Inwiefern sind Sozialismus und Demokratie miteinander vereinbar?
Sehr geehrter Herr Gysi,
sie waren Vorsitzender der SED in einem System, das bei weitem keine Demokratie war. Sie schrieben, sie würden diese Entscheidung nicht wiederholen, und sind inzwischen ein Demokrat. Trotzdem reden Sie von (demokratischem) Sozialismus. Sämtliche westlichen Demokratien sind mehr oder weniger kapitalistisch geprägt, während die wenigen Staaten mit Sozialismus keine Demokratien waren bzw. sind. Sind dies nicht Widersprüche? Inwiefern denken Sie sind diese Wirtschaftssysteme und Staatsformen realpolitisch vereinbar, oder wäre es besser von einer sozialen Demokratie zu sprechen?
Mit freundlichen Grüßen,
ein Bewunderer ihrer brillanten Überzeugungskraft.
Sehr geehrter Herr B.
Ihre Frage vom 8. April hat mich erreicht.
Ich will am Kapitalismus das bewahren, was er kann und jenes überwinden, was er nicht kann. Er kann eine höchst effiziente Wirtschaft hervorbringen, eine top Wissenschaft und Forschung und eine top Kunst und Kultur. Er kann – aber muss nicht – mit Demokratie und Freiheit verbunden sein.
Er kann aber den Frieden nicht sichern, weil es um Machtfragen, um den Zugang zu Rohstoffen und vor allen Dingen darum geht, dass im Krieg zu viel Geld verdient wird. Außerdem kann er keine soziale Gerechtigkeit herstellen. Er tendiert immer dazu, den Reichtum in wenigen Händen zu konzentrieren und die Armut zu verbreiten. Er hat große Schwierigkeiten mit der ökologischen Nachhaltigkeit. Letztlich kann er die Emanzipation, d.h. die Selbstverwirklichung des Menschen nicht realisieren. Wenn wir einen Weg finden, die Seiten, die er nicht kann zu überwinden und die anderen bewahren, dann spreche ich vom demokratischen Sozialismus. Sie können das aber auch gern demokratischen Kapitalismus nennen. Das ist mir eher egal.
Mit freundlichen Grüßen
Gregor Gysi