1. Bildung
2. Wirtschaft
3. Sozialstaat
1. Bildung
Kita und Schule sind Ländersache. Für Jugendliche stellt sich überdies die entscheidende Frage: Was kommt danach?
Aus meiner Sicht fristet die berufliche Bildung seit vielen Jahren in der politischen Diskussion ein Schattendasein - und genau das muss sich ändern.
Eine Forderung wird aktuell ungefähr 40 Jahre alt. Es ist die Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe. Diese Forderung wurde nie wirklich konkretisiert. Abgabe klingt immer erst einmal nach Erhöhung des Spielraumes der öffentlichen Haushalte. Darum darf es aber nicht gehen.
Es wird übersehen, dass das duale System der Berufsausbildung gar nicht so dual ist. Es gibt - und das schon seit längerer Zeit - mindestens drei Parteien in diesem System: die berufsbildenden Schulen, die Ausbildungsbetriebe in den Bereichen Kleingewerbe, Mittelstand und freie Berufe, und als dritte Partei diejenigen (Groß)betriebe, die keine Ausbildungsplätze anbieten - oder zumindest doch immer weniger.
Eine Ausbildungsplatzabgabe ist dann - und nur dann - sinnvoll, wenn die Betriebe mit zu geringer Auszubildendenzahl zu eben dieser Abgabe verpflichtet werden, die damit eingesammelten Gelder aber dann nicht im Staatssäckl verschwinden, sondern in die berufliche Ausbildung investiert werden, d.h. wesentlich in die Ausbildungsbetriebe und in die berufsbildenden Schulen.
Aber das allein genügt nicht. Die Ausbildungssituation hat sich geändert und ist inhaltlich ständigen Neuerungen unterworfen. Es gibt mittlerweile sogenannte Verbundausbildungen, an denen mehrere Träger beteiligt sind. Und es gibt sogenannte Modularisierungen, also Ausbildungsbausteine. Denen steht allerdings eine Praxis mit unbezahlten, und vor allem unbewerteten Betriebspraktika gegenüber.
Hinzu kommt die Situation der Jugendlichen, denen heute niemand mehr ein Verbleiben im erlernten Beruf garantieren kann. Dieser Umstand - und die Unübersichtlichkeit des Angebotes (sofern ausreichende Angebote vorhanden sind) - machen es den Jugendlichen schwer, eine adäquate Auswahl zu treffen.
Erinnern wir uns an die Ausbildungsplätze großer Unternehmen vor einigen Jahrzehnten: Auszubildende durchliefen diverse Stationen innerhalb des Unternehmens und wurden jeweils von den in ihrem Teilbereich versierten Ausbildungsmeistern geschult. Die Qualität deutscher Berufsausbildung war sprichwörtlich, den Auszubildenden ging nichts verloren, denn jede Station war Teil des Ausbildungsplanes.
Um eine derartige Qualität wieder zu erreichen ist es notwendig, im Rahmen einer Verbundausbildung die Auszubildenden durch mehrere kleinere Betriebe zu begleiten, die jeweils in ihrer Kernkompetenz ausbilden. Gleichzeitig muss im Rahmen der Modularisierung der Ausbildung dafür Sorge getragen werden, dass jedes Modul auch entsprechend zertifiziert wird, damit eben keine Ausbildungszeiten verloren gehen. Und die Berufsbildung insgesamt muss so reformiert werden, dass fließende Übergänge während der Ausbildung von einem in andere, verwandte Ausbildungsgänge möglich werden - ohne unbezahlte Betriebspraktika.
Und oberhalb dieser beruflichen Erstausbildung muss es eine Instanz geben, die berufliche Weiterbildung auf hohem und flexiblem Niveau organisiert. Hierzu bedarf es keiner fachlich universellen Einrichtung wie der Universität. Aber es bedarf einer "Integrierten Fachhochschule", an welcher berufliche Zusatzqualifikationen ebenso vermittelt werden, wie die Befähigung zum Ausbilder nach AEVO, Vorbereitungskurse für die Meisterprüfung, Weiterbildungsmaßnahmen zum Techniker und sogenannte Bachelor-Studiengänge, die z.B. dem Ingenieur (FH) entsprechen.
2. Wirtschaft
Die aktuelle Diskussion wird in aller Regel geführt über die Staatsquote. Wie hoch darf der Anteil des Staates an wirtschaftlichen Prozessen sein. Dass diese Staatsquote in Deutschland mittlerweile ohnehin schon bedeutend niedriger ist als in vergleichbaren Staaten, sei hier nur am Rande erwähnt.
Wichtiger scheint mir, dass hier mindestens fünf Bereiche unzulässig durcheinandergeworfen werden.
Zweifelsfrei gibt es Staatsaufgaben hoheitlicher Art, die auch in den Händen des Staates bleiben sollten. Welche dies sind, mag Anlass für intensive politische Auseinandersetzungen sein. Wirklich bestreiten kann dies niemand. Und bei allem Verständnis für die Wirtschaftlichkeit auch solcher Unternehmungen muss gelten: dies lässt sich nicht betriebswirtschaftlich messen. Wenn die Feuerwehr einen Brand löscht, dürfen Überlegungen der Kosteneinsparung keine aktuelle Rolle spielen.
Schon der Bereich der sogenannten Privatwirtschaft fällt aber in drei Teile, die differenziert betrachtet werden müssen.
Da ist zunächst der Unternehmer, in der Regel im Kleingewerbe oder im Mittelstand zuhause. Ein Unternehmer war lange Zeit eine natürliche Person, die für ihr Tun mit dem privaten Vermögen zu haften hatte. Der Versuch, sich dieser Haftung durch die Gründung einer GmbH zu entziehen, scheitert in der Regel an gesetzlicher Haftung (z.B. Sozialversicherung) und an den Banken, die die persönliche Haftung des Geschäftsführers verlangen, wenn sie Kredite ausreichen sollen.
Ein - in welcher Form auch immer - persönlich haftender Unternehmer muss aber immer die langfristige Entwicklung seines Unternehmens im Auge haben, die Qualität seiner Mitarbeiter sicherstellen, und diese durch entsprechende Einkommen halten.
Nicht so eine managementgeführte Kapitalgesellschaft. Hier werden Manager (Fremdwort für überbezahlte Führungskräfte ohne Fachwissen) dafür "entlohnt", dass sie das kurzsichtige Profitmaximierungsinteresse der Kapitaleigner befriedigen. Nach dem "Top-Down-Prinzip" (von oben nach unten) werden anhand von "Benchmarks" (eigentlich das Revierabstecken eines Hundes an der Parkbank) sogenannte "Milestones" erlassen, die dann im Betrieb umgesetzt werden müssen, um z.B. die eine oder andere Milliarde an Personalkosten einzusparen.
Das ein persönlich haftender Unternehmer und ein überbezahlter Manager nicht miteinander verglichen werden können, sollte auf der Hand liegen.
Aber es gibt noch eine dritte Gruppe: die Freiberufler. Hierzu zählen niedergelassene Ärzte und Anwälte, Architekten, Künstler, aber auch Landwirte. Das was sie ursprünglich von den anderen Akteuren des Wirtschaftslebens unterschied oder zumindest unterscheiden sollte, war das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht. Damit ist nicht gemeint, das Freiberufler am Hungertuche nagen sollten, wie es teilweise heute der Fall ist. Im Gegenteil: aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation und ihrer "Berufung" (im Sinne von Beruf), z.B. zur Nahrungsmittelversorgung oder zur medizinischen Versorgung, wurde ihnen ein vergleichsweise hohes Einkommen zugestanden. Nur über dieses Einkommen hinaus sollten sie ohne weitere Gewinne kalkulieren, waren und sind teilweise durch öffentliche Gebührenordnungen geschützt - und waren im Gegenzug mit einem Werbeverbot belegt.
Konsequenterweise zahlten sie keine Gewerbesteuer - und zahlen sie auch heute noch nicht.
Diese Gruppe der Freiberufler befindet sich in Auflösung: der eine Teil ergeht sich in der Profitorientierung (und zahlt trotzdem keine Gewerbesteuer), was die Qualität nicht eben fördert, weil Qualitätsförderung unnötig Geld kostet. Der andere Teil fällt zunehmend in prekäre wirtschaftliche Verhältnisse, 100.000de müssen bereits "aufstocken", d.h. zusätzliches Einkommen nach dem Sozialgesetzbuch in Anspruch nehmen.
Und ein fünfter Bereich wird heute so wenig behandelt, dass nicht einmal mehr aussagekräftige Statistiken erhältlich sind. Es ist der Bereich der Gemeinwirtschaft, also derjenigen Wirtschaftsakteure, die im steuerrechtlichen Sinne gemeinnützig tätig sind. Bis in die späten 70er Jahre hinein gab es einen starken gemeinwirtschaftlichen Sektor in Deutschland, getragen vom Kapital der Gewerkschaften. Die Konsum-Kette (später Coop) versorgte die Menschen auch im Westteil der BRD mit preiswerten Lebensmitteln, die Volksfürsorge sorgte für bezahlbaren Versicherungsschutz, die Bank für Gemeinwirtschaft finanzierte den Sektor und stand auch Privatkunden und kleinen Selbständigen zur Verfügung und die Neue Heimat versorgte die Bevölkerung lange Zeit mit Wohnungen auf einem erträglichen Mietniveau.
Gleichzeitig waren die großen Gemeinnützigen Auftraggeber für die private Wirtschaft. Denn die Wohnungen wurden von Handwerksfirmen gebaut, auf Rechnung der Neuen Heimat. Und der Konsum war eine Handelskette, die die Lebensmittel nicht selber herstellte.
Da die Gemeinnützigen aber ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig waren, sparten die Bürgerinnen und Bürger beim Konsum - und konnten sich so auf entsprechend niedrige Lohnabschlüsse einlassen, was wiederum der "Wirtschaft" zugute kam. Ohne diesen Sektor hätte das bundesdeutsche Wirtschaftswunder nicht stattgefunden.
Die aktuelle Krise sollte dafür genutzt werden, das zukünftige Gefüge der deutschen Wirtschaft neu zu diskutieren, und dabei ruhig auf Bewährtes zurückgreifen. Nicht alles kann eins zu eins aus der näheren Vergangenheit übernommen werden, aber eins muss wieder klar werden: die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt.
3. Entwicklung des Sozialstaates
Es ist natürlich kein Zufall, dass der Sozialstaat in unmittelbarer Nähe zum Thema Wirtschaft diskutiert wird. Nicht jeder arbeitet im Sinne wirtschaftlicher Tätigkeit, aber jeder muss sein Leben finanzieren. Es geht um Umverteilung des gemeinsam erwirtschafteten Wohlstandes - und davon haben wir hinreichend in Deutschland, nur die Verteilung will nicht mehr recht funktionieren.
Die unzähligen Diskussionen über "Sozialmissbrauch", über "Niedriglohnsektor" und "Mini-Jobs", über "HARTZ IV" und "Rente mit 67" übersehen eine rechtliche Normierung, die nach wie vor (noch) existiert: in der Zivilprozessordnung (ZPO) ist festgelegt, welches Einkommen für eine "der Situation angemessene und bescheidene Haushaltsführung" angemessen ist. Dies ist nämlich die Formulierung, die die Tabellen zum nichtpfändbaren Anteil des Einkommens einleitet.
Selbst dem "Schuldner" räumt der Gesetzgeber diesen Anteil ein: für einen Alleinstehenden ohne Unterhaltsverpflichtungen liegt dieser Satz derzeit bei netto 989,99 € pro Monat.
Wie kann es also sein, dass Sozialtransferleistungen nach SGB II, Stundenlöhne im Niedriglohnsektor und/oder Rentenanwartschaften unter diesem Satz liegen? Ist ein HARTZ IV-Empfänger, ein Rentner oder eine Arbeiter mit Mini-Job weniger wert als ein Schuldner?
In der LINKEN. wird zur Frage der Grundabsicherung der Bürgerinnen und Bürger eine heftige Diskussion geführt. Dem Gedanken einer bedarfsgerechten Grundsicherung, also einem Folgemodell für HARTZ IV auf höherem Niveau und ohne Sanktionsmechanismen, steht das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle gegenüber.
Es ist gut, dass diese Diskussion geführt wird, denn für beide Seiten gibt es wichtige Argumente. Und es ist besser, sich mit einer solchen Diskussion Zeit zu lassen, als erneut ein handwerklich vermurkstes Gesetz wie die HARTZ-Gesetze zu erlassen, und damit die deutschen Gerichte an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit zu bringen.
Ich persönlich tendiere eher zum Modell des bedingungslosen Grundeinkommens, insbesondere weil damit die unzähligen Arbeitsstunden, die in Deutschland im Bereich des Ehrenamtes, des sozialen Engagaments, der Elternarbeit, der sportlichen Betreuung von Kindern - und auch im gesellschaftlichen Engagement in Politik und Gewerkschaften bzw. Verbänden - in angemessener Form Berücksichtigung finden würden.
Der Wert einer Arbeit bemisst sich nicht am erzielbaren Preis für ihr Ergebnis - nicht einmal in der "freien Wirtschaft", dazu werden vielzuviele andere Faktoren in den Endpreis einkalkuliert (z.B. Provisionen).
Parallel zur Diskussion über die zukünftige Struktur unserer Wirtschaft muss die zukünftige Ausgestaltung unseres Sozialstaates diskutiert und geplant werden. Und lassen Sie sich nicht erzählen, das wäre nicht finanzierbar. Spätestens die aktuelle Krise mit ihren Milliarden-Schutzschirmen und Millionen-Abfindungen macht deutlich, wieviel Geld verfügbar ist, wenn man nur will.