Frage an Guido Wolf von Klaus B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Wolf,
bekanntlich wurde im Zusammenhang mit der Einführung des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) per 01.01.2004 der § 229 SGB V, leider „stümperhaft“ von SPD/GRÜNE mit Zustimmung der CDU/CSU geändert. Nach der damaligen Gesetzesvorlage BT 15/1525 sollte nämlich nur eine bisherige Umgehungsmöglichkeit beseitigt werden. Und zwar sollten die bisher vor Rentenbeginn gezahlten beitragsfreien Kapitalabfindungen von betriebl. Versorgungsansprüchen ab 01.01.2004 auch beitragspflichtig zur Kranken- und Pflegeversicherung sein (120-Monate-Regelung). Dagegen gibt es auch meinerseits keine Einwände! Das ist Gesetz!
Dass aber ab 01.01.2004 stillschweigend (durch sog. Rechtsfortbildung der GKV und Sozialgerichte) auch die immer schon beitragsfreie Kapitalauszahlung (nicht -abfindung) aus einer Kapitallebensversicherung, die von Arbeitnehmern über eine Direktversicherung aus deren versteuertem und verbeitragtem Nettoeinkommen ohne Arbeitgeberzuschuss und Versorgungszusage angespart wurden, plötzlich nochmals GKV-beitragspflichtig sein soll, sehe ich und Millionen Betroffene als Betrug und ganz üble Abzocke des Gesetzgebers an. Dies muss dringend korrigiert werden!
Meine Frage: Werden Sie sich auf Bundesebene für eine gesetzliche Klarstellung und Korrektur einsetzen, dass Kapitalauszahlungen aus Altverträgen (bei mir Dez. 1977) von Direktversicherungen, die wie eine private Lebensversicherung zu Gunsten des Arbeitnehmers aus seinem versteuertem und verbeitragtem Netto-Einkommen angespart wurden, auch bei einem betrieblichen Bezug nicht als Versorgungsbezug bewertet werden?
Alle Richter haben Verständnis für unsere Klagen betonen aber, dass eine Klarstellung zu § 229 SGB V vom Gesetzgeber zu erfolgen hat. Es kann und darf doch nicht richtig sein, dass man bei Auszahlung seines eigenen Sparvermögen nochmals GKV-Beiträge und dann auch noch in voller Beitragshöhe von ca. 18% über 10 Jahre zahlen muss.
Ihre Rückantwort wird wahlentscheidend für mich sein.
Sehr geehrter Herr Buchholz,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 15. Februar 2016. In Ihrer Anfrage setzen Sie sich kritisch mit der Regelung des § 229 SGB V auseinander. Sie machen deutlich, dass aus Ihrer Sicht zumindest in Bezug auf Altverträge Handlungsbedarf besteht. Ich habe Ihre Eingabe an die Bundesebene weitergegeben und die folgende Stellungnahme erhalten: Versorgungsbezüge unterliegen bereits seit 1983 der Beitragspflicht. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurde im Jahr 2003 die bestehende Ungleichbehandlung von freiwillig Versicherten und Pflichtversicherten beendet. Bis dahin wurde auf Betriebsrenten für pflichtversicherte Rentner nur ein halber Beitrag an die Krankenkassen abgeführt, während für Betriebsrenten bei freiwillig versicherten Rentnern der volle Beitrag gezahlt wurde. Seit dem 1. Januar 2004 wird einheitlich der volle Beitragssatz angewendet. Zudem wurde eine weitere Ungerechtigkeit beseitigt, indem auch auf eine einmalige Auszahlung einer Kapitalabfindung Beiträge zur Krankenversicherung erhoben werden. Die Anwendung des vollen allgemeinen Beitragssatzes auf Betriebsrenten und Versorgungsbezüge sowohl für Pflichtversicherte als auch für freiwillig versicherte Rentner ist in den zurückliegenden Verhandlungen zum GKV-Modernisierungsgesetz im Jahr 2003 damit begründet worden, dass die eigenen Beitragszahlungen der Rentner heute nur noch gut 40 Prozent ihrer Leistungsausgaben in der Krankenversicherung abdeckten. Im Jahr 1973 seien die Leistungsaufwendungen der Krankenkassen für Rentner in den alten Ländern noch zu rund 72 Prozent durch die für sie gezahlten Beiträge gedeckt worden. Um die Belastung der erwerbstätigen Beitragszahler nicht noch stärker ansteigen zu lassen und die Lohnnebenkosten zu senken, sei es erforderlich gewesen, die Rentner wieder verstärkt an der Finanzierung ihrer Leistungsausgaben zu beteiligen. Zudem sind Krankenversicherungsbeiträge auf Betriebsrenten seit jeher alleine vom Versicherten zu tragen. Damit soll die Bereitschaft des Arbeitgebers erhalten und gefördert werden, sich freiwillig am Aufbau einer Betriebsrente mit eigenen finanziellen Aufwendungen zu beteiligen.Der Grundsatz, dass alle beitragspflichtigen Einnahmen zusammen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt werden, besteht weiterhin. Versorgungsbezüge – unabhängig davon, ob sie laufend oder einmalig gezahlt werden – sind als Rente vergleichbare Einnahmen beitragspflichtig, wenn sie auf eine frühere Erwerbstätigkeit des Versorgungsempfängers zurückzuführen sind und bei Eintritt des Versicherungsfalles (Erwerbsminderung oder Alter) ausfallendes Erwerbseinkommen ersetzen oder im Fall des Todes der Sicherung von Hinterbliebenen dienen sollen.Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die genannten Regelungen des § 229 SGB V nicht gegen den Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen. Somit können Kapitalleistungen aus betrieblichen Direktversicherungen Versorgungsbezügen nach § 229 SGB V gleichgestellt und damit der Beitragspflicht unterworfen werden. Dieses sei mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, weil der Gesetzgeber berechtigt ist, jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen. Der Vertrauensschutz der betroffenen Versicherten wird dabei nicht unzumutbar beeinträchtigt. Allerdings bewertet das Bundesverfassungsgericht die vom Bundessozialgericht vorgenommene Typisierung mit Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes als unvereinbar, wonach Zahlungen aus Beiträgen, die der Versicherte nach Ende seines Arbeitsverhältnisses auf eine auf ihn als Versicherungsnehmer übertragene Kapitallebensversicherung eingezahlt hat, als betriebliche Altersversorgung zu werten, obwohl der Gesetzgeber Erträge aus privaten Lebensversicherungen pflichtversicherter Rentner keiner Beitragspflicht unterwirft.Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Teil einer Direktversicherung, der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und nach Einrücken des Arbeitnehmers in die Stellung des Versicherungsnehmers und von ihm allein gezahlte Beiträge nicht der Beitragspflicht unterliegen. Demnach haben in Zukunft die Versicherungsunternehmen, die diese Daten vorliegen haben, die Zeiten der gemeinsamen Einzahlung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesondert an die Krankenversicherung zu melden.Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung ist diesem Beschluss bereits gefolgt und hat in einem Rundschreiben an die gesetzlichen Krankenversicherungen zur Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts bereits dahingehend informiert, dass der Teil der Versorgungsleistung, der auf Beiträgen beruht, die der Bezugsberechtigte als Versicherungsnehmer für die Zeit nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses auf den Lebensversicherungsvertrag eingezahlt hat, nicht als Versorgungsbezug im Sinne des § 229 SGB V anzusehen sind. Daraus folgt auch, dass zu Unrecht entrichtete Beiträge im Rahmen des § 256 Abs. 2 SGB V zu erstatten sind. Die Erstattung steht dabei dem Mitglied zu.Der Beitragspflicht, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der einzelnen Beitragszahler berücksichtigt, steht als Gegenleistung der Bestand des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber. Die Versicherten sind im Rahmen des Solidaritätsprinzips an der Finanzierung der GKV beteiligt und erhalten hierfür den umfassenden Krankenversicherungsschutz.Eine Expertenanhörung des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag am 27. Januar 2016 hat gezeigt, dass ein Beibehalten der jetzigen gesetzlichen Regelung weiterhin notwendig ist. Es wurde deutlich, dass wir ein Gesundheitswesen haben, das allen Versicherten eine moderne und gute Versorgung zur Verfügung stellt. Um dies auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des medizinischen Fortschritts zu gewährleisten, wird der heutigen Generation von Beitragszahlern aber ein größerer Solidarbeitrag für die heute älteren Versicherten abverlangt, als den vorangegangen Generationen. Mit dem Blick auf die Generationengerechtigkeit kann ein noch größerer Solidarbeitrag, wie er bei einer Abschaffung der Beitragspflicht auf Betriebsrenten und Versorgungsbezüge zwangsläufig nötig wäre, nicht gerechtfertigt werden. Insbesondere nicht, da die älteren Versicherten heute aufgrund des medizinischen Fortschritts eine spürbar qualifiziertere Gesundheitsversorgung als die von ihnen mitfinanzierten vorangegangen Generationen erhalten. Und das, obwohl der Finanzierungsanteil der Rentner an den von ihnen verursachten Ausgaben - nach einem zwischenzeitlichen Anstieg – wieder auf jenes Niveau gesunken ist, aufgrund dessen die kritisierten Maßnahmen ergriffen wurden.Es ist mir bewusst, dass diese Antwort für Sie nur schwer nachvollziehbar ist. In Anbetracht der Ergebnisse der Expertenanhörung vom 27. Januar 2016 ist jedoch derzeit davon auszugehen, dass ein Vorstoß nicht erfolgreich sein wird. Ich bitte hierfür um ihr Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen
Guido Wolf MdL