Frage an Gregor Gysi von Klaus S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,
da Sie bisher als fast einziger Politiker alle Fragen beantwortet haben, trau ich mich jetzt auch zu fragen.
Ist es innerhalb der repräsentativen Demokratie denkbar, eigene Abgeordnete aufzustellen, die sich durch basisdemokratische Verfahren einem imperativen Mandat unterwerfen, damit der Wählerwille durchgesetzt wird. Durch Änderung des Wahlgesetzes könnten damit auch Lobbyisten aus den Volksvertretungen fern gehalten werden. Eine derartige Partei oder Vereinigung müsste sich von vornherein als Opposition mit Koalitionsverbot verstehen.
Für Ihre Antwort bedanke ich mich im voraus.
Mit freundlichen Grüßen
K.Seidel
Sehr geehrter Herr Seidel,
eine Grundsatzbestimmung des Grundgesetzes muss aufrechterhalten bleiben, wonach die Abgeordneten in ihrer Entscheidung nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Ein Koalitionsverbot oder ähnliches darf niemals durch ein Gesetz festgelegt werden. Selbstverständlich ist aber keine Fraktion gezwungen, eine Koalition einzugehen. Schon heute ist es theoretisch möglich, dass ein Einzelner in den Bundestag ohne Partei gewählt wird. Er muss Unterschriften sammeln und könnte in einem Wahlkreis kandidieren. Wenn er mehr Stimmen bekommt als die anderen Kandidaten, wäre er direkt in den Bundestag gewählt. Auch ich bin der Auffassung, dass wir Änderungen im Wahlrecht benötigen. Abgesehen davon, dass ich gegen die 5%-Hürde bin, kommt folgender Gesichtspunkt hinzu. Die Abgeordneten im Bundestag werden zur Hälfte direkt und zur Hälfte über die Landeslisten ihrer Partei gewählt. Bei allen Listenabgeordneten entscheidet der Listenplatz darüber, ob sie eine Chance haben, in den Bundestag gewählt zu werden oder nicht. Setzt die Partei sie auf einen vorderen Listenplatz, ziehen sie in den Bundestag ein. Setzt die Partei sie auf einen hinteren Listenplatz, haben sie keine Chance.
Dadurch ist die Abhängigkeit der Abgeordneten von ihren Parteien so groß, denn diese entscheiden ja über den Listenplatz. Eine andere Regelung wäre meines Erachtens besser. Eine Bindung an die Partei bleibt, weil die Partei entscheiden muss, wen sie auf die Liste setzt und wen nicht. Aber die Wählerinnen und Wähler müssen die Möglichkeit haben, unter den Listenkandidatinnen und -kandidaten auszuwählen. Nach meiner Vorstellung müssten sie also nicht nur eine Stimme für den Direktkandidaten und eine Stimme für die Liste der Partei haben, sondern sollten außerdem noch die Möglichkeit haben, auf der Liste der Partei drei Personen auszuwählen. Dadurch könnten die Wählerinnen und Wähler die Liste der Partei verändern. Die Abgeordneten würden abhängiger werden von den Wählerinnen und Wählern und müssten sich mehr nach deren Meinung richten als das heute der Fall ist.
Mit herzlichen Grüßen
Dr. Gregor Gysi