Frage an Gregor Gysi von Martin H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Gysi,
Nachdem den Afghanistan-Kriegsbefürwortern die positiven Argumente ausgehen, wird jetzt zunehmend negativ argumentiert, d.h. es werden Schreckensszenarien für den Fall entworfen, dass die NATO abzieht: Man sagt, der Brügerkrieg würde bei einem Machtvakuum erst recht entflammen, und die Taliban würden viele der Unterstützer der NATO-Truppen töten (z.B. Hasnain Kazim auf Spiegel Online, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,691945,00.html ).
Ich halte den NATO-Einsatz ebenso wie Sie für falsch, aber den Einwand für berechtigt: Tatsächlich wäre es schlimm, wenn die NATO ihre jetzigen Verbündeten in Afghanistan völlig im Stich ließe -- es ist in der Tat wahrscheinlich, dass eine große Anzahl von Afghanen das Land verlassen müssten, um ihr Leben zu retten (ähnlich wie nach dem Vietnamkrieg).
Ich habe deshalb zwei Fragen an Sie:
(1) Würden Sie sich dafür aussprechen, dass Deutschland mehrere hunderttausende afghanischer Flüchtlinge aufnehmen würde (denn um diese Größenordnung würde es sich sicher handeln; es ist insgesamt von mehreren Millionen Flüchtlingen auszugehen)?
(2) Warum fordert die Linke nicht, dass UNO-Friedenstruppen aus neutralen, am besten muslimischen Ländern (ich denke an Marokko, Bangladesh, Indonesien) das bedrohliche Machtvakuum in Afghanistan füllen? (Diese Möglichkeit spielt leider in der öffentlichen Diskussion keine Rolle; nur die Linke hätte die Chance, sie ins Spiel zu bringen.) Glauben Sie nicht, dass in Bürgerkriegssituationen ausländische Friedenstruppen, wenn sie als neutral wahrgenommen werden, eine wichtige stabilisierende Funktion haben können?
Mit bestem Dank und freundlichen Grüßen,
Ihr
Prof. Dr. Martin Haspelmath
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Haspelmath,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 5. Mai.
Ich glaube nicht an die Schreckensszenarien, die von bestimmten Leuten immer wieder aufgemacht werden. Aber selbstverständlich gäbe es Flüchtlinge und auch Deutschland müsste bereit sein, Flüchtlinge aufzunehmen. Andererseits stehen die Voraussetzungen gar nicht so schlecht, einen Waffenstillstand zu erreichen. Ein solcher bietet für die Bewohnerinnen und Bewohner mehr Schutz als der gegenwärtige Krieg. Wenn es einen Waffenstillstand gibt, dann kann es auch UNO-Friedenstruppen geben. Ich stimme Ihnen zu, dass man dabei durchaus an den Einsatz von Soldaten aus muslimischen Ländern denken sollte.
Mit freundlichen Grüßen
Dr.Gysi