Frage an Gregor Gysi von Theresa S. bezüglich Senioren
Sehr geehrter Herr Dr. Gregor Gysi,
mein Name ist Theresa Schöpfer. Ich besuche die 10. Klasse der Theodor-Heuss Realschule in Hockenheim (68766). In diesem Jahr halte ich eine Prüfung im Fach MUM (Mensch und Umwelt), bei der es sich um den Demografischen Wandel dreht. Hierzu starte ich eine Umfrage im Staatsbereich.
Zu diesem Thema möchte ich sie fragen:
1) Wie geht der Staat mit dem wachsenden Anteil der älteren Menschen um?
2) Bemerkt man den Wandel?
O sehr?
O ein wenig?
O kaum?
3) Was halten sie davon?
Ich würde mich sehr auf eine Antwort Ihrerseits freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Theresa Schöpfer
Liebe Theresa Schöpfer,
als rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE wurde ich von Gregor Gysi gebeten, Ihnen auf Ihre Anfrage über Abgeordnetenwatch zu antworten. Das tue ich sehr gerne.
Zu 1: Wie geht der Staat mit dem wachsenden Anteil an älteren Menschen um? All diese gesellschaftlichen Herausforderungen müssen meines Erachtens politisch so gestaltet werden, dass Alt und Jung nicht gegeneinander ausgespielt werden. Insofern hat der Staat hier eine hohe Verantwortung wahrzunehmen. Mit Rentenkürzungen für Junge und Ältere allerdings - wie z.B. durch die Rente erst ab 67 - wird diese Verantwortung mit Füßen getreten.
Zu 2: Bemerkt man den Wandel?
Ein wenig. Die bundesdeutsche Gesellschaft altert und wird immer weiblicher: Die Lebenserwartung steigt an und die Geburtenraten bewegen sich auf einem niedrigen Niveau. Der Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung steigt mit zunehmender Alterung. Regional sind dabei starke Unterschiede zu beobachten. Besonders in Ostdeutschland, aber auch in manchen westdeutschen Regionen sinkt seit Jahren die Bevölkerungszahl, zusätzlich verschärft durch die Abwanderung vor allem junger Arbeitskräfte in andere Bundesländer oder das Ausland. Diese demografischen Veränderungen stellen Herausforderungen an die Gestaltung der Gesellschaft auf vielen Gebieten dar. Unter anderem werden:
• dem Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren viele gut ausgebildete Fachkräfte fehlen,
• im Bereich personennahe Dienstleistungen neue Berufsbilder und Arbeitsplätze entstehen, weil der Bedarf qualitativ und quantitativ steigt,
• die Produkte der Wirtschaft auf die Konsumgewohnheiten, Fähigkeiten und Fertigkeiten Älterer, vor allem von Frauen, abgestimmt werden müssen,
• Gesundheitsleistungen und Pflege sich noch stärker auf die Bedürfnisse und Krankheiten immer älter werdender Menschen einstellen müssen,
• neue Ideen für die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme gebraucht.
Zu 3: Was halten Sie davon?
Der demographische Wandel ist keine unabwendbare Katastrophe, sondern ein politisch gestaltbarer Prozess. Die Gestaltungsspielräume hängen ganz entscheidend vom Produktivitätswachstum und der volkswirtschaftlichen Verteilung der Produktivitätsgewinne ab. Die anderen Parteien benutzen die demografische Entwicklung vor allem als Scheinargument für Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme, für die Privatisierung der Daseinsvorsorge, die Erhöhung des Renteneintrittsalters und eine massive Kampagne gegen Kinderlose. Die sozialpolitischen Risiken der demographischen Entwicklung wollen sie durch private Vorsorge bewältigen. Das erzeugt aber neue Ungleichheiten und Unsicherheiten. In den vergangenen Jahren sind die eingezahlten Beiträge in private Rentenfonds häufig in risikoreiche, spekulative Anlagen investiert worden und heute für die Einzahlenden verloren. Die Fraktion DIE LINKE ist der Überzeugung, dass die Folgen des demografischen Wandels solidarisch bewältigt werden können. Dazu muss sich die Lebens- und Verteilungsweise der Gesellschaft grundsätzlich ändern. Damit alle Generationen gleichermaßen eine Perspektive haben, ist eine Neuverteilung des gesellschaftlichen Reichtums notwendig und möglich. Dabei ist nicht die Umverteilung zwischen Jungen und Alten, sondern zwischen Oben und Unten entscheidend.
Meine Fraktion DIE LINKE fordert eine Politik, die Frauen und Männern eine sichere Perspektive für ein Leben mit Kindern bietet. Dazu gehören der Ausbau einer bedarfsgerechten Kindertagesbetreuung und die Gestaltung von familienfreundlichen Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen. Die Fraktion DIE LINKE fordert weiterhin eine Politik, die den älter Werdenden gute Renten und eine altersgerechte Gestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche garantiert. Dazu gehören:
• eine aktive Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik als zentralem Ansatzpunkt der Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme,
• eine altersgerechte Gestaltung der Arbeitswelt,
• Investitionen in personennahe Dienstleistungen,
• der qualitative und quantitative Ausbau der Pflege,
• den Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer solidarischen finanzierten Erwerbstätigenversicherung,
• die Erweiterung sozialer und kultureller Dienstleistungen sowie eine Stadtgestaltung, die die Mobilität der Älteren unterstützt, ihnen den Zugang zu allen Angeboten gestattet, Familien und Jugendlichen Raum gibt und das Miteinander der Generationen ermöglicht,
• eine Stärkung öffentlicher Dienste, die allen Generationen gerecht werden und allen Menschen ohne Einschränkung zugänglich sind.
Ich hoffe, dass Sie eine große Resonanz auf Ihre Umfrage erfahren und darf Ihnen viel Glück für die dann anstehende Prüfung wünschen.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias W. Birkwald