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Frage von Ulrich B. •

Frage an Gregor Gysi von Ulrich B. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,

nun ist zum wiederholten Male ein Sparpaket beschlossen worden, das erneut große Einbußen im Sozialbereich bringt und die Ärmeren noch stärker benachteiligt. Diese Entscheidung wird von Seiten der Regierungsparteien mit "Alternativlosigkeit" und der Aussicht auf Konsolidierung der Staatsfinanzen begründet.

Meines Wissens nach war es weit vor der letzten (systemimmanenten) Krise jedoch schon der Fall, dass die BRD niemals Schulden zurückgezahlt, sondern jeden fälligen Kredit durch Neuaufnahme eines weiteren Kredits umgeschuldet hat. Dazu dient ihr die Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH, eine nach meinem Kenntnisstand überschuldete GmbH, die aber im Staatsbesitz und deshalb nicht konkursfähig ist.

Um aber jemals aus einer Verschuldung zu entkommen, müssen naturgemäß nicht nur die Zinsen, sondern vor allem auch die Kredite selbst abgelöst werden. Entsprechend müsste es Berechnungen geben, die nachweisen, dass durch die neuerlichen Einschnitte genügend Rücklagen entstehen, um irgendwann schuldenfrei zu sein. Andernfalls wäre der letztendliche Konkurs unvermeidbar und nur ein wenig in die Länge gezogen, sehr zu Lasten der Bevölkerung. Können Sie mir sagen, wo ich als Bürger (und als zu Wahlzeiten von Frau Merkel beschworener "Souverän") diese Berechnungen einsehen kann, um die Sinnhaftigkeit dieser Sparmaßnahmen selbst nachvollziehen zu können?

Mit aufrichtigem Dank für Ihre Bemühungen, Standpunkte und Authentizität
Ulrich Bogun

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Sehr geehrter Herr Bogun,

Ihre Nachricht vom 16. Juli hat mich erreicht.

Zunächst schlagen wir statt Sozialeinsparungen angemessene Steuererhöhungen vor. Generell muss für einen Bundeshaushalt gelten, dass man in guten Zeiten Schulden zurückzahlt, während man in schlechten Zeiten zu investieren hat. Zur Beantwortung Ihrer konkreten Frage habe ich Ihr Schreiben an die Abgeordnete Dr. Barbara Höll weitergeleitet.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi

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Sehr geehrter Herr Bogun,

Herr Dr. Gysi bat mich Ihre Frage zu beantworten. Das Sparpaket der Bundesregierung ist, wie Sie schon sagen, sozial unausgeglichen. Allerdings ist das nicht neu. Wie unter anderem schon 1982, favorisiert die FDP beim Thema Einsparungen, diese wieder zuerst im Sozialbereich vorzunehmen. Genaue Daten, wo und wie gespart werden solle, können Sie u. a. der Internetseite des Bundesministeriums der Finanzen entnehmen:

http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_53848/sid_B9D848F746D630850871EB1AB93E6D8D/DE/Wirtschaft__und__Verwaltung/Finanz__und__Wirtschaftspolitik/Bundeshaushalt/20100607-solide-Finanzen-Anlage,property=publicationFile.pdf

Unter folgendem Link können Sie sehen, wie die jetzige Bundesregierung den öffentlichen Gesamthaushalt bis 2014 plant. Nach Angaben des Bundesministeriums der Finanzen, ist bis 2014 ein Finanzierungsdefizit vorgesehen. Das bedeutet, dass die Einnahmen stets kleiner als die Ausgaben geschätzt werden.

http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_53848/DE/Presse/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2010/07/20100715-anl,property=publicationFile.pdf

Für das Jahr 2014 sehen Sie dann zum Beispiel, dass für den Bund noch mit Mindereinnahmen in Höhe 24,5 Mrd. Euro gerechnet wird - für die Länder und Gemeinden sind es 2014 insgesamt 28 Mrd. Euro.

Zu Ihrer Frage:
Es existieren keine Berechnungen, die offenlegen, dass durch die neuerlichen Einschnitte genügend Rücklagen entstehen, um ohne weitere Verschuldung auszukommen, geschweige denn Schulden abzubauen. Die Einsparmaßnahmen führen nicht dazu, dass Deutschland die nächsten Jahre keine neuen Schulden machen muss (siehe obiger Absatz). Darüber hinaus sind solche Berechnungen in der Regel nicht möglich. Zum einen kann nur geschätzt werden, wie sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Steuereinnahmen des Staates entwickeln werden. Zum anderen existieren viele Einflussgrößen, die den weiteren Verlauf der Verschuldung beeinflussen können - beispielsweise der politische Wille für Steuergestaltung. Konkrete Berechnungen sind daher nicht möglich. Was ist langfristig für die Rückführung der Schulden notwendig? Das sind zum einen ein starkes Wirtschaftswachstum (BIP), zum anderen ausreichend hohe Steuereinnahmen. Während das BIP durch die Politik schwer beeinflussbar ist, kann sie im Bereich der Steuergestaltung ansetzen, um Einnahmen zu generieren, um damit letztendlich die Finanzierung des öffentlichen Gemeinwesens sowie den Schuldenrückbau zu gewährleisten. Ich möchte Sie hierbei auf eine interessante Studie der Hans-Böckler-Stiftung aufmerksam machen (6/2010 - 21. April). Als Ergebnis kam heraus, dass bei Verzicht auf Steuersenkungen mehr Steuereinnahmen und eine geringere Neuverschuldung die Folge gewesen wären. Eine weitere Studie des Institutes für Makroökonomik (IMK Report 49, Mai 2010)

http://www.google.de/url?sa=t&source=web&cd=1&ved=0CBYQFjAA&url=http%3A%2F%2Fwww.boeckler.de%2Fpdf%2Fp_imk_report_49_2010.pdf&rct=j&q=IMK%20Report%2049%2C%20Mai%202010&ei=Y0dJTNmKAZrfsAaj9tXmDQ&usg=AFQjCNFiq1zN1ACvONlzshklRqnd1kcJrg

zeigt sehr deutlich, wie viel Steuereinnahmen dem Staat seit 1998 aufgrund der zahlreichen Steuerrechtsänderungen entgangen sind, obwohl dadurch kein Wachstum, wie es von der Bundesregierung immer wieder propagiert wird, erzeugt wurde. Lediglich die Verschuldung von Bund, Länder und Kommunen nahm zu. Ohne diese Steuersenkungen bräuchten wir uns also heute nicht den Kopf zerbrechen, wie wir das öffentliche Gemeinwesen finanzieren können und ein Sparpaket stünde nicht zur Debatte. Die Bundesregierung sollte daher endlich dort die Steuern erhöhen, wo es verkraftbar ist, also unter anderem bei hohen und sehr hohen Einkommen sowie bei Konzernen. Denn die Menschen zu belasten, die ohnehin wenig finanziellen Spielraum und eine sehr hohe Konsumquote haben, ist kontraproduktiv für das Wirtschaftswachstum und obendrein sozial ungerecht. Daher muss u. a. endlich ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden. Dann könnten die Menschen auch wieder mehr konsumieren, die gesetzlichen Kassen würden ebenso gestärkt und man würde den Menschen Ihre Würde zurückgeben, die ihnen durch Niedriglöhne genommen worden ist.

Bezüglich der Verschuldung möchte ich Ihnen noch ein paar ergänzende Informationen geben.
Richtig ist, dass die Verschuldung Deutschlands bisher nie reduziert worden ist. Im Gegenteil, seit 1965 stiegen die Schulden des öffentlichen Gesamthaushaltes (Bund, Länder, Gemeinden/Gemeindeverbände) kontinuierlich an. Die Zinsausgaben und der Schuldenstand sind seit 1965 schneller gewachsen als das BIP. Dies bedeutet, dass das BIP und damit unter anderem die Einnahmen des Staates nicht ausreichten um die Schuldenlast zu finanzieren. Die Schulden des Bundes stiegen allerdings besonders stark. Eine wichtige Kennzahl zur Beurteilung der Schulden ist mitunter die Kreditfinanzierungsquote. Sie gibt Auskunft darüber, wie hoch der Anteil der Nettokreditaufnahme an den Gesamtausgaben ist (Bund). Wie auch schon zur Dotcom-Krise 2000/01 stieg sie in der Finanz- und Wirtschaftskrise sprunghaft an, jedoch stärker als 2000/01. Bereits in den 80er Jahren wies die damalige Deutsche Bundesbank darauf hin, dass den Konsolidierungsanstrengungen mehr Beachtung geschenkt, also die Verschuldung im Zuge der antizyklischen Politik in einer Boomphase zurückgeführt werden sollte. Dies wurde allerdings nicht berücksichtigt. Obwohl sich seit den 80er Jahren eine kritischere Einstellung zur Verschuldungsproblematik in der Wissenschaft, Politik und Gesellschaft etablierte und Konsolidierungsanstrengungen besonders von 1982 bis 1985 sichtbar wurden, stieg die Verschuldung weiterhin an. Geschuldet war dies vor allem der zunehmenden Arbeitslosigkeit sowie geringeren Steuereinnahmen.
Die derzeitige Verschuldung betrug nach dem Bund der Steuerzahler am 20.07.2010 (ungefähr 16 Uhr) rund 1.694.628.954.958 Euro. Ein Abbau dieser Verschuldung würde ein starkes Wirtschaftswachstum und eine vernünftige Steuergesetzgebung voraussetzen und das auf Jahrzehnte. Ein Abbau der Verschuldung ist nur möglich, wenn ein sogenannter Haushaltsüberschuss erzielt wird. Das bedeutet, dass die Staatseinnahmen abzüglich der um die Zinsausgaben reduzierten Ausgaben noch so hoch ausfallen, dass nach Zahlung der Zinsausgaben noch ein positiver Betrag übrig bleibt - der sogenannte Haushaltsüberschuss. Dieser Betrag sollte gemäß der antizyklischen Steuerungspolitik zum Schuldenabbau genutzt werden. Lediglich im Jahre 2000, im Zuge des Verkaufes der UMTS - Lizenzen wurde ein Haushaltsüberschuss erzielt.
Die neue im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verlangt, dass der Bund ab 2016 und die Länder ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen dürfen. Für den Bund gilt allerdings die Besonderheit, dass er trotzdem neue Schulden machen darf (strukturelle Verschuldung), und zwar in Höhe von 0,35 % des BIP. Daher bleibt abzuwarten, ob die nächsten Jahre tatsächlich mit dem Abbau der Verschuldung begonnen werden kann. Darüber hinaus ist die Höhe der Schulden nicht unbedingt aussagekräftig. Wichtig in diesem Zusammenhang sind eher die Erwartungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Das heißt, solange die Perspektiven gut sind, ist die Höhe der Verschuldung nicht gefährlich.

Ich hoffe Ihnen damit einen kleinen Überblick gegeben und Ihre Frage beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Barbara Höll

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