Frage an Grietje Staffelt von Niki M. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Staffelt,
Meine Frage bezieht sich auf die eklatante Zunahme der Kinderarmut in Deutschland. Während im Jahr 1965 nur jedes 75 Kind auf Sozialhilfe angewiesen war, ist derzeitig jedes 4 - 6 Kind (unterschiedliche wissenschaftlichen Erhebungen ohne Einbeziehung der sich nicht outenden Menschen in einer Grauzone der verschämten Armut) arm und ausgegrenzt.
Insbesondere hat sich seit Einführung des Hartz IV - Sozialabbaus die Kinderarmut erneut verdoppelt. Dieser Sozialabbau ist von Ihnen gemeinsam mit der SPD unter schenkelklopfendem Applaus der CDU/FDP beschlossen und umgesetzt worden.
Meine Frage.
Was konkret schlagen Sie bzw. Ihre Partei zur Heilung dieser Verletzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte vor? Welche Sofortvorschläge und welches Aktionsprogramm sind/ist vorgesehen? Welche Aktivitäten werden Sie in Ihrem Wahlkreis 1 Flensburg - Schleswig dazu anstoßen und unterstützen?
Niki Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 28.05. und 11.06. Gerne möchte ich dazu Stellung beziehen.
In der Tat leben in Deutschland nach jüngsten Erhebungen mindestens 2,5 Mio. Kinder unter 18 Jahren auf Sozialhilfeniveau und sind damit von Armut betroffen. Diese Zahlen ergeben sich aus den Angaben der Bundesagentur für Arbeit zu Familien mit ALG II-Bezug, der Anzahl der Sozialhilfe-empfangenden Eltern und LeistungsempfängerInnen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Noch nicht berücksichtigt sind dabei Eltern, die aus den unterschiedlichsten Gründen ihnen zustehende Leistungen nicht in Anspruch nehmen und daher mit ihren Kindern in verdeckter Armut leben.
Vor dieser besorgniserregenden Zahl können und dürfen wir nicht die Augen verschließen.
Die aktuelle politische Debatte konzentriert sich stark auf die finanzielle Situation der in Armut Lebenden. Aber gerade Kinder, die von Armut betroffen sind, machen nicht nur die Erfahrung, was es bedeutet, wenig Geld zu haben – sie sehen sich vielfältigen Formen der Benachteiligung ausgesetzt.
Da die Folgen von Armut sehr weitreichend sind, machen wir uns in verschiedenen Bereichen für in Armut lebende Kinder stark: zum einen setzen wir auf den Ausbau und die Stärkung der Infrastruktur und zum anderen auf die materielle Absicherung.
Auf Bundesebene setzen wir uns dafür ein, dass die derzeitigen Kinderregelsätze endlich bedarfsgerecht angepasst werden. Die derzeit gültigen Regelsätze für Kinder sind nicht Existenz sichernd und führen zu einer strukturellen Unterversorgung von rund 2,5 Mio. Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Sie verschlechtern deren Lebenslagen und Bildungschancen. Die Bundesregierung ist gegenwärtig nicht bereit, die vom ehemaligen Bundesminister Franz Müntefering noch im August 2007 zugesagte Überprüfung der Regelleistungen weiter zu betreiben. Wir Grünen fordern daher bedarfsgerechte Regelsätze auf der Basis einer speziellen Erfassung der Kinderbedarfe. Hierzu ist unverzüglich eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, die die Bemessungsgrundlage für bedarfsgerechte altersspezifische Regelleistungen für Kinder und Jugendliche ermittelt.
Da allgemein bekannt ist, dass die Erwerbstätigkeit der Eltern der wirksamste Schutz vor Armut ist, setzen wir uns für den Ausbau einer bedarfsgerechten, qualitativ hochwertigen Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur ein. Diese ist nicht nur Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sondern bietet darüber hinaus auch einen Beitrag zur frühkindlichen Förderung und Bildung.
Neben besserer Infrastruktur muss zudem die materielle Absicherung von Familien gewährleistet werden. Auch eine hohe Erwerbsquote von Eltern kann Kinder nicht vor Armut schützen, wenn Arbeit nur niedrig entlohnt wird. So reicht in zunehmend mehr Familien das erwirtschaftete Einkommen nicht aus, um den Gesamtbedarf der Familie zu decken. Durch Einführung von Mindestlöhnen müssen alle Arbeitnehmer in Deutschland zuverlässig vor Ausbeutung und Lohndrückerei geschützt werden. Um einkommensschwache Familien finanziell besser zu stellen, fordern wir kurzfristig, den Kinderzuschlag weiterzuentwickeln. Langfristig muss die bestehende Familien- und Eheförderung neu geordnet werden und so Kinderarmut schon früh vermieden werden.
Auf kommunaler Ebene meines Wahlkreises, also der kreisfreien Stadt Flensburg und des Kreises Schleswig-Flensburg hatte meine Partei bis zur letzten Kommunalwahl im vergangenen Monat nur wenig Einflussmöglichkeiten, da sie im Stadtrat Flensburg mit nur vier Ratsmitgliedern und im Kreistag Schleswig-Flensburg erst gar nicht vertreten war. Allen Mehrheitsverhältnissen zum Trotz setzten wir uns vehement für die Bekämpfung von Kinderarmut ein.
Es kann als Erfolg von Bündnis 90/Die Grünen in Schleswig-Holstein gewertet werden, dass sich die Landesregierung nun endlich verbindlich auf ein kostenfreies Kindergartenjahr eingelassen hat. Lange haben wir darum gekämpft zumindest das letzte Kindergartenjahr für Familien kostenfrei zu gestalten. Das ist dringend notwendig, denn nur so können wir erreichen, dass tatsächlich alle Kinder zumindest ein Jahr vor der Einschulung die Kindertagestätte besuchen. Weiterhin fordern wir das das Land und die Kommunen in Schleswig-Holstein auf, in Form eines Sozialfonds dazu beizutragen, dass Kinder aus Familien mit Transfereinkommen oder Kinder von GeringverdienerInnen an den Mahlzeiten in Kindertagesstätten und Schulen zu einem subventionierten Preis von einem Euro teilnehmen können. Bei einem derzeitigen Verpflegungssatz von ca. 2,60 Euro pro Kind und Tag (Hartz IV) kann sich keine Familie ein Mittagessen in der Schulkantine in Höhe von ca. 2,50 Euro leisten, da bleibt für weitere Mahlzeiten einfach nichts mehr übrig.
Generell machen wir Grüne uns dafür stark, dass jedes Kind jeglicher Herkunft die Möglichkeit hat, unversehrt und selbstbestimmt aufzuwachsen und seine Potentiale zu entfalten. Kein Kind darf zurückgelassen werden – dies ist Maßstab unserer Politik, die auf Integration und Teilhabe aller Kinder und Jugendlicher setzt und ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ausgrenzung entschieden entgegenwirkt.
Wenn Sie sich detailliert über unsere Arbeit informieren wollen, werfen Sie doch auch einen Blick auf die Homepage der Fraktion. http://www.gruene-bundestag.de/cms/familie/rubrik/11/11294.familie.html
Mit freundlichen Grüßen
Grietje Staffelt