Wie wollen Sie die vom Bundesverfassungsgericht dem Staat nahegelegte „fördernde Neutralität“ gegenüber Religionen und Weltanschauungen ausbauen (Stichwörter: Kirchensteuer, Missbrauch, Arbeitsrecht)?
Lieber Herr M.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die „fördernde Neutralität“, die sie in Ihrer Frage ansprechen, fordert den Staat dazu auf, die gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität nicht als eine distanzierende, sondern als eine fördernde zu verstehen. Also: Sich mit keiner einzelnen Weltanschauung gemein zu machen, sondern stattdessen alle Weltanschauungen gleichermaßen zu fördern, also Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern. (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 93, 1 <16>).
Da einzelne Weltanschauungen, darunter zuallererst die beiden christlichen Kirchen, in der Bundesrepublik Deutschland historisch am präsentesten waren, haben diese eine besonders gewachsene Beziehung zum Staat. Diese wollen wir Grüne, wo nötig, der gesellschaftlichen Realität anpassen. So fordern wir Grüne etwa in unserem Bundestagswahlprogramm, dass das kirchliche Arbeitsrecht reformiert und die gewerkschaftliche Mitbestimmung gefördert wird. Und auch die vielen Gläubigen, die sich für eine notwendige Modernisierung der christlichen Kirchen einsetzen und auf eine lückenlose Aufklärung der Fälle sexualisierter Gewalt dringen, unterstützen wir. (vgl. Wahlprogramm 2021, S. 175).
An der Erhebung der Kirchensteuer durch den Staat möchten wir Grüne grundsätzlich festhalten, haben jedoch bereits verschiedene Änderungsvorschläge diskutiert. So wollen wir zum Beispiel die Gebühr für Kirchenaustritte abschaffen. Außerdem wollen wir, dass andere Spendenbeiträge für religiöse, mildtätige oder gemeinnützige Zwecke analog zur Kirchensteuer voll von der Einkommenssteuer absetzbar sind. Unseren Parteitagsbeschluss zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit finden Sie hier: https://cms.gruene.de/uploads/documents/RW-01_Religions-_und_Weltanschauungsfreiheit.pdf
Herzliche Grüße
Hanna Steinmüller