Frage an Gregor Gysi von Sybille G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,
folgendes wurde gestern über die Newsticker verbreitet:
"AFP
AFP - Samstag, 28. Juni, 10:27 Uhr
Berlin (AFP) - Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen in die Demokratie. Jeder dritte Bundesbürger glaubt, dass Demokratie keine Probleme mehr löst, in Ostdeutschland sind inzwischen sogar 53 Prozent der Bürger dieser Ansicht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, die der Zeitung "Tagesspiegel am Sonntag" vorliegt. Die Initiatoren der Studie zeigten sich erschrocken, dass der Glaube an das politische System über die sozial Schwachen hinaus insgesamt dramatisch zurückgegangen ist.
Dies deute darauf hin, dass viele Menschen fürchten, demnächst abzurutschen "und sie machen das System dafür verantwortlich", sagte Stiftungsmitarbeiter Frank Karl der Zeitung. In der vom Münchener Institut Polis/Sinus erstellten Studie sollten eigentlich Gründe für die zunehmende Wahlenthaltung gesucht werden. Entdeckt wurde dabei aber eine große grundsätzliche Distanz der Bürger zur Politik: "Ich fürchte, rund ein Drittel der Menschen hat sich schon von der Demokratie verabschiedet", sagte Karl.
Der Studie zufolge entfernen sich zunächst jene Schichten, die sich selbst als abgehängt oder arm betrachten. Die Distanz zur Demokratie reiche aber weit über diese Gruppe hinaus. Der Befragung zufolge fühlen sich nur noch 62 Prozent der Bürger gerecht behandelt, während jeder Vierte (26 Prozent) sich ausdrücklich beklagt und angibt "ungerecht" behandelt zu werden. Unter den demokratiefernen Schichten finden sich besonders viele Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger. "Aus persönlichem Misserfolg wird Staatsferne", urteilte Karl."
Mich hat diese Nachricht erschreckt. Auch wenn ich den Begriff "demokratieferne Schicht" mehr als unglücklich gewählt empfinde. Meine Erfahrung ist, dass der Bürger von den Volksvertretern nicht wahrgenommen wird.
Was gedenkt die Linke diesbezüglich zu unternehmen?
Mit freundlichen Grüssen
Sybille Grothe
Sehr geehrte Frau Grothe,
Ihre Nachricht vom 29.6. hat mich erreicht.
Die Studie kommt zu Ergebnissen, die ich befürchtet habe. Immer wieder trifft die Mehrheit des Bundestages Entscheidungen gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung. Sie verlassen sich aber darauf, wieder gewählt zu werden.
Die Linke unterbreitet eine Vielzahl von Vorschlägen, um diese Situation zu verändern. Erstens wollen wir Volksentscheide, um mehr unmittelbare Demokratie in Deutschland zu ermöglichen. Darüber hinaus schlagen wir Steuergerechtigkeit vor. Hätten wir nur die durchschnittliche Steuer- und Abgabenquote der Europäischen Union, nähmen wir jährlich 120 Milliarden Euro mehr ein. Das liefe aber nicht über eine höhere Mehrwertsteuer oder darüber, dass die durchschnittlich Verdienenden mehr zahlen müssen, sondern z. B. über eine Börsenumsatzsteuer, die uns allein jährlich 55 Milliarden Euro bringen könnte.
Die Linke unterbreitet auch mehr Vorschläge, wie man Armut überwinden und soziale Gerechtigkeit herstellen kann. Wir setzen uns auch für die durchschnittlich Verdienenden ein, die immer stärker belastet werden.
Wir versuchen immer stärker die Öffentlichkeit zu erreichen. Denn die anderen Parteien richten sich gerade auch nach Wahlen. Wenn die Linke bei Wahlen deutlich zulegt, verändern sie ihre Politik. Und darauf kommt es an.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi