Frage an Gregor Gysi von Hans J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Gregor Gysi !
Mich würde interessieren, ob sie die Tarifautonomie der damit gemachten Erfahrungen entsprechend für praktikabel halten eine Egalisierung der bestehenden Verteilungsungleichheiten sicher zu stellen?
Mit dem Wegfall jeden Abschreckungspotenzials hat der Klassenfeind sein herzöglich barmherziges Betragen aufgegeben und durch seine Interventionen auch innerhalb der Politik die Grundlage dazu gelegt, sich jeglicher Konsensbereitschaft erwehren zu können.
Allerdings scheinen sich die Gewerkschaften auch aus sich heraus gegen eine nachhaltige Demokratisierung ihrer Strukturen zu sträuben; die Sichtweise, ein beispielsweise von der gewerkschaftlichen Basis durchgeführter Forderungsfindungsprozess in Vorbereitung einer Tarifauseinandersetzung ohne die dimensionsbezogene Beschlusshoheit durch eben die Basis sei "kollektive Bettelei", ist heute weit verbreitet - berechtigterweise wie ich meine. Was ist Ihre Meinung dazu?
Die gewerkschaftlichen Strukturen in Deutschland tragen in gleicher Weise zur Politikverdrossenheit bei als die Entscheidungen der letzten Regierungen, unseren grundgesetzlich festgeschriebenen, sozialen Bundesstaat zu demontieren. Wenn auch nicht über Notverordnungen regiert wird, erinnert in den letzten Jahren doch einiges an Heinrich Brüning! Den Gewerkschaften werden diese Problematiken seit Jahren von anerkannten Wissenschaftler erläutert; trotzdem verweigert man sich jeder Modifikation einerseits der gewerkschaftlichen Eigenstruktur sowie auch der eigenen, politischen Definition. Es bleibt bei der vornehmlich betrieben SDP-Unterbezirks-Klüngelei, die zu nichts führt als zu weiteren Reallohnverlusten und Verschlechterungen der gesetzlichen Grundlagen. Das ist keine Hypothese sondern eine Analyse. Was ist ihre diesbezügliche Sichtweise?
Ein hoher zweistelliger auf der Konsumseite fehlender Mrd-Betrag ist das Ergebnis aus 20 Jahren "sozialpartnerschaftlicher" Kooperation mit einem entfesselten Klassenfeind.
solidarischen Gruß
Hans Janosch
Lieber Hans Janosch,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 12. Februar 2009.
Richtig ist, dass die neoliberale Politik durch Privatisierung, Deregulierung und Sozialabbau gekennzeichnet war und ist. Richtig ist ebenso, dass es bei den Gewerkschaften Schwächen gibt, dass sie zum Teil nicht konsequent verhandeln und nicht immer ihre Instrumente ausreichend nutzen. Trotzdem kann man den Gewerkschaften nicht unterstellen, in gleicher Weise zur Politikverdrossenheit beizutragen wie die Regierenden. Die Gewerkschaften waren, sind und bleiben höchst wichtig, um überhaupt noch einen Interessenausgleich in der Gesellschaft organisieren zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi