Wie denken Sie über die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland? Wer kann bestimmen, ob diese eingesetzt werden?
Wäre es letztlich Donald Trump der über einen Einsatz entscheiden würde?Führen solche Stationierungen nicht dazu, dass künftig viel mehr Raketen auf uns gerichtet werden? Denken Sie, das so eine gefährliche Rüstungsspirale in Gang gesetzt wird? Oder die Gefahr eines Krieges erhöht werden könnte?Sind die Lehren aus der Kubakrise 1962 in Vergessenheit geraten? Als damals sowjetische Atomraketen auf Kuba stationiert werden sollten, kam es fast zu einem atomaren Weltkrieg.Wäre es nicht gefährlich für uns, falls die US-Regierung mit diesen Raketen eine militärische Überlegenheit erreichen will? *Ist nicht wirkliche Sicherheit durch Abrüstung und Diplomatie zu erreichen? Wie denken Sie darüber?* In US-Strategiepapieren wie dem „Joint Vision 2020“ spielen Überlegungen zu einer „Überlegenheit auf breiter Front“ (im Original: Full spectrum dominance) eine Rolle.
https://de.wikipedia.org/wiki/Joint_Vision_2020MfG

Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die Sicherheit Deutschlands und Europas ist für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten von zentraler Bedeutung. Frieden und Sicherheit basieren dabei immer primär auf Aussöhnung, wirtschaftlicher Verflechtung und Diplomatie. Innerhalb der Europäischen Union hat dieser Ansatz unserem Land eine nie gekannte Epoche des Friedens gesichert. Gegenüber einem expansiven Akteur wie Russland ist die Friedenssicherung aber nicht ohne Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit denkbar. Das gilt in der Ukraine, wo ich mich weiterhin für die Unterstützung des angegriffenen Landes mit Waffenlieferungen einsetze, damit die Ukraine den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg abwehren und aus einer Position der Stärke heraus verhandeln kann. Dies gilt auch in Deutschland, wo wir Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung gewährleisten müssen.
Nun aber zur konkreten Frage der Mittelstreckenraketen. Die Stationierung von Mittelstreckenraketen muss immer im Kontext der sicherheitspolitischen Lage und der gemeinsamen Verteidigungsstrategie unserer Bündnispartner betrachtet werden. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis mit dem Ziel, Frieden und Stabilität in Europa zu gewährleisten.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die Sicherheitslage in Europa drastisch verändert. Russland hat in den vergangenen Jahren massiv aufgerüstet und bereits zahlreiche Mittelstreckenraketen stationiert, die nicht nur die Ukraine, sondern auch NATO-Territorium bedrohen. In dieser neuen sicherheitspolitischen Realität ist es entscheidend, dass Europa handlungsfähig bleibt und seine Verteidigung stärken kann. Denn nur mit einer glaubhaften Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung besteht auch gegenüber einem expansiven Akteur wie Russland die Möglichkeit, wieder auf eine stabile Friedensordnung in Europa zuzusteuern.
Die Entscheidung über den Einsatz solcher Systeme liegt nicht bei einer einzelnen Person, sondern innerhalb klar definierter militärischer und politischer Entscheidungsstrukturen der NATO und ihrer Mitgliedstaaten. Deutschland als souveräner Staat hat ein Mitspracherecht bei jeglicher Stationierung auf seinem Territorium.
Die USA sind unser engster außereuropäischer Partner, und die transatlantischen Beziehungen sind zentral für die europäische und deutsche Außen- und Sicherheitspolitik. Gleichzeitig zeigt sich die Notwendigkeit, dass Europa auch sicherheitspolitisch eigenständiger agieren kann, um seine Handlungsfähigkeit zu stärken.
Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung innerhalb der NATO und im europäischen Verbund stehen dabei meiner Ansicht nach keinesfalls im Gegensatz zu Abrüstung und Diplomatie. So unterstützt die SPD beispielsweise die Stärkung der OSZE, um wieder stärker integrierte Sicherheit in Europa zu gewährleisten.
Auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie haben wir die Komplementarität festgehalten: „Der Erhalt und die Weiterentwicklung der globalen Rüstungskontrollarchitektur, die Reduzierung von Risiken und die Prävention von Eskalation haben weiterhin große Bedeutung für die Bundesregierung. Effektive und verifizierbare Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung und Abrüstung tragen zu unserer Sicherheit bei und sind komplementär zu Abschreckung und Verteidigung.“ (https://www.bmvg.de/resource/blob/5636374/38287252c5442b786ac5d0036ebb237b/nationale-sicherheitsstrategie-data.pdf)
Vor diesem Hintergrund ist die Stationierung von Mittelstreckenraketen zu verstehen. Und vor diesem Hintergrund halte ich sie auch für richtig.
Mit freundlichen Grüßen
Hakan Demir