Frage an Hakki Keskin von Maria B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Keskin,
meine Fragen an Sie lauten:
1. wann wird die Türkei Ihrer Meinung nach den Genozid an den Armeniern endlich anerkennen, wenn sie EU-Vollmitglied werden will?
Ende-2006 wurde in Frankreich das sogenannte "Armenier-Gesetz" in die Nationalversammlung eingebracht, das die Leugnung des Genozid an den Armeniern im 1.Weltkrieg durch die Türken per Gesetz unter Strafe stellt.
2. Wird "Die Linke" einen solchen (überfälligen) Gesetzentwurf auch in Deutschland vorantreiben, um einheitliche europäische Völker- und Menschenrechtsstandards anzustreben?
3. Leugnen Sie den Holocaust der Deutschen an den Juden?
4. Leugnen Sie den vergleichbaren Holocaust der Türken an den Armeniern?
5. Vertreten Sie im Deutschen Bundestag die Interessen der Türkei?
Hochachtungsvoll
Maria Bojan
Sehr geehrte Frau Bojan,
vielen Dank für Ihre interessanten Fragen, die ich wie folgt beantworte:
zu 1.)
Für die begonnenen Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei ist die Erfüllung der sog. Kopenhagener Kriterien ausschlaggebend. Wie Sie vielleicht wissen, gehört diese Frage nicht zu diesem Verhandlungspaket und ist somit auch kein offizielles Kriterium für einen möglichen EU-Beitritt der Türkei.
zu 2.)
Der Deutsche Bundestag hat bereits im Jahr 2005 eine entsprechende Resolution verabschiedet, die sich mit dieser Thematik ausführlich beschäftigt und auf deren Basis der in der Tat längst überfällige Dialog zwischen beiden Gruppen in Deutschland geführt werden könnte. Da ich mich persönlich stets für das Zustandekommen einer triparitätischen Historikerkommission eingesetzt habe, welche die Aussöhnung zwischen Armeniern und Türken fördern soll, war ich sehr erfreut, dass dieser Vorschlag von der Bundestagsresolution aufgegriffen wurde.
zu 3.)
Diese Frage ist für mich ehrlich gesagt nicht nachvollziehbar: der Holocaust am europäischen Judentum ist ein schier unvergleichliches Verbrechen in der Menschheitsgeschichte. Kein Demokrat würde dieses Verbrechen je leugnen, mir selbst käme dergleichen nie in den Sinn.
zu 4.)
Die Singularität des Holocausts am europäischen Judentum ist für mich nicht verhandelbar. Die Einzigartigkeit dieses Massenverbrechens beruht auf der Existenz einer kommerziellen Vernichtungsindustrie, die ihr ideologisch motiviertes Werk als profitables Geschäft betrieb. Dergleichen hat es weder vor noch nach dem Holocaust gegeben. Eine Gleichsetzung mit anderen politisch motivierten Verbrechen wäre folglich gleichbedeutend mit einer Relativierung des Holocausts, wie dies häufig nationalistische und rechtsextreme Kräfte in Deutschland propagieren. Ich bin (wie alle meine Kolleg(inn)en von der Fraktion Die LINKE.) ein entschiedener Gegner jeglicher Form von Holocaust-Relativierung oder gar Holocaust-Leugnung.
zu 5.)
Als gewählter Abgeordneter des Deutschen Bundestags vertrete ich prinzipiell nur die Interessen der Wählerinnen und Wähler in Deutschland und nicht die Interessen eines anderen Landes, das ohnehin sehr gute diplomatische Beziehungen zur Bundesrepubik unterhält und daher nicht im Geringsten auf mich angewiesen ist.
In der Hoffnung, Ihre Fragen damit beantwortet zu haben verbleibe ich
Hochachtungsvoll
Prof. Dr. Hakki Keskin