Frage an Hans Joachim Schabedoth von Helmut E. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sind Tunesien, Algerien und Marokko sichere Herkunftsländer?
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) lehnt – wie allgemein bekannt – das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ als unvereinbar mit der Genfer Flüchtlingskonvention und einem fairen und individuellen Asylverfahren ab.
Das deutsche Grundgesetz lässt das Konzept des sicheren Herkunftsstaates jedoch unter strengen Vorgaben zu. Nach diesen Vorgaben muss sichergestellt sein, dass ein Herkunftsstaat nur dann als sicher eingestuft werden darf, wenn u. a. dort die Anwendung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten nachgewiesen ist.
Für alle drei oben genannten Länder hat AI jedoch in einer Stellungnahme an den Innenausschuss dargelegt, dass die strengen Vorgaben des Grundgesetzes nicht erfüllt sind. Die wesentlichen Verstöße gegen die Vorgaben des Grundgesetzes betreffen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Folter und erniedrigende Behandlung, die sexuelle Selbstbestimmung, den fehlenden Zugang internationaler Organisationen zur Prüfung der Menschenrechtsstandards, und die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Schließen Sie sich der Bewertung von Amnesty International an und halten Sie die genannten Staaten auch nicht als sichere Herkunftsstaaten im Sinne des Grundgesetzes und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts?
Sehr geehrter Herr E.,
vielen Dank für Ihre Frage zu den sogenannten „Maghreb-Staaten“.
Im Mai 2016 wurde die Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten im Bundestag beschlossen. Der Bundesrat hat die Zustimmung zu diesem Gesetz jedoch im März dieses Jahres abgelehnt. Die SPD-Fraktion hatte sich im Gesetzgebungsverfahren mit der Rechtslage, der Rechtsanwendung und den politischen Verhältnissen vor Ort auseinandergesetzt und Für und Wider gründlich abgewogen.
Auch wenn sich die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge im Frühjahr 2016 bereits deutlich verringert hatte, war der Rückstau der Asylanträge enorm. Menschen aus Marokko, Algerien oder Tunesien warten im Schnitt weit über ein Jahr bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag – der in den meisten Fällen abgelehnt wird: Die Anerkennungsquote für tunesische Antragsteller lag 2015 bei gerade einmal 0,2 Prozent, bei algerischen Asylbewerbern bei 1,7 und bei marokkanischen bei 3,7 Prozent. Alle anderen Anträge werden abgelehnt. Die Einordnung dieser drei Länder als sichere Herkunftsstaaten sollte ermöglichen, dass Asylbewerber, die nur eine geringe Chance auf Anerkennung haben, künftig rascher eine Entscheidung erhalten und damit schneller wissen, ob sie in unserem Land eine Perspektive haben. Damit sollten auch Bund, Länder und Kommunen entlastet werden, damit sie die gewonnenen Kapazitäten für die tatsächlich schutzbedürftigen Asylsuchenden verwenden können.
Das Recht auf eine individuelle Prüfung im Asylverfahren würde durch die Beschleunigung des Verfahrens im Übrigen nicht berührt: Verfolgte aus sicheren Herkunftsstaaten könnten damit nach wie vor Asyl- oder Flüchtlingsschutz in Deutschland erhalten – unabhängig von der Einstufung ihres Herkunftsstaates als sicher. Jede Antragstellerin und jede Antragsteller wird individuell angehört und kann die Vermutung, dass das Herkunftsland sicher ist, widerlegen.
Um die Verfahren im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dauerhaft zu beschleunigen, brauchen wir dort mehr Personal und Sachmittel. Nur dann können die Anträge schnell und angemessen bearbeitet werden. Nur dann bekommen die Schutzsuchenden schnell eine Entscheidung darüber, wer bleiben darf und wer nicht. Das BAMF baut bereits seit Ende 2016 erneut Stellen ab. Dadurch werden die Verfahrenszeiten wieder länger. Eine ordentliche Bearbeitung der Anträge inklusive Identifizierung der Personen, die den Antrag stellen, ist dadurch gefährdet. Verantwortlich dafür ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
Zudem müssen wir endlich zwischen Asyl und Einwanderung unterscheiden. Für Menschen, die bei uns in erster Linie Arbeit suchen, ist das Asylsystem der falsche Weg. Mit einem Einwanderungsgesetz wollen wir transparent regeln, wer aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland einwandern darf. Wir wollen ein flexibles und an der Nachfrage nach Fachkräften orientiertes Punktesystem nach kanadischem Modell einführen. Dabei werden Kriterien wie berufliche Abschlüsse, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Alter und Integrationsfähigkeit berücksichtigt. Wer ausreichend fachliche Qualifikationen und ein Jobangebot hat, kann nach Deutschland einwandern. Die Union hat bisher unsere Vorschläge für ein Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln blockiert. Wenn auch Sie sich für ein verständliches Einwanderungsgesetz aussprechen, kann ich Ihnen nur raten: Wenden Sie sich an die Union und fordern Sie es!
Damit die Zahl der Flüchtlinge langfristig sinkt, müssen wir darüber hinaus die Lebensbedingungen für die Menschen vor Ort in den Herkunftsländern verbessern. Wir wollen alle EU-Staaten bei der Aufnahme Geflüchteter in die Pflicht nehmen und brauchen zudem eine europäische Afrikastrategie: Nur durch fairen Handel, effizientere Entwicklungshilfe und einen Stopp der Waffenverkäufe in Krisenregionen kann es eine wirtschaftliche Perspektive für Afrika und ein Ende der Flüchtlingskrise geben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Joachim Schabedoth