Alter vs. Neuer Bundestag - warum hat die Linke nicht gemeinsam mit der AfD bei der Bundestagspräsidentin eine Einberufung des neu gewählten Bundestages gefordert, bevor der alte einberufen wurde und damit die Grundgesetzänderung zustande kam?
Sehr geehrter Herr Gisy,
warum hat die Linke nicht gemeinsam mit der AfD bei der Bundestagspräsidentin eine Einberufung des neu gewählten Bundestages gefordert, bevor der alte einberufen wurde und damit die Grundgesetzänderung zustande kam? Beide Parteien zusammen hätten die nötigen Stimmen gehabt.
Ist hier eine Brandmauer wichtiger als der Wählerwille?
Mit freundlichen Grüßen,
T. H.

Sehr geehrter Herr H.,
Ihre Annahme beruht auf falschen Voraussetzungen. Selbstverständlich hat Die Linke im Bundestag alles rechtlich Mögliche versucht, um den 21. Deutschen Bundestag früher als am 25. März einzuberufen. Bereits am 6. März haben wir im Vor-Ältestenrat den Antrag gestellt. Mehrheitlich haben sich aber CDU/CSU und SPD auf den 25. März verständigt, so dass die Bundestagspräsidentin die konstituierende Sitzung zu diesem Tag einberufen hat.
Daraufhin haben neu gewählte Mitglieder des Bundestages aus unserer Fraktion das Bundesverfassungsgericht angerufen, weil sie sich – aus meiner Sicht vollkommen zu Recht – in ihren Rechten als Abgeordnete eingeschränkt sahen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Klage so wie auch andere vergleichbare abgelehnt. Mit einer zweiten Klage haben die Gruppe Die Linke des alten Bundestages und ihre Mitglieder die viel zu geringen Beratungsfristen moniert und in einem Eilverfahren beantragt, dass die Schlussberatungen nicht am 18. März stattfinden. Das Bundesverfassungsgericht sah diese Eilbedürftigkeit nicht, wird aber in der Hauptsache, also ob die Beratungszeit für eine sachkundige Entscheidung der Abgeordneten ausreichend war, noch entscheiden. Es kann also durchaus sein, dass in diesem Verfahren die Entscheidung des alten Bundestages doch noch aufgehoben wird.
Was nun eine mögliche frühere Einberufung des Bundestages durch „ein Drittel der Mitglieder“ betrifft, wie es im Artikel 39 des Grundgesetzes formuliert ist, so ist dieses Minderheitenrecht nicht auf die Konstituierung des neuen Bundestages anwendbar. Denn im Grundgesetz wird dieses Recht explizit Mitgliedern des Bundestages zugesprochen. Laut §45 Bundeswahlgesetz werden die Gewählten aber erst mit der Eröffnung der ersten Sitzung des Bundestages zu dessen Mitgliedern und können demzufolge vorher nicht die Einberufung beantragen. Mithin ist die Behauptung, der neue Bundestag ließe sich mit der Beantragung durch ein Drittel der Abgeordneten oder sogar nur auf Antrag von Fraktionen einberufen, deren Mitglieder mehr als ein Drittel der Bundestagsabgeordnete insgesamt umfassen, weder vom Grundgesetz noch von der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gedeckt.
Letzteres hat in den bereits erwähnten Urteilen zu Klagen der Linken u.a. zwar ausdrücklich darauf verwiesen, dass der neue Bundestag selbstverständlich jederzeit nach der Wahl einberufen werden kann und die 30-Tage-Frist, die das Grundgesetz vorschreibt, nicht ausgeschöpft werden muss. Aber es hat ausgeführt, dass Voraussetzung für eine Einberufung des neuen Bundestages ist, "dass der neue Bundestag den Willen zum Zusammentritt gebildet und sich dafür auf einen Termin verständigt hat". Diese Willensbildung wurde vom Bundesverfassungsgericht weder an Artikel 39 Grundgesetz noch ein anderes Quorum gebunden, so dass es also einer mehrheitlichen Willensbildung bedurfte, wie sie im Vor-Ältestenrat artikuliert wurde. Es gab keine Mehrheit für eine frühere Einberufung.
Selbstverständlich werden wir weiter politisch dafür kämpfen, dass es keine Aufrüstung der Bundeswehr für Ihre Kriegstüchtigkeit gibt. Sie muss verteidigungsfähig sein - dafür braucht es keine weiteren Hunderte Milliarden Euro.
Mit freundlichen Grüßen
Gregor Gysi