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Halina Wawzyniak
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Frage von Lutz L. •

Frage an Halina Wawzyniak von Lutz L. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Wawzyniak,
in Antworten zu Fragen zum Rechtsstaat haben sie auf die Verfassungsbeschwerde und einen Gesetzentwurf zur Selbstverwaltung der Justiz verwiesen.
Viele Verfassungsbeschwerden werden ohne Begründung nicht angenommen. Sind Ihnen die Gründe für die hohe Abweisungsrate ohne Begründung bekannt? Sehen Sie trotzdem die Rechtsstaatsgarantie und Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung als gesichert an?
Die richterliche Unabhängigkeit ist ein Grundrecht zur Verhinderung von willkürlichen Eingriffen in die objektive Entscheidungsfindung der Richter. Sehen Sie mit der Sicherstellung der Unabhängigkeit der Richter den Ausschluss von Willkür und Verletzung von Rechten der Rechtsuchenden gewährleistet?
Rechtswidrige Handlungen von Richtern sind nur im Fall einer Strafbarkeit als Rechtsbeugung definiert. Wird derzeit Rechtsbeugung im erforderlichen Maße verfolgt? Ist aus Ihrer Sicht sichergestellt, dass im normalen Instanzenzug Rechtsbeugung als Mittel zur Absicherung vorheriger, gerichtlicher Fehler ausgeschlossen werden kann?
Die Dienstaufsicht soll u.a. die Pflichterfüllung der Richter sicherstellen. Hierzu gehört auch die Einhaltung der ZPO/StPO. Sind Sie der Auffassung, dass die Pflichten aus ZPO/StPO durch Richter umfassend eingehalten werden? Sollen Verletzungen der Rechte von Beteiligten aus der ZPO/StPO nur im Falle einer vom verletzenden Richter selbst zu beurteilenden Entscheidungserheblichkeit beachtet werden? Ist die Dienstaufsicht wegen der richterlichen Unabhängigkeit daran gehindert, bei Verstössen gegen die ZPO/StPO richterliches Handeln zu überprüfen? Sollten Verfahrensbeteiligte nach einer Dienstaufsichtsbeschwerde das Recht auf umfassende Auskünfte zum beschwerten Sachverhalt erhalten?
Kann die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz den Ausschluss von Willkür durch Richter sichergestellen?
Würden Sie sich für Evaluationen, wie sie z.B. vom Strafrechtler Karl Peters um 1960 betrieben wurden, einsetzen?
Dankeschön
L.Lippke

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Lippke,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die dazu verleiten könnte, eine umfassende Arbeit über die aufgeworfenen Fragen zu schreiben. Sehen Sie mir bitte nach, wenn ich an einigen Stellen nur fragmentarisch antworte.

Das Bundesverfassungsgericht klagt schon seit längerem darüber, dass es mit Verfassungsbeschwerden und anderen Klagearten überhäuft wird. Bei der Neufassung des Bundeswahlrechts war dies in den Debatten zur Klagemöglichkeit für Parteien, die nicht als solche anerkannt werden, deshalb auch immer Debattenthema. Wie Sie sicherlich wissen, gab es deshalb vor einigen Jahren auch eine Debatte um eine sog. "Mutwillensgebühr". DIE LINKE hat einer solchen Mutwillensgebühr stets widersprochen, da es schon eine Missbrauchsgebühr gibt. Es muss sicherlich ein Weg gefunden werden, wie jede/r den Rechtsweg beschreiten kann - auch zum BVerfG - und auf der anderen Seite dennoch effektiver Rechtsschutz gewährt ist. Aus der Statistik des Bundesverfassungsgerichts ( http://www.bundesverfassungsgericht.de/organisation/gb2013/B-III-4.html ) ergibt sich zunächst, wieviele Verfassungsbeschwerden seit 2007 eingegangen, wieviele bearbeitet und wieviele noch offen sind. Schon jetzt ist erkennbar, dass die Zahl der Verfassungsbeschwerden eher steigt denn sinkt. Nach § 93a Abs. 1 BVerfGG bedarf eine Verfassungsbeschwerde der Annahme. Die Voraussetzungen für eine Annahme stehen ebenfalls auf der Website des BVerfG ( http://www.bundesverfassungsgericht.de/organisation/vb_merkblatt.html ). Soweit ich das ersehen kann, geht es bei der Abweisungsrate ohne Begründung häufig darum, dass entweder eine gefestigte Rechtsprechung vorliegt oder der Rechtsweg noch nicht erschöpft ist. Die Entscheidungen der Gerichte dauern aus Sicht der Betroffenen sicherlich zu lange, ob hier das Gesetz gegen überlange Verfahrensdauer eine Erleichterung bringt, wird sich in Zukunft zeigen. Dennoch kann ich derzeit nicht erkennen, dass die Rechtsstaatsgarantie oder die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung nicht gesichert sein sollte.

DIE LINKE sieht die tatsächliche richterliche Unabhängigkeit derzeit als nicht umfassend gewährleistet an. Deshalb haben wir in der vergangenen Legislaturperiode einen umfassenden Gesetzentwurf vorgelegt. Wir würden allerdings nicht formulieren, dass es die Unabhängigkeit der Richter/innen überhaupt nicht gibt. Die richterliche Unabhängigkeit allein sichert keinen Ausschluss von Willkür und sie sichert auch nicht die Unverletzlichkeit von Rechtssuchenden. Hierzu ist beispielsweise ein barrierefreier Zugang zu Gerichten ebenso wie eine vernünftige und sachgerechte Prozesskostenhilfe, die Rechtssuchende mit geringem Einkommen und ohne Rechtsschutzversicherung nicht benachteiligt, erforderlich.

Derzeit sehe ich keinen Handlungsbedarf, Gesetzesveränderungen im Hinblick auf Rechtsbeugung vorzunehmen. Ich sehe auch nicht, dass es eine massenhafte Verletzung von Rechten aus der StPO/ZPO gibt. Ob im Rahmen einer Verletzung von Rechten aus den Prozessordnungen eine Dienstaufsichtsbeschwerde das angemessene Mittel ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Ich persönlich denke eher, dass im Rahmen des Instanzenzuges (soweit er eröffnet ist) ausreichend Korrekturmöglichkeiten bestehen.

Ob die Unabhängigkeit der Justiz Willkür verhindern kann, ist eine hypothetische Frage. Sie unterstellt ja in gewisser Weise auch, dass Willkür recht oft vorkommt. Diese Einschätzung vermag ich nicht zu teilen. Allerdings stellt sich ja auch die Frage, was unter Willkür verstanden wird. Richter/innen sind auch Menschen und gerade im Hinblick auf die Beweiswürdigung, zum Beispiel die Frage der Glaubwürdigkeit von Zeugen, gibt es einen subjektiven Beurteilungsspielraum, der schwer nachprüfbar ist. Was da einige als Willkür ansehen, werden andere als völlig angemessen verstehen.

Der Begriff Evaluierung im Hinblick auf die Untersuchungen von Karl Peters ist aus meiner Sicht nicht ganz zutreffend. Karl Peters hat im Auftrag des Bundesjustizministeriums eine systematische Aufbereitung von Justizirrtümern vorgenommen. Dies ist etwas anderes als eine Evaluierung der Prozessordnungen. DIE LINKE wird sich aber im Jahr 2015 noch einmal umfassend mit der Strafprozessordnung befassen und diese auf Novellierungsbedarf untersuchen.

Mit freundlichen Grüßen

Halina Wawzyniak