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Gregor Gysi
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Frage von Davis R. •

Herr Gysi, Die Linke steht im Ukrainekrieg für Diplomatie statt Waffenlieferung. Aber hat nicht Putin selbst Minsk II gebrochen? Machen wir damit nicht den gleichen Fehler wie Chamberlain 1938/39?

Sehr geehrter Herr Gysi,

Ich habe den Kurs ihrer Partei gegenüber Russland schon immer kritisch gesehen. Die jetzige Untätigkeit in einer Situation, in der ein offen rechts ausgerichteter Autokrat in ein Nachbarland einfällt, in dem seine Staatsmedien den Ukrainern die Existenz als eigene Nationalität absprechen und Mitglieder seiner Partei Umerziehungslager für ukrainische Kinder fordern bestürzt mich zutiefst. Hat nicht die Appeasement Politik der 30er gezeigt, wie wenig Wert Verträge für Autokraten haben? Ich verstehe einfach nicht, wie man glaubt in dieser Situation Waffenlieferungen ablehnen zu müssen. Der erneuten Ausbreitung des Faschismus muss Paroli geboten werden und Faschismus ist es was in Moskau betrieben wird.

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Sehr geehrter Herr R.,

die NATO und die EU haben in Bezug auf die Ukraine und Russland sehr viele Fehler begangen. Es gab aber keinen einzigen Fehler, der den völkerrechtswidrigen verbrecherischen Krieg Russlands gegen die Ukraine rechtfertigt. Deshalb muss dieser Krieg scharf verurteilt werden. Die Ukraine hat ein Selbstverteidigungsrecht und die Länder können selbstverständlich auch Waffen an die Ukraine liefern. Niemand darf von außen die Ukraine auffordern, aufzugeben. Das kann die ukrainische Führung – möglichst in Übereinstimmung mit der eigenen Bevölkerung – nur selbst entscheiden. Allerdings bin ich aus historischen Gründen dagegen, dass Deutschland Waffen liefert. Der Zweite Weltkrieg ging von Deutschland aus. 27 Millionen Sowjetbürgerinnen und Sowjetbürger kamen ums Leben. Die meisten waren Russinnen und Russen, aber auch viele Ukrainerinnen und Ukrainer. Aus diesen Gründen darf Deutschland nicht eine ehemalige Sowjetrepublik gegen eine andere aufrüsten. Das geschieht jetzt. Wenn der Krieg zu Ende geht, hoffentlich bald, werden auch Armenien, Aserbaidschan und Moldawien an Deutschland herantreten. Es wird dann sehr schwer, dort nein zu sagen. Vor Beginn des Krieges habe ich auf Diplomatie gesetzt. Als Putin zur Sicherheit seines Landes vorschlug, dass die USA ihre Atomwaffen aus Europa abziehen, keine weiteren Mitglieder in die NATO aufnehmen und keine Manöver mehr im Schwarzen Meer durchführen, hätte ich als NATO nicht nein gesagt, sondern Gegenforderungen aufgestellt. Die NATO hätte fordern können, dass es keine Cyberangriffe mehr aus Russland gibt, dass Russland die Souveränität und territoriale Integrität aller Nachbarländer anerkennen muss, dass in Grenznähe keine Manöver mehr durchgeführt werden. Dann hätte die NATO sagen können, wir haben drei Vorschläge von ihnen und drei Vorschläge von uns und sind zu Verhandlungen bereit. Im Ergebnis müssen wir ihnen und sie uns ein Stück näher kommen. Stattdessen hat die NATO nur nein gesagt. Wahrscheinlich hätte es den Krieg auch nicht verhindert, aber man hätte es wenigstens versuchen können. Wenn der Krieg beendet ist, müssen wir zurückkehren zum Prinzip der Deeskalation, des Interessenausgleichs, der Diplomatie und der strikten Einhaltung des Völkerrechts durch alle Seiten.

Wie Sie aus dem Schreiben entnehmen können, bin ich nicht dagegen, dass Staaten an die Ukraine Waffen liefern.

Mit freundlichen Grüßen

Gregor Gysi

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