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Gregor Gysi
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Frage von Johannes F. •

Frage an Gregor Gysi von Johannes F. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Gysi,

mit großem Interesse habe ich Ihr Interview im Tagesspiegel vom 17.2. zur Kenntnis genommen. Sie knüpfen darin die Frage der Legitimität einer militärischen Intervention an das Schema "Land A überfällt Land B". Ohne einen solchen Angriff (und eine entsprechende Mandatierung) hielten Sie ein militärisches Eingreifen für völkerrechtswidrig.

Hinsichtlich der Frage nach dem Eingreifen der Alliierten im 2. WK drücken Sie sich meiner Meinung nach um die Beantwortung der entscheidenden Frage, die ich Ihnen hiermit gerne stellen würde:

Hätte Adolf Hitler keinen Angriffskrieg geführt, sondern lediglich die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" in den eigentlichen Staatsgrenzen Deutschlands vorangetrieben - dann hätten Sie ein militärisches Eingreifen von Außen abgelehnt?

Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Fröstl

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Sehr geehrter Herr Fröstl,

Ihre Nachricht vom 18.2. hat mich erreicht. Ohne den Aggressionskrieg hätte Hitler niemals die "Endlösung" der Judenfrage" beschließen lassen können, denn er hätte dann nur Zugriff zu den nicht imigrierten Jüdinnen und Juden in Deutschland gehabt. Vor dem Krieg war es auch so, dass sich Jüdinnen und Juden ins KZ gesperrt und im Falle einer Bezahlung wieder entlassen wurden. Es ist kein Zufall, dass die so genannte Endlösung beschlossen wurde nachdem Hitler Zugriff auf die Jüdinnen und Juden in ganz Europa hatte.

Unabhängig davon gilt, dass im Völkerrecht eine Verständigung dergestalt erreicht wurde, dass es nur zwei legitime Möglichkeiten des Einsatzes von Militär gibt. Einmal ist die Möglichkeit im Falle eines Angriffs gegeben, und zwar für den angegriffenen Staat sowie andere Staaten, die dem angegriffenen Staat auf dessen Bitte hin helfen wollen. Eine zweite Möglichkeit ist dann gegeben, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Frieden für bedroht erklärt und militärische Maßnahmen beschließt. Das Problem bei Ihrer Fragestellung besteht darin, dass es damals noch kein Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gab. Aber heute gibt es ihn und im Falle Jugoslawiens, im Falle des Irak lagen niemals Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vor, militärische Schritt zu gehen. Ich weiß noch, wie Herr Scharping einwandte, dass er sich doch nicht vom Vetorecht Chinas daran hindern lasse, Belgrad zu bombardieren. Das ist nichts anderes als die Negierung des Völkerrechts. Denn wenn das Vetorecht Chinas nichts wert ist, warum soll dann das Vetorecht Frankreichs etwas wert sein? Und genau so gingen die USA beim Irakkrieg vor. Sie ignorierten den Sicherheitsrat, auch weil sie ein Veto Frankreichs befürchteten.

Die Schlussfolgerung bei Ländern wie Russland und China ist doch nicht, sich in Bescheidenheit zurückzuziehen, sondern gegenteilig. Sie versuchen mit allen Mitteln wieder zur Weltmacht zu werden, weil ihre Erfahrung besagt, dass ihr Vetorecht nur ernst genommen wird, wenn dahinter eine entsprechende militärische, politische und ökonomische Mach steht. Und so kommt es dann wieder zur früheren Konstellation.

Es tut mir leid, dass ich etwas umfangreich geantwortet habe, aber die Fragen sind kompliziert. Ich weiß, dass es immer gute Gründe gibt, bestehendes Recht zu verletzen, nur dann gibt es kein Recht mehr. Und dann jeder Staat in Lateinamerika und Asien meinen, dass er einen anderen Staat angreifen müsse und er wird dies künftig immer damit rügen, dass in dem anderen Staat Menschenrechte verletzt würden. Eine solche Situation möchte ich vermeiden.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi

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