Frage an Hakki Keskin von Ulrich S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Lieber Herr Abgeordneter Keskin,
bezüglich Ihrer Äußerungen zum Genozid an den Armeniern in der Türkei möchte ich Sie gerne fragen, worauf sich Ihre Zweifel an diesem historischen Faktum gründen. Welche Rolle spielt Ihr persönlicher Migrationshintergrund bei solchen Äußerungen?
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Schlie
Sehr geehrter Herr Schlie,
vielen Dank für Ihre interessante Frage. Meine Position zu diesem Thema ist durchaus differenzierter, als unlängst darüber in der Presse berichtet wurde. Ich habe nie bestritten, dass eine immens große Anzahl von Armeniern während der Vertreibung im Jahr 1915 umgekommen ist. Allerdings wurde in der Debatte der letzten Jahre der Entstehungskontext, der zu dieser folgenschweren Zwangsvertreibung führte, komplett ignoriert.
Kritikwürdig ist für mich vor allem die vereinseitigte Sichtweise, wonach ausschließlich Armenier umgekommen und ausschließlich Türken die Täter gewesen sein sollen. Es hat im Rahmen dieser Ereignisse auch mehrere Hunderttausende Tote unter der muslimischen Bevölkerung (vor allem unter Türken und Kurden) gegeben. Die Zahl umgekommener Armenier liegt in jedem Fall deutlich darüber. Dennoch wird eine von außen auferlegte Sichtweise, in der die türkischen und kurdischen Opfer schlichtweg nicht vorkommen, von der überwältigen Mehrheit der Türken nicht akzeptiert. Denn dies widerspricht oftmals dem eigenen Erlebten vorhandener türkischer Zeitzeugen und der an die nachfolgenden Generationen weiter gegebenen Erfahrungen. Dies betrifft mich durchaus auch persönlich. Infolgedessen haben sich heute zwei weitgehend konträre Sichtweisen verfestigt, von denen in Deutschland meistens nur die armenische Version rezipiert wird.
Erschwerend kommt hinzu, dass viele der zwischenzeitlich außerhalb der Türkei geborenen und aufgewachsenen Türkischstämmigen überhaupt keine Kenntnisse über die damaligen Ereignisse besitzen. Ich denke, es ist nachvollziehbar, dass diese Menschen zunächst einmal wissen wollen, was damals tatsächlich passiert ist und nicht einfach unhinterfragt die armenische Sichtweise übernehmen wollen.
Aus den genannten Gründen halte ich eine intensive wissenschaftliche Forschung für notwendig, um eine authentische Rekonstruktion der Geschehnisse und deren abschließende Bewertung zu ermöglichen. Ein derart zustande gekommenes Ergebnis würde ich vorbehaltlos akzeptieren und mir zu eigen machen.
In der Hoffnung, mit meinen Ausführungen Ihre Frage beantwortet zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüssen
Prof. Dr. Hakki Keskin