Frage an Gregor Gysi von Thomas S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Im Bundesvorstand der Partei "Die Linke", sitzen u. a. zwei Personen, Janine Wissler und Christine Buchholz. Christine Buchholz ist außerdem Fraktionskollegin von Ihnen im Bundestag und Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstandes der "Linken".
Beide sind nach den Angaben auf Ihren jeweiligen Webseiten Mitglied des in der Partei "Die Linke" existierenden Netzwerks "Marx 21". Auf dessen Webseite liest man in den "Politischen Leitsätzen":
"Der Kapitalismus ist unfähig, die Probleme der Menschheit zu lösen. [...] Angesichts dieser verheerenden Auswirkungen des Kapitalismus ist eine auf die Regulierung des Kapitals beschränkte staatliche Intervention keine ausreichende Antwort. Deshalb vertrauen wir nicht auf die "Zähmbarkeit" des Kapitalismus, sondern wirken auf seine Überwindung hin. [...] Die Linke kann das Kapital schlagen, wenn Massenbewegungen bereit und in der Lage sind, die herrschende Klasse zu enteignen und den bestehenden, undemokratischen Staatsapparat durch Organe der direkten Demokratie zu ersetzen. [...] Der Kapitalismus kann nicht durch Parlamentsabstimmungen überwunden werden. Das Parlament täuscht über die realen Machtverhältnisse hinweg. Die Kapitalistenklasse und der Staatsapparat (Ministerien, Polizei, Armee, Gefängnisse, Justiz) agieren weitgehend unabhängig von demokratischer Kontrolle. Die Institutionen des Staates schützen die Interessen des Kapitals gegenüber der Masse der Bevölkerung [...]
In diesen politischen Leitsätzen, die zwei Mitglieder des Bundesvorstandes, eine davon eine Fraktionskollegin von Ihnen, unterstützen, wird doch ganz klar die Abschaffung des Parlamentarismus und der "staatlichen Institutionen" (Gerichte, Staatsanwaltschaften, etc.) gefordert! Außerdem die restlose "Enteignung der herrschenden Klasse"!
Das können Sie doch nicht allen Ernstes grundgesetzkonform nennen!
Frage: Kann sich "Die Linke" da noch ernsthaft beklagen, vom Verfassungsschutz als "in Teilen offen extremistisch" eingestuft und überwacht zu werden?
Sehr geehrter Herr Schmidt,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 30. August.
Ich habe unseren zuständigen Fachpolitiker gebeten, Ihnen direkt zu antworten. Mir gefällt schon die Sprache nicht, in der die Gesetze verfasst sind. Aber abgesehen davon, glaube ich nicht, dass sich direkte Demokratie und Parlamentarismus ausschließen. Wir brauchen beides. Und das wird auch von Marx 21 nicht bestritten. Mit der Enteignung ist natürlich nie eine vollständige gemeint, sondern es geht um das Wirtschaftseigentum. Allerdings tritt unsere Partei auch für privates Eigentum in der Wirtschaft ein. Wir sind dort sehr viel flexibler, als es nach dieser Formulierung erscheint.
Wie dem auch sei, eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist auf gar keinen Fall gerechtfertigt, denn unsere Partei hält sich an alle demokratischen Spielregeln und will dies auch. Im übrigen begründet der Verfassungsschutz die Beobachtung unserer Partei auch keineswegs mit "Marx 21".
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi