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Gregor Gysi
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Frage von Leander P. •

Frage an Gregor Gysi von Leander P. bezüglich Umwelt

Sehr geehrter Herr Gysi,

aufgrund meiner Raecherche für meine GFS in der Klassenstufe 10 eines Gymnasiums würde ich Ihnen gerne eine Frage zum Emissionshandel stellen.

Inwiefern beurteilen Sie den EU weiten Emissionshandel als gescheitert beziehungsweise als erfolgreich und glauben Sie, dass es Reformbedarf für diesen gibt?

Mit freundlichen Grüßen
L. P.

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Sehr geehrter Herr P.,

die Europäische Union führte im Jahr 2005 ein Emissionshandelssystem ein. Seitdem erhalten Unternehmen der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie ein begrenztes Budget an Emissionsrechten, die sie untereinander handeln können. Am Ende eines jeden Jahres müssen sie CO2-Zertifikate in Höhe ihrer tatsächlichen CO2-Emissionen nachweisen. Ziel ist es, durch die Handelbarkeit CO2 dort zu reduzieren, wo es am preisgünstigsten ist. Die begrenzte Menge ausgegebener Emissionszertifikate soll dabei das Einhalten der politischen Klimaschutzziele garantieren. So zumindest die Theorie.

In der Praxis jedoch ist die bisherige Bilanz des EU-Emissionshandels schlecht. Statt den Klimaschutz nach vorne zu bringen, war er in den ersten acht Jahren (2005-2012) vor allem für die Stromversorger nur eine Gelddruckmaschine. Diese erhielten die CO2-Zertifikate kostenlos, legten den Marktwert dieser Emissionsgutschriften aber trotzdem auf den Strompreis um. Damit strichen sie leistungslose Milliardengewinne („windfall profits“) zu Lasten der Stromkundinnen und -kunden ein. Die größten Mitnahmegewinne verbuchten die Betreiber von Atomkraftwerken. AKWs sind zwar nicht Teil des Emissionshandels, ihre Betreiber profitieren aber vom Anstieg der Stromhandelspreise durch den Emissionshandel. Seit Beginn der dritten Handelsperiode (2013-2020) werden die Emissionsrechte an die Energieversorger versteigert, die energieintensive Industrie aber erhält die CO2-Zertifikate weiterhin kostenlos. Die meisten Unternehmen bekommen sogar weiterhin mehr Emissionsrechte als sie brauchen.

Hinzu kommt, dass Unternehmen Emissionsrechte aus dem Nicht-EU-Ausland zukaufen können. Diese stammen meist aus Projekten in Entwicklungsländern im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM). Aus Klimaschutzperspektive ist der CDM bestenfalls ein Nullsummenspiel: Emissionsrechte wandern vom Süden in den Norden. Zentrale Bedingung dafür ist, dass CDM-Vorhaben tatsächlich Klimaschutz zusätzlich zum Status quo bringen. Diesen Nachweis kann aber die Mehrheit der Projekte nicht liefern. Wandern derart „faule Zertifikate“ in die EU, führen sie dort zu einem Mehrausstoß an CO2, der nicht durch eine entsprechende Minderung durch das CDM-Projekt gedeckt ist. Global hat dies einen zusätzlichen Ausstoß von Klimagasen zur Folge.

Der massenhafte Zukauf billiger CDM-Zertifikate ist ein Grund dafür, dass derzeit mehr als zwei Milliarden Zertifikate zu viel im System sind. Der CO2-Preis lag daher jahrelang nur bei etwa fünf Euro, während für eine relevante Klimaschutzwirkung etwa 25 bis 30 Euro angepeilt werden müssten. Die jüngsten Korrekturen am EU-Emissionshandelssystem werden daran im Grundsatz nichts ändern. Für den deutschen Kohleausstieg wird der Emissionshandel die nächsten zehn Jahre fast wirkungslos bleiben.

Das Emissionshandelssystem ist gescheitert, jetzt müssen Alternativen her. Gerade wer den Ausstieg aus der Kohleverstromung will, sollte nicht auf Verschmutzungsrechte setzen. Ein gesetzlich fixierter, mittelfristiger Ausstieg aus der Kohleverstromung würde nicht nur Planungssicherheit für die Energiewirtschaft sondern auch für eine soziale Gestaltung des Strukturwandels in den Braunkohlerevieren und an den Kraftwerksstandorten schaffen.
Nationale CO2-Mindestpreise im Emissionshandel könnten diesen Prozess unterstützen. Sie müssen dafür sorgen, dass noch nicht abgeschaltete Kohlekraftwerke ihre Produktion immer dann drosseln, wenn genug Ökostrom produziert wird. Das ist wichtig, denn ansonsten verfehlen wir die Klimaziele trotz Abschaltplan.

Eine CO2-Steuer oder CO2-Mindestpreise wirken auch auf den Brennstoffeinsatz und die Effizienz in Industrie und Gewerbe jenseits der emissionshandelspflichtigen Sektoren. Auch darum kann ein angemessener CO2-Preis sinnvoll sein. Insgesamt ist ein CO2-Preis nur ein Element in einem klugen Instrumentenmix. Denn das Ziel muss sein, Energie und CO2 einzusparen, ohne Verbraucherinnen und Verbraucher mit hohen Preisen zu belasten.

Mit freundlichen Grüßen

Gregor Gysi

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