Frage an Gregor Gysi von Michael F. bezüglich Wirtschaft
Im "Vorwort zu Kapitalismus und Freiheit" von Paul C. Martin heißt es im Bezug auf die Marktwirtschaft: "Zu den Gefährdungen des Systems gehört die Neigung, das Verteilungsprinzip des Marktes zu diffamieren, die Effizienz des Systems für selbstverständlich zu nehmen, die Ansprüche auf Umverteilung zu überziehen und damit das Verteilbare selbst zu gefährden und das Verteilungsergebnis des Marktes nicht nur zu korrigieren, sondern in unfairer Weise zu verfälschen... Wer... die Marktwirtschaft erhalten will, und sei es nur mangels einer besseren Alternative, ist freilich auf ein ausgewogenes Verhältnis von Selbstverantwortung und Solidarität vollständig angewiesen, wobei Selbstverantwortung - die Grundidee des Marktsystems - in der Führungsrolle sein muss.
Kurz: Marktbedingte Unterschiede in den Verdienstchancen als Leistungsanreize dürfen durch staatliche Transferzahlungen einerseits und durch das Steuersystem andererseits nicht gefährdet werden.
Würden sie den Aussagen dahin gehend zustimmen, dass man doch eigentlich darauf achten muss, dass Selbstverantwortung auch noch wichtig ist und es gefährlich wird wenn man Solidarität vor Selbstverantwortung setzt?
Denn ich muss ihnen sagen, dass die Leute in meiner Stadt, die Werbeflyer von der Linken verteilen immer arbeitslos sind und mit Werbungen und Sprüchen wie "die Reichen kriegen soviel wir verdienen auch mehr!" etc. mich stutzig machen. Finden sie es etwa richtig, wenn man sich als Arbeitsloser mehr damit beschäftigt, wie man seine Hilfs(!) bzw. Solidaritätszahlungen erhöht statt sich Arbeit zu suchen um selbst seinen Unterhalt zu verdienen ?
Ich würde mir ehrlich gesagt eine klarere Linie zum Thema Solidarität und Selbstverantwortung von der Linken wünschen, weil überzogene Solidarität meiner Meinung nach sicherlich populistisch und politisch benutzbar ist; Schaden tut es aber in aller Konsequenz allen. Und was Selbstverantwortung in dem Kontext angeht ist mir die Stellung der Linken und die ihrer völlg unbekannt.
Sehr geehrter Herr Filusch,
Ihre Anfrage vom 21. Mai hat mich erreicht.
Selbstverständlich muss es in jeder Gesellschaft Selbstverantwortung, Verantwortung für andere und Solidarität geben. In letzter Zeit wird aber versucht, unter dem Stichwort "Selbstverantwortung" die Solidarität immer stärker abzubauen. Der größte Teil der Arbeitslosen will arbeiten, sucht Arbeit, ihm wird aber nichts angeboten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr.Gysi