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Frage von Tobias N. •

Sehr geehrter Herr Gysi, Wie lange müssen der Kosovokrieg (1999) und der Irakkrieg (2003) bei Ihnen noch als Rechtfertigung für die russische Agression gegen die Ukraine herhalten?

Ich veweise auf Ihre Antwort zur Frage von Lukas K. vom 17.1.25. Russland hat sich mit Verweis auf den Kosovo bereits Südossetien, Abchasien, die Krim, den Donbas und schließlich die ganze Südostukraine einverleibt. Ist der Irakkrieg der Freifahrtschein für Russland, alle seine Nachbarländer zu unterjochen? Und haben Sie vergessen, was nach den letzten beiden Waffenstillständen (Minsk I und II) passiert ist? Googlen Sie mal Debalzeve und 24.2.2022. Russland hat aufgerüstet und einen Großangriff gestartet. Umgekehrt haben westliche Waffen den russischen Rückzug aus Charkiw und Cherson erzwungen. Russland terrorisiert pausenlos die ukrainische Zivilbevölkerung (Kinshal-Raketen etc.). Sollen wir da tatenlos zusehen? Die EU und NATO haben jedes Recht, die Ukraine militärisch zu unterstützen. Haben Sie nicht mitbekommen, welche Terrorherrschaft in den russisch besetzten Gebieten herrscht? Wie können Sie unter diesen Umständen Waffenlieferungen ablehnen?

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Sehr geehrter Herr N.,

 

Ihre Nachricht vom 31. Januar hat mich erreicht. Zu keinem Zeitpunkt habe ich den Krieg Russlands gerechtfertigt. Er ist völkerrechtswidrig und muss scharf verurteilt werden. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass die westlichen Länder nach dem Kalten Krieg glaubten, das Völkerrecht nicht mehr zu benötigen und deshalb selbst Völkerrechtsverletzungen begangen haben. Dann ist es eben schwer, es Anderen vorzuwerfen.

 

Andererseits haben Sie Recht, dass Putin hinsichtlich der ehemaligen Sowjetrepubliken – mit Ausnahme von Lettland, Litauen und Estland – imperialistisch denkt. Er will dem Westen beweisen, dass er für diese Länder zuständiger ist als wir. Das ist absolut indiskutabel. Wenn es je zu einem Frieden zwischen Russland und der Ukraine kommt, brauchen wir einen Nichtangriffspakt zwischen Russland und dem übrigen Europa. Es muss endlich klargestellt werden, dass sämtliche ehemaligen Sowjetrepubliken inzwischen souveräne Staaten sind.

 

Zu der Frage der Waffenlieferung gibt es in meiner Partei unterschiedliche Auffassungen. 

 

Ich bin der Meinung, dass Deutschland verantwortlich ist für den Zweiten Weltkrieg, der über 70 Millionen Tote hervorbrachte. Deshalb bin ich dagegen, dass Deutschland an Waffenexporten verdient. Wir sind aber der fünftgrößte Waffenexporteur und verdienen an jedem Krieg mit, der weltweit stattfindet. Insofern war ich immer gegen Waffenlieferungen durch Deutschland an die Ukraine. Da ich aber das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine respektiere, habe ich erklärt, dass andere Staaten Waffen liefern können. Wir sollten dies mit humanistischer Hilfe ausgleichen. Aber ich räume ein, dazu kann man auch eine andere Auffassung haben. 

 

Allerdings bin ich kein Militärexperte. Der ehemalige Generalbundeswehrinspektor Kujat und der jahrelange Chef des Generalstabs der US-Streitkräfte General Milley haben von Anfang an erklärt, dass weder die Ukraine noch Russland den Krieg militärisch gewinnen kann. Deshalb war ich immer für eine Initiative für einen Waffenstillstand, aber solche Initiativen gab es durch kein NATO-Mitglied und durch kein Mitglied der EU. Lediglich Brasilien, Südafrika und Indien haben solche Initiativen ergriffen. Ich finde einen Waffenstillstand deshalb so wichtig, damit das Töten, das Verletzen von Menschen und die Zerstörungen endlich aufhören. Außerdem bin ich dagegen, dass dieser völkerrechtswidrige Krieg für Russland letztlich erfolgreich verläuft. Das hängt dann aber von den Friedensverhandlungen ab. Ich habe immer davor gewarnt, dass dann, wenn Trump Präsident der USA wird, er einen Weg für die Beendigung des Krieges zum Nachteil der Ukraine finden wird. Alle haben mir immer erklärt, dass Trump nicht Präsident wird. Deshalb haben sie keine eigenen Initiative unternommen. Nun wird es Trump auf seine Art und Weise richten.

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

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