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Hans-Joachim Hacker
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Frage von August M. •

Frage an Hans-Joachim Hacker von August M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Hallo Herr Hacker!
Sie wurden über die Landes- Parteienliste in den Bundestag gewäht. Sie müssten doch auch eigentlich den Willen des Volkes und insbesondere der SPD- Ortsvereinsmitglieder aus Ihrem Wahlkreis durchsetzen. Warum aber machen Sie genau das Gegenteil?
Auszug aus einem Artikel der Schweriner Volkszeitung vom 27.01.2011:

Gegen die Verlängerung von Afghanistan-Mandat

Der SPD-Ortsverein des Schweriner Bundestagsabgeordneten Hans-Joachim Hacker hat den SPD-Politiker aufgefordert, am Freitag bei der namentlichen Abstimmung gegen eine Fortsetzung des Bundeswehrmandats für Afghanistan zu stimmen. "Wir halten die Position der schwarz-gelben Bundesregierung, den Einsatz immer weiter zu verlängern, ohne ein konkretes Abzugsdatum zu nennen, für untragbar", heißt es in einer Presseerklärung von gestern Abend. "Wir wissen, dass auch viele Menschen in unserem Land den Bundeswehreinsatz für falsch halten. Wir denken, dass dies für dich ein wichtiger Maßstab deines Handelns (Hans-Joachim Hacker - d. Red.) als unser Bundestagsabgeordneter sein sollte."

Es gibt genug Berufspolitiker wie Sie, die, wenn sie erst einmal im Bundestag sitzen, die Meinung und Wünsche des Volkes und der eigenen Parteigenossen ignorieren. Gegen eine Verlängerung des Afghanistaneinsatzes ISAF ist sogar der Ministerpräsitent von MV Herr Sellering (auch SPD). Ihr jahrelanges Abstimmungsverhalten zu den (jetzigen) Kriegseinsätzen der Bundeswehr im Ausland können die Menschen gerade in MV und auch in den anderen Bundesländern nicht verstehen. Was Sie, Herr Hacker gerade jetzt gemacht haben, ist ein Schlag ins Gesicht vieler Wähler und insbesondere der SPD- Mitgleider des Ortsvereines.

Moldenhauer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Moldenhauer,

die SPD-Bundestagsfraktion hat es sich mit der Entscheidung für eine Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan nicht leicht gemacht – ich selbst auch nicht. Die Entscheidung ist letztlich eine Gewissensentscheidung – egal ob dafür oder dagegen. Eine Gewissensentscheidung kann aber wohl kaum von einem Parteitagsbeschluss vorgegeben werden. Das galt auch bei den anderen Parteien so. Mit „Ja“ haben nicht nur die Parlamentarier von CDU, CSU und FDP gestimmt, sondern die große Mehrheit der SPD-Bundestagsabgeordneten sowie neun Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen. Nur 20 Abgeordnete der SPD-Fraktion haben mit „Nein“ gestimmt.
Tatsächlich habe ich berücksichtigt, mit welchen Argumenten wir bereits in den vergangenen Jahren für den Einsatz gestimmt haben und welche neuen Entwicklungen zu berücksichtigen sind.
Über viele Jahre hat die SPD in unterschiedlichen Regierungsbündnissen Verantwortung für das deutsche Afghanistan-Engagement getragen. Zu dieser Verantwortung stehen wir auch als größte Oppositionspartei. Wir wissen, dass die Entwicklung in Afghanistan keinen Anlass zu übertriebenem Optimismus gibt. Die Sicherheitslage ist nach wie vor kritisch. Der zivile Wiederaufbau kommt voran, leidet aber immer noch unter einer wenig effizienten afghanischen Verwaltung auf zentraler und regionaler Ebene und grassierender Korruption. Die Entwicklung der Wirtschaft, insbesondere der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes wird durch die Dominanz des Drogenanbaus und –handels in einigen Landesteilen behindert. Der Prozess der innerafghanischen Aussöhnung steht noch am Anfang, die diplomatischen Bemühungen um eine regionale Stabilisierung der Lage müssen dringend intensiviert werden.
Diese Entwicklung machte es dringend notwendig, viele Fehleinschätzungen der Vergangenheit zu korrigieren: den anfangs zu geringen militärischen Kräfteeinsatz (insbesondere durch die Konzentration der USA auf ihren völkerrechtswidrigen Irak-Krieg), die zu geringen Mittel für den wirtschaftlichen und zivilen Aufbau und nicht zuletzt die Realitätsverweigerung im Umgang mit den Bürgerkriegsparteien. Als die SPD vor etwa einem Jahr im Rahmen ihrer ersten Afghanistan-Konferenz eine neue Strategie Deutschlands und der internationalen Staatengemeinschaft im Afghanistan-Konflikt forderte, hagelte es öffentliche Kritik vor allem aus den Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP.

Im Mittelpunkt des von der SPD geforderten Strategiewechsels steht eine schrittweise Übergabe der Sicherheits- und Aufbauverantwortung von den internationalen Streitkräften der ISAF an die afghanische Regierung und Regionalverwaltung. Damit soll nach fast 10 Jahren des UN-Einsatzes nicht nur der wachsenden „Kriegsmüdigkeit“ der afghanischen Bevölkerung entsprochen und einer zunehmenden Ablehnung der dauerhaften internationalen Truppenpräsenz entgegen gewirkt werden. Es soll vor allem dabei geholfen werden, die Legitimität und Handlungsfähigkeit der afghanischen Regierung und Verwaltung in Afghanistan zu erhöhen und für die afghanische Bevölkerung auch glaubhaft erfahrbar werden zu lassen.
Die Kernpunkte der SPD-Forderungen nach einem Strategiewechsel hatte bereits der damalige Außenminister der Großen Koalition, Frank-Walter Steinmeier, im September 2009 entworfen:

• Verdoppelung der zivilen Aufbauprogramme, um eine wirtschaftliche Grundlage für das Überleben ohne Drogenanbau, Kriminalität oder Terrorunterstützung zu ermöglichen.
• Stärkere Bekämpfung der Korruption.
• Einleitung eines Versöhnungsprozesses unter Einschluss der Taliban, wenn sie auf Gewalt und Terror verzichten sowie die afghanische Verfassung respektieren.
• Deutliche Erhöhung der Ausbildungsanstrengungen für afghanische Armee und Polizei.
• Schrittweise Übergabe von Regionen in die Sicherheitsverantwortung der afghanischen Regierung und damit der afghanischen Armee und Polizei. In diesem Zusammenhang beginnender Rückzug der Bundeswehr im Jahr 2011.
• Beendigung der Beteiligung der Bundeswehr an Kampfhandlungen in Afghanistan im Zeitraum 2013 –2015.

Heute können wir feststellen: Dieser Strategiewechsel war nicht nur dringend notwendig, sondern er hat sich auch durchgesetzt, weil viele andere Nationen zu gleichen Schlussfolgerungen gekommen sind. Wir fühlen uns durch die internationale Entwicklung in unserer Position bestätigt. Sowohl die Kabuler Afghanistankonferenz im Juli 2010 als auch der NATO-Gipfel in Lissabon am 20. November haben das Jahr 2014 als Datum für die vollständige Übergabe der Sicherheitsverantwortung und damit für die Beendigung des militärischen Einsatzes im Rahmen von ISAF festgelegt. US-Präsident Obama hat gerade zum wiederholten Mal bestätigt, dass die USA im Juli 2011 mit dem Rückzug ihrer Truppen beginnen werden. Damit sind auch die Kritiker aus den Reihen der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP widerlegt, die uns für diese Position vor einem Jahr noch scharf kritisiert hatten.

Wie können wir mit „Nein“ stimmen, wenn genau dieser Strategiewechsel, den wir selbst gefordert haben, mit diesem Mandat vollzogen werden soll?

Es besteht eine realistische Chance, den seit neun Jahren andauernden Einsatz der Bundeswehr auf verantwortungsvolle Weise und in Abstimmung mit den internationalen Partnern in absehbarer Zeit zu beenden. Voraussetzung ist, dass beim Strategiewechsel Kurs gehalten wird. Das militärische Engagement muss schrittweise in den Hintergrund rücken, der Wiederaufbau, die wirtschaftliche Entwicklung und eine nachhaltige politische Regelung des Konfliktes müssen noch stärker in den Mittelpunkt der internationalen Bemühungen gestellt werden; die gewählte afghanische Regierung muss hier ihrer politischen Verantwortung gerecht werden.
Um diesen vollzogenen Strategiewechsel glaubhaft werden zu lassen und einen entsprechenden politischen Druck zu entfalten, ist allerdings auch ein klarer Zeitplan für die Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch die afghanische Regierung und ihre staatliche Armee und Polizei notwendig. Dazu gehört neben dem Enddatum 2014 für die Beteiligung internationaler Truppen an Kampfhandlungen in Afghanistan auch ein klarer Zeitplan ab 2011 für die konkreten Schritte der Übergabe der Sicherheitsverantwortung in den jeweiligen Städten, Distrikten und Provinzen. Dieser Zeitplan muss zur entscheidenden Grundlage für die Planungen sowohl in der Ausbildung und Qualifizierung der afghanischen Sicherheitskräfte als auch des internationalen zivilen und militärischen Einsatzes werden. Der Druck dieses Zeitplans muss auch dazu beitragen, die unterschiedlichen Gruppen und Ethnien in Afghanistan zur Zusammenarbeit zu bewegen. Auf der Grundlage der Erfahrungen der kommenden Monate muss dieser Zeitplan spätestens Ende des Jahres 2011 vorliegen und schrittweise umgesetzt werden.

Unsere Zustimmung zur Neu-Mandatierung erfolgt für maximal zwölf Monate. Sie ist verbunden mit dem klaren Auftrag, den eingeleiteten Strategiewechsel, der eine verantwortbare Abzugsperspektive öffnet, konsequent umzusetzen. Während der kommenden zwölf Monate wird die SPD-Bundestagsfraktion sorgfältig darauf achten, ob die Bundesregierung ihre gemachten Zusagen einhält. Dies gilt insbesondere für die notwendige Übergabe beruhigter Regionen in afghanische Verantwortung und weitere Vorbereitungen für die jetzt auch von der Bundesregierung für 2011 in Aussicht gestellte Truppenreduzierung in Afghanistan.

Ob hier Wort gehalten wird, ist eine Frage der Glaubwürdigkeit und des Verhältnisses von Parlament und Regierung im Umgang mit dem schwierigen Thema der Auslandseinsätze und wird nicht nur mit Blick auf künftige ISAF-Mandate, sondern bei allen künftigen Mandatsentscheidungen eine entscheidende Rolle spielen. Um es klar zu sagen: Die Bundesregierung muss ihre Zusagen einhalten! Andernfalls kann die Bundesregierung im kommenden Jahr nicht mehr mit unserer Zustimmung zu einer weiteren deutschen Beteiligung an ISAF rechnen.

Mit freundlichen Grüßen
Hans-Joachim Hacker, MdB