Frage an Halina Wawzyniak von Andreas T. bezüglich Recht
Sehr geehrter Frau Wawzyniak
Für den durchschnittlichen Bundesbürger gehört es nicht zum Alltag, Verträge abzuschließen, den Erwerb von Konsumgütern natürlich ausgeschlossen. Wenn es doch einmal vorkommt, ist er in der Regel überfordert, weil er die juristischen Formulierungen nicht versteht. Auch die Umfänge der Verträge werden immer länger und überfordern ihn zusätzlich. Ansonsten bewegen wir uns oft völlig gedankenlos im Alltag, ohne darüber nachzudenken, ob wir gegen bestehende Gesetze oder Verordnungen verstoßen. Dies ist aber keine Missachtung der aktuellen Rechtsordnung, sondern der Unmöglichkeit geschuldet, unsere Gesetze und Verordnungen in ihrer Gesamtheit zu kennen, geschweige denn zu verstehen. Der Bürger lernt die Einhaltung von Gesetzen nicht durch deren Verständnis, sondern durch Strafen. Was nicht bestraft wird, ist nicht existent. Wenn eine Rechtsordnung ausufert, so dass man für jedes Themenfeld Fachanwälte benötigt, dient sie nicht dem friedlichen Zusammenleben der Menschen, sondern der Bereicherung von Eliten. Das Abschließen von Verträgen mit Kinder ist unzulässig, weil sie die Tragweite nicht verstehen können. Ist das Beschließen von Gesetzen und Verträgen zulässig, wenn nicht alle Abgeordneten die Tragweite erfassen können? Nach meiner Einschätzung ist das bei der Fülle der Beschlüsse allein zeittechnisch unmöglich.
Wieviel Prozent der Abgeordneten müssen ihrer Meinung nach eine Beschlussvorlage verstehen, damit sie Vertragsverbindlichkeit erlangt?
Wieviel Prozent der Bevölkerung müssen Gesetze verstehen können, damit sie Gültigkeit besitzen können, ober anders herum, ab wieviel Prozent Unverständnis sind Strafen nicht mehr gerechtfertigt.
Mit freundlichen grüßen
Andreas Teichmann
Sehr geehrter Herr Teichmann,
ich danke Ihnen für Ihre Anfrage, mit der Sie ein schwieriges und ziemlich komplexes Thema ansprechen. Ich denke es ist notwendig, Gesetzes- und Rechtsverständnis von Abgeordneten und Bürger*innen getrennt zu betrachten. Denn ja, es ist möglich, Gesetze zu beschließen, auch dann, wenn nicht alle Abgeordneten vollständig erfasst haben, worum im Detail es geht. Das parlamentarische System ermöglicht durch die Arbeit in Arbeitsgruppen, Arbeitskreisen, Ausschüssen und Fraktionen, durch Anhörungen und Expertengespräche zu jedem Thema ausreichend Sachkenntnis, um verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Das heißt, in vielen Fragen verlassen sich Abgeordnete dann auf das, was die Fraktionskolleg*innen in den jeweiligen Gremien erarbeitet haben und für die Beschlussfassung empfehlen. Sie haben völlig Recht, dass es nicht nur unmöglich erscheint sondern auch unmöglich ist, dass alle Abgeordnete sämtliche Gesetzesvorhaben und Anträge in ihrer Komplexität durchdringen und studieren können. Wäre dem so, bräuchte es keine Ausschüsse. Was die Unmöglichkeit für Bürger*innen anbelangt, die Gesetze und Verordnungen in ihrer Gesamtheit zu kennen, so haben Sie natürlich Recht: Auch dies ist unmöglich. Daraus abzuleiten, dass es einer bestimmten Prozentzahl von Menschen bedürfe, die ein Gesetz verstehen müssen, damit das Gesetz überhaupt Gültigkeit erhält, ist allerdings falsch. Mal abgesehen davon, dass es wohl kaum eine denkbare Möglichkeit gibt, das Gesetzesverständnis aller Bürger*innen abzufragen, muss auch angemerkt werden, dass dies nicht notwendig ist.
Was allerdings dringend notwendig ist – und vielleicht zielt Ihre Frage ja auch in die Richtung: Bei allem, was das alltägliche Handeln der Menschen betrifft – egal, ob es Verträge sind oder ihr Verhalten im öffentlichen Raum betrifft – ist es notwendig, ihnen verständlich und nachvollziehbar die Regeln und Vorschriften zu erklären. Das mannigfaltige Kauderwelsch des sogenannten Kleingedruckten ist dieser Anforderung weiterhin oft abträglich. Und ebenso oft fehlt es auch an ausreichenden Anstrengungen seitens der Politik, den Menschen zu erklären, warum dies so und jenes anders gemacht und geregelt wird. Eine Rechtsordnung, ein Strafgesetz oder andere Gesetze werden allerdings nie in einer so einfachen Sprache formuliert sein können, dass jede und jeder sie versteht. Und genauso, wie es Computerfachmenschen gibt, die einem erklären, warum was nicht funktioniert, wird es immer auch Anwält*innen geben, die einem in komplizierten Rechtsfragen helfen. Ich halte das nicht für eine Bereicherung von Eliten, wie Sie schreiben.
Mit freundlichen Grüßen
Halina Wawzyniak