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Frage von Ernesto F. •

Was Zählt für Sie mehr: Der Artikel 1 oder 2 der UN-Charta ? Wie genau erklären Sie Ihre widersprüchlichen Aussagen im Bezug zur Unabhängigkeit vom Kosovo.

Sehr geehrter Herr Gysi,

Heute wird der Kosovo 17 und Sie sind einer seiner stärksten Kritiker. Ich habe also folgendes Anliegen:

Ich habe eine Frage zur völkerrechtlichen Bewertung der Kosovo-Unabhängigkeit. Sie argumentieren, dass diese gegen Artikel 2 der UN-Charta verstoße, da Jugoslawien nicht zugestimmt habe. Zudem bestätigte die UN-Resolution 1244 die Zugehörigkeit des Kosovo zu Jugoslawien.

Doch Jugoslawien existiert nicht mehr, und Serbien als Nachfolger verweigerte dem Kosovo die zugesagte Autonomie. Ist das nicht selbst ein Verstoß gegen das Völkerrecht? Zudem sichert Artikel 1 das Recht auf Selbstbestimmung. 1991 stimmte die Mehrheit der Kosovo-Albaner für die Unabhängigkeit, doch Serbien erkannte dies nicht an. Wäre somit ein Nicht-Anerkennen des Kosovos nicht ebenfalls völkerrechtswidrig?

Ich respektiere Ihre Partei in vielen Themen und ich Gönnen Ihnen den Einzug in den Bundestag, allerdings habe ich das Gefühl, dass Sie bei diesem Thema sehr unschlüssig sind.

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Sehr geehrter Herr F.

 

Ihre Frage vom 17.02. hat mich erreicht. 

 

Es geht mir nicht um einen Beschluss der UNO, sondern um einen Beschluss des Sicherheitsrates der UNO. Danach sollte das Kosovo einen hohen Grad an Autonomie erhalten, aber Bestandteil Serbiens bleiben. Dieser Beschluss ist bis heute nicht aufgehoben worden. Es gab Verhandlungen und Serbien war durchaus zu einer Autonomie bereit, aber nicht in dem Umfange, wie es sich der Westen und die Kosovaren wünschten. Daraufhin hat die NATO entschieden, das Kosovo einfach abzutrennen. Serbien nennt sich übrigens Republik Jugoslawien. Das spiegelt sich auch in dem Beschluss des Sicherheitsrates wider. Das Selbstbestimmungsrecht, Volksentscheide – eine komplizierte Frage. Nach der serbischen Verfassung kann ein Volksentscheid nur in der gesamten Republik stattfinden, nicht in einem Teil. Der Volksentscheid auf der Krim wird auch nicht anerkannt, weil er in der gesamten Ukraine hätte stattfinden müssen. Beim Selbstbestimmungsrecht steht wieder die Frage, ob dieses für eine Teilbevölkerung oder nur für die Gesamtbevölkerung gilt. 

 

Gravierend für mich ist aber nur der Beschluss des Sicherheitsrates. Man hätte länger mit der Regierung Serbiens über die Autonomie verhandeln müssen. Oder man hätte erreichen müssen, dass der Beschluss vom Sicherheitsrat aufgehoben wird. Dazu wurde aber nicht einmal ein Antrag gestellt. Und dieser Beschluss konnte ja nicht gegen den Willen der USA, Großbritanniens und Frankreichs erlassen werden.

 

Sie sehen, dass ich an diese Frage ziemlich juristisch herangehe, weil ich glaube, dass wir das Völkerrecht achten müssen, gerade im Interesse kleinerer Staaten. Die großen brauchen es nicht, aber die kleinen schon.

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

Gregor Gysi

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