Frage an Hans-Jürgen Thies von Marius M. bezüglich Gesundheit
Hallo Herr Thies,
was ist Ihre Position bzw. was sind Ihre Gedanken, die Patente für die Corona Impfstoffe nicht freizugegeben?
Ich denke dies könnte den Herstellungsprozess deutlich beschleunigen. In anderen Branchen wie bei Software oder Herstellung von technischen Geräten bleiben den Unternehmen auch lediglich ein technologievorsprung von max. einem Jahr.
Warum nicht hier einen geregelten Prozess der Lizenzierung schaffen? Hier geht es schließlich um Menschenleben und nicht "nur" die Maximierung des Unternehmensumsatzes.
Ich kann verstehen allerdings auch verstehen, dass Bedenken vorliegen. Mögen Sie die Ihren darlegen?
Was mich allerdings noch eher interessiert ist, was ist die Alternative diese Patente nicht offenzulegen?
Möglicherweise eine staatliche Produktion, im dem der Staat das Risiko trägt und in diesem Fall auch mal die Gewinne einstreicht?
Anstatt wie in anderen Fällen Bankenrettungen nur Schulden zu solidarisieren. Natürlich sollen auch die Erfinder und Entwickler partizipieren, aber in einem gesunden Maß. Wenn man 1,2,3 vielleicht auch 5€ pro Dosis weiterleitet entsteht schnell eine Summe die Einzelne Personen über Generationen nicht mehr ausgeben können.
Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre Gedanken dazu teilen würden.
Vielen Dank!
Marius Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
da sprechen Sie ein Thema an, das man auf den ersten Blick ganz klar beantworten möchte: Patentschutz aufheben, weltweit produzieren, Menschenleben retten, wirtschaftliche Interessen zurückstellen.
Auch rechtlich wäre das möglich, denn:
Der Gesundheitsminister ist gem. § 5 des Infektionsschutzgesetzes (neue Fassung) ermächtigt, einem Patentinhaber den Patentschutz auch gegen dessen Willen vorübergehend zu entziehen und
"nach § 13 Absatz 1 des Patentgesetzes anzuordnen, dass eine Erfindung in Bezug auf eines der in Nummer 4 vor der Aufzählung genannten Produkte im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder im Interesse der Sicherheit des Bundes benutzt werden soll; das Bundesministerium für Gesundheit kann eine nachgeordnete Behörde beauftragen, diese Anordnung zu treffen." Natürlich müsste der Patent-Inhaber dafür entschädigt werden.
Bis heute ist der Staat noch nie so weit gegangen. Und hier kommt die Überlegung auf den zweiten Blick: Betrachten wir zunächst den Grund für den Patentschutz für die Entwicklung Vakzinen und Medikamenten. Der Patentschutz von 20 Jahren soll es dem forschenden Pharmaunternehmen ermöglichen, die Investitionen in Forschung und Entwicklung mit dem Vertrieb des zugelassenen Pharmaprodukt erwirtschaften zu können. Die Erforschung und Entwicklung eines Pharmaproduktes erstreckt sich im Durchschnitt über 3-10 Jahre und ist immer ein hohes unternehmerisches Risiko. Von 30 Forschungsprojekten erreicht durchschnittlich 1 die Zulassungsreife. Wenn Unternehmen, Aktionäre, Banken, private Investoren nicht die Sicherheit haben, dass nach erfolgreicher Zulassung ein 20jähriger Patentschutz garantiert ist, wird das den Anreiz, sich an der millionen- bis milliardenschweren Finanzierung der Entwicklung von Medikamenten zu beteiligen, stark beschädigen. Die Entwicklung der Impfstoffs von BioNTech ist nicht der Erfolg eines Jahres, sondern fußt auf ca. 10 Jahren Vorarbeit zur Entwicklung von mRNA-Impfstoffen, finanziert von privaten Geldgebern ohne die Garantie, dass diese Biotechnologie zum Erfolg führt.
Wenn, wie Sie überlegen, der Staat als Auftraggeber und Investor einspringt, fördert das aller Erfahrung nach nicht die Breite der Produktentwicklung. Außerdem müsste auch er die Freigabe des Patents gegen sich selbst anordnen, wenn es für die öffentliche Wohlfahrt geboten ist, und könnte die von Ihnen erhofften Gewinne nicht einstreichen.
Üblich ist in der Pharmaindustrie die Lizenzvergabe. Die wird auch bereits von einigen der Entwickler der Corona Vakzine, beispielsweise AstraZeneca und Biontech, praktiziert. Die Lizenzvergabe ist bei hochkomplexen Wirkstoffen einer Patentfreigabe vorzuziehen, weil der Lizenzgeber dem Lizenznehmer und Produktionspartner nicht nur die Produktinformation freigibt, sondern auch die Technologie des Herstellungsverfahrens zur Verfügung stellt. Ihre Überlegung geht in Richtung einer Zwangslizenz. Auch die ist nach dem Patentgesetz möglich, wenngleich nicht ganz unaufwändig. Ich stehe solchen Zwangseingriffen in das geistige Eigentum sehr kritisch gegenüber. Ein Staat, der das geistige Eigentum nicht schützt, verliert seine wichtigste Quelle für Innovation!
Aber ganz unabhängig davon sind Patenfreigabe und Zwangslizenz zurzeit völlig ungeeignet, das Problem der Produktionskapazitäten zu lösen. Um die Produktion von Corona-Impfstoffen zu erhöhen und eine globale Versorgung zu erreichen, muss der Zugang zu den Rohstoffen, die für die Herstellung gebraucht werden, ermöglicht werden. Es fehlt an Rohstoffen, Fachpersonal, Produktionsstätten - die bekommt man nicht mit der Freigabe der Patente.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Jürgen Thies