Frage von Ottjörg C. •

Sollte der UN Menschernrechtsgerichtshof Israels Vorgehen in Gaza als Genozid verurteilen, wären Sie dann für eine gerichtliche Verfolgung derer, die dies ermöglicht haben auch durch Deutsche Waffen?

Hanna Steinmüller
Antwort von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Lieber Herr O., 

Vielen Dank für Ihre Frage.

Lassen Sie mich zunächst sagen: Die Ereignisse in Israel und im Gaza-Streifen seit dem 07. Oktober 2023 haben auf beiden Seiten des Konflikts traumatische Dimensionen und werden eine Zäsur im politischen Nahen Osten darstellen. 

Seit Beginn des Konflikts haben wir Grüne im Bundestag humanitäre Waffenruhen gefordert, in der Hoffnung, dass sie letztendlich auf einen verhandelten Waffenstillstand und langfristig in eine politische Lösung münden. Umso erleichterter sind wir nun über den Abschluss des monatelang erarbeiteten Friedensabkommens, verfolgen die Situation aber weiterhin kritisch. 

Viel zu viele unschuldige Menschen sind beim Gegenschlag Israels im Gaza-Streifen gestorben oder schwer verwundet worden. Gleichsam verstoßen der Angriff auf unschuldige Zivilisten in Israel sowie der Missbrauch von Zivilisten als Schutzschilde im Gaza-Streifen durch die Hamas und die Nutzung ziviler oder medizinischer Einrichtungen als militärische Infrastruktur ebenfalls gegen alle Regeln des humanitären Völkerrechts. Das heißt aber auch, dass wir mit den israelischen Gesprächspartnern, egal auf welcher Ebene, weiterhin in engem Austausch bleiben müssen und wollen, um kurzfristig für eine Verbesserung der humanitären Lage einzutreten und langfristig für eine politische Lösung des Konflikts zu werben. Dieses politische Engagement ist nötig unabhängig von Haftbefehlen des IStGH.

Das betrifft auch die schwierige Frage von Waffenlieferungen an Israel. Während in der Öffentlichkeit von manchen ein Stopp jeglicher Waffenlieferungen gefordert wird, fordern andere, dass Israel gerade von Deutschland umfassend und auch vorbehaltslos mit Waffenlieferungen unterstützt werden muss. Wir unterstützen Israel bei seinem Recht auf Selbstverteidigung, jedoch haben wir stets nachdrücklich gefordert, dass dies im Rahmen des humanitären Völkerrechts ausgeübt wird. Einen Rüstungsexportstopp nach Israel gibt es nicht, aber jeder Einzelfall wird sehr gründlich geprüft – unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen. Grundsätzlich trifft die Entscheidungen dazu der 9-köpfige Bundessicherheitsrat einvernehmlich. Die Genehmigungszahlen deuten darauf hin, dass die Bundesregierung auch vor dem Hintergrund des Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) hier sehr vorsichtig ist. 

Vizekanzler Robert Habeck hat Israels Vorgehen im Gaza-Krieg als völkerrechtswidrig kritisiert. "Selbstverständlich muss Israel sich an das Völkerrecht halten. Und die Hungersnot, das Leid der palästinensischen Bevölkerung, die Angriffe im Gazastreifen sind – wie wir jetzt auch ja gerichtlich sehen – mit dem Völkerrecht nicht vereinbar", sagte Habeck in einem Bürgergespräch beim Demokratiefest anlässlich des 75-jährigen Grundgesetz-Jubiläums in Berlin. "Das heißt, es ist in der Tat so, dass Israel dort Grenzen überschritten hat, und das darf es nicht tun." Außenministerin Baerbock beschrieb die humanitäre Situation in Gaza als „Hölle auf Erden“. „Die Palästinenserinnen und Palästinenser sehnen sich nach einem eigenen Staat, der ihnen Heimat und Hoffnung gibt. Im Rahmen eines Friedensprozesses steht die Anerkennung dieses Staates. Das ist unsere klare Haltung.“ Sie und andere Vertreter*innen der Bundesregierung, wie Luise Amtsberg, die Beauftrage der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, setzten sich fortlaufend dafür ein, dass deutlich mehr dringend notwendige humanitäre Hilfe in den Gaza-Streifen gelangt.

Der Gerichtshof verpflichtete Israel dazu Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord in Gaza zu verhindern. Zu den angeordneten Maßnahmen zählen u.a. dass dringend benötigte Grundversorgung und humanitärer Hilfe sichergestellt werden muss, die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen ist und öffentlichen Anstachelungen zum Genozid in Israel nachgegangen und sanktioniert werden müssen. Ministerin Baerbock hat noch am selben Tag bekräftigt, dass diese Anordnungen völkerrechtlich verbindlich sind. Gleichsam hat der IGH deutlich gemacht, dass Israels Krieg im Gazastreifen Gaza auf den Hamas-Terror des 7. Oktobers folge, und daran erinnert, dass auch Hamas an das humanitäre Völkerrecht gebunden sei. Zudem müssten die israelischen Geiseln freigelassen werden. Diesen Forderungen schließen wir Grüne im Bundestag uns an.

Bei der schwierigen Abwägung zwischen der grundsätzlichen Unterstützung des Staates Israels und der Verpflichtung gegenüber den völkerrechtlichen Institutionen, die Personen einer aktuellen Regierung anklagen, hat die Außenministerin klar betont, dass Deutschland sich an Recht und Gesetz hält, das Völkerrecht achtet und die Unabhängigkeit des IStGH und seiner Ermittlungen. „Die Bundesregierung hält sich an Recht und Gesetz, weil niemand über dem Gesetz steht“, sagte sie am Rande eines Treffens der G7-Außenminister in Italien Ende November 2024. „Es gilt die Unabhängigkeit der Justiz, die in diesem Fall zu dem Schluss gekommen ist, dass es hinreichend Indizien für sie gibt, diesen Schritt jetzt zu unternehmen.“

Dies ist auch die Position der Grünen Bundestagsfraktion. Deutschland darf gerade jetzt nicht zu einer Erosion dieser lang erarbeiteten Prinzipien und multilateralen Institutionen beitragen, erst recht nicht in einer Zeit, wo diese besonders gefährdet sind. Das ist nicht nur eine Frage der nationalen Glaubwürdigkeit, sondern auch der internationalen Gerechtigkeit und am Ende ein Faktor von Verlässlichkeit und langfristiger Stabilität weltweit, auf die wir alle angewiesen sind.

Freundliche Grüße

Hanna Steinmüller

 

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