Hallo Herr Görtz. Ich habe soeben erfahren, dass Menschen (!), die in der Schule mit dem Schwerpunkt "geistige Entwicklung" gefördert werden, keinen Schulabschluss machen dürfen. Warum nicht?
Ich finde es respektlos, dass eine solche Regelung, da sie Mitmenschen in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich bewußt ausschließt, nicht ihrer Würde (Art. 1 GG und 1. Moses 1,27) entsprechend behandelt. Liege ich da falsch oder sollte (nicht nur) christliche Politik dagegen steuern?
Sehr geehrter Herr S.,
zunächst danke ich Ihnen herzlich für Ihre Frage und für Ihr engagiertes Eintreten für Menschen mit Handicap.
Es trifft nicht zu, dass Menschen mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung keinen Schulabschluss machen dürfen. Hier ist zunächst zwischen zielgleichen und zieldifferenten Aspekten zu unterscheiden.
Zielgleich bedeutet, dass alle das gleiche Lernziel erreichen sollen und Menschen mit Handicap bei Prüfungen etc. einen Nachteilsausgleich erhalten. Zieldifferent beschreibt, dass die entsprechenden Lernziele innerhalb einer Klasse für jede Schülerin und jeden Schüler aufgrund eines sonderpädagogischen Förderbedarfs individuell festgelegt werden.
In der Ausbildungsordnung sonderpädagogische Förderung (AO SF) gibt es den Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung. In dieser Ordnung steht unter Paragrafen § 41 Versetzung, Zeugnisse, wie die Versetzung abläuft und entsprechend auch Zeugnisse vergeben werden:
„(3) Die Schülerin oder der Schüler erhält am Ende der Schulbesuchszeit ein Abschlusszeugnis, das die erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten bescheinigt.“
Quelle: https://bass.schul-welt.de/pdf/6225.pdf
Es wird ein Abschlusszeugnis ausgestellt, das die erworbenen Kenntnisse entsprechend bescheinigt.
Während der Schulzeit gibt es vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) ein landesweites Übergangssystem mit dem Namen „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Hier werden die Schülerinnen und Schüler bereits während der Schulzeit begleitet. Es wird der Weg von der Schule in den Beruf begleitet. Das Programm beinhaltete vier Schwerpunkte: Potenzialanalyse, Berufsfelderkundung, Praxiskurse und ein weiteres Programm mit dem Namen "KAoA-STAR" - Berufsorientierung für Jugendliche mit Handicaps.
Weitere Informationen zu „Kein Abschluss ohne Anschluss“ gibt es hier:
https://www.mags.nrw/uebergang-schule-beruf-startseite
Weitere Richtlinien, wie der Unterricht abläuft, wie Versetzungen und Zeugnisse ablaufen und aussehen sind in den Richtlinien für den Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung festgelegt.
In den Richtlinien wird das Thema schulische Übergänge und individueller Abschluss behandelt: „Im zieldifferenten Bildungsgang Geistige Entwicklung werden die Schülerinnen und Schüler zu einem individuellen Abschluss geführt. Am Ende ihrer Schulzeit erhalten sie ein Abschlusszeugnis (AO-SF § 30), welches die erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten beschreibt.“
Auf den Seiten 17 und 18 dieser Richtlinie wird die Orientierung der Richtlinien aufgeführt und die nachschulischen Anschlussperspektiven erläutert: „Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen. Dieses Recht auf Arbeit schließt die Möglichkeit ein, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die frei gewählt und/oder frei angenommen wird.“
Menschen, die mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung beschult werden, werden keineswegs ausgeschlossen oder ihrer Würde beraubt. Wie Sie den oben aufgeführten Informationen entnehmen können, ist ein Schulabschluss möglich und wird auch in enger Abstimmung mit dem MAGS begleitet, sodass Menschen mit Handicap teilhaben können.
Bei weiteren Fragen stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Nochmal vielen Dank für Ihre Frage, alles Gute und ein schönes Pfingstwochenende.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Guido Görtz MdL