Frage an Hans-Joachim Hacker von Konrad S. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Hacker,
der SPD-Parteivorstand hat am 30.08.2010 den Leitantrag "Deutschland besser regieren! Neues Wachstum - Unser Projekt für ein faires Deutschland" beschlossen. Darin wird neben einer gerechten Wohlstandsverteilung, der Nachhaltigkeit von Wohlstand und sozialem Zusammenhalt besonders die Notwendigkeit des quantitativen Wirtschaftswachstums in den Mittelpunkt gerückt. Daher meine Frage: Inwiefern führt für Sie wirtschaftliches Wachstum zu Wohlstand (auch nicht materiellen)? Ist Wirtschaftswachstum für die SPD in jedem Fall positiv und wünschenswert, auch wenn dieses möglicherweise Schaden anrichtet oder sogar Wohlstand vernichtet (beispielsweise durch die Abwrackprämie, wodurch einerseits die Automobilindustrie über die Krise gerettet wurde, andererseits hunderttausende zumeist fahrtüchtige Kraftfahrzeuge zerstört wurden, wobei der Umwelt immenser Schaden zugefügt wurde, da 80-90 % aller Umweltschädigungen bei der Produktion des Autos entstehen)?
Vgl. Wenkel, Abwrackprämie; http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4127985,00.html
Mit freundlichen Grüßen
Konrad Schröder
Sehr geehrter Herr Schröder,
vielen Dank für Ihre Fragen.
Die SPD-Bundestagsfraktion und der SPD-Parteivorstand haben sich insbesondere aufgrund der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise intensiv mit Fragen eines nachhaltigen Wohlstands beschäftigt. Im Mittelpunkt steht dabei, wie mit den bisherigen Wirtschaftsmodellen Nachhaltigkeit erzielt werden kann. Es geht dabei nicht nur um die Fragen, ob und wie wirtschaftliches Wachstum zu Wohlstand führt. Es geht um einen neuen Fortschrittsbegriff, den wir eingedenk der Wirtschafts- und Finanzkrise, des Klimawandels, der demografischen Entwicklung und des Vertrauensverlustes in der Bevölkerung entwickeln müssen.
Sowohl Wachstumskritiker als auch Befürworter von Wachstum sind sich zumindest in einem Punkt einig: Derzeit gibt es im weltweit dominierenden Wirtschafts- und Sozialmodell einen strukturell begründeten Zwang zu ständigem Wachstum. Bleibt nämlich das Wachstum aus, entstehen gravierende wirtschaftliche und gesellschaftliche Problemen auf dem Arbeitsmarkt, bei der Finanzierung der Sozialsysteme und bei der Staatsverschuldung. Alterssicherung, die Kranken- und Arbeitslosenversicherung sind – ob umlagefinanziert oder kapitalgedeckt – Wachstumszwängen ausgesetzt. Dieser Zwang bestimmt das politische Handeln und verleitet Regierungen immer wieder dazu, kurzfristig ökologisch und sozial schädliches Wachstum zu befördern. Gleichzeitig scheinen unsere Gesellschaften an Wachstumsgrenzen zu stoßen, sie erreichen kaum mehr so hohe Wachstumsraten wie viele Schwellenländer.
Wir brauchen eine breite Diskussion darüber, welches Wachstum wir überhaupt wollen, wie wir Lebensqualität sichern und Teilhabe aller an der Entwicklung organisieren können. Aus diesem Grund haben wir gemeinsam mit der grünen Bundestagsfraktion einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, eine Enquête-Kommission „Wohlstand, Wachstum, Lebensqualität“ beim Deutschen Bundestag einzurichten. Die Kommission soll eine Bestandsaufnahme bisheriger Maßstäbe von Fortschritt bzw. Wohlstand sowie ihrer Defizite vornehmen und die zentralen Dimensionen von Lebensqualität und gesellschaftlichem Fortschritt definieren und ihre Einflussfaktoren bestimmen. Ein neues Leitbild von Wirtschaften, das soziale Teilhabe, ökonomische Stärke und ökologische Nachhaltigkeit vereint, lässt sich jedoch weder allein durch wissenschaftliche Erkenntnis noch durch politische Verordnung im Handeln von Individuen und Gesellschaften verankern. Neues Wirtschaften braucht grundlegende gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Die Enquête-Kommission soll diese kulturellen Dimensionen erforschen und Vorschläge erarbeiten, um die notwendigen gesellschaftlichen Debatten und Veränderungen, auch durch politische Rahmensetzungen, zu befördern. Am Ende müssen konkrete Handlungsempfehlungen für eine nationale und internationale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik stehen. Den genauen Auftrag für die Enquête-Kommission können Sie der Bundestags-Drucksache 17/2950 entnehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Joachim Hacker, MdB