jahrhunderts beruht: die damalige Forderung nach Chancengleichheit meinte selbstverständlich, dass eine optimale Schulbildung nicht nur den Kindern aus vermögendem Elternhaus zukommen sollte - nicht nur der "Elite", Schule sollte in genau diesem Sinne nicht mehr elitär sein.

Damit war aber keinesfalls gemeint, dass man keine Elite mehr ausbilden sollte, wie es heute vielfach verstanden wird, nur sollte halt jedes Kind die Chance erhalten, eine entsprechende Ausbildung zu bekommen - wohlgemerkt die Chance, nicht die Garantie. Denn was ist die bedrückende Konsequenz ? Eltern, die im öffentlichen Schulsystem nicht mehr die Möglichkeit erkennen, dass ihr Kind seinem Leistungspotential entsprechend ausgebildet wird, sind unzufrieden. Diejenigen, die sich das leisten können, wählen in der Folge eine Privatschule - andere können das nicht. Das Einkommensgefälle bildet sich in der Schulbildung demzufolge heute stärker ab, als vor 35 Jahren - wie gerade im Zuge internationaler Untersuchungen festgestellt wurde.

Erreicht wurde also ungefähr das Gegenteil von dem, was vor 35 Jahren eigentlich gedacht war - letztlich, so jedenfalls meine Meinung, weil zu formal und zu wenig inhaltlich an die diversen Bildungsreförmchen herangegangen wurde.

Ich finde schon aus diesem Grunde die Aussage der Linkspartei im Landeswahlprogramm sehr zufriedenstellend, weil hier eben nicht einfach gesagt wird: "Wir übernehmen ab morgen das finnische Modell", sondern eine Erprobungsphase vorangeschaltet werden soll, um festzustellen, welche Teile des skandinavischen Bildungssystems sinnvoll übernommen werden können - und welche nicht.

Klar ist nur eins: wir können es uns nicht einen einzigen Tag länger erlauben, im Bereich der Bildung die Zügel schleifen zu lassen - und damit meine ich Kita, Schule, Hochschule und berufliche Aus- und Weiterbildung gleichermaßen. Lassen Sie mich zum Schluß darauf hinweisen, dass ich bereits in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts - wie gegen Windmühlenflügel - dafür gekämpft habe, dass die Kita als pädagogische Einrichtung begriffen wird.

Schön wenn andere das irgendwann auch erkennen - und sei es nach 35 Jahren.

Mit besten Grüßen
Hans-Ulrich Riedel