Frage an Gregor Gysi von Ingo M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Dr. Gysi,
da die Ihre Antwort zu meiner Frage vom 20.09.2009 nicht sehr konkret war, möchte ich sie erneut stellen:
Warum sollten Ihrer Meinung nach die Taliban nach Abzug der ISAF aus Afghanistan den zivilen Aufbau (ohne militärischen Schutz), der sicherlich nicht ihrer fundamentalistischen Weltanschauung entspricht, einfach zulassen und nicht versuchen, mit Gewalt erneut die Macht zu erringen? Gehen Sie davon aus, dass die Taliban nach Abzug der ausländischen Truppen nur noch friedfertige Mittel anwenden, um Ihre Sicht des Islam zu verbreiten?
In Bezug auf Ihre Antwort:
Wie wollen Sie die erwähnte Mehrheit von Afghanen, die keine Talibanherrschaft wollen, in jeder Hinsicht unterstützen? Halten Sie hierbei auch Mittel der Gewalt für akzeptabel?
Wie kann Ihrer Meinung nach ohne den Einsatz militärischer Gewalt die erwähnte Rückkehr vieler Taliban aus Pakistan verhindert werden?
Warum sind Sie der Ansicht, das der bisherige Aufbau in den letzten acht Jahren ausreichend war (genau das impliziert Ihre Antwort), um nun Demokratie und die Beachtung der Menschenrechte in dem Land sicherzustellen?
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin nicht der Ansicht, dass das Problem Taliban auf lange Sicht militärisch gelöst werden kann. Was „Selbstbefreiung des Volkes“ anbelangt, so ist das zwar ein wohlklingendes Schlagwort, nur funktioniert das nicht, wenn auf der anderen Seite gut ausgerüstete und zu allem bereite Gruppierungen stehen, siehe Iran.
Dass Sie die Durchsetzung von Menschenrechten durch die Bundeswehr für falsch erachten erstaunt mich doch sehr. Auch wenn es nur in einem kleinen Rahmen geschehen mag, so ist es doch eine ehrenwerte Tat.
Wie können wir aktuell hierzulande mehr Zivilcourage fordern und was weiter weg ist interessiert uns nicht oder ist nicht unsere Aufgabe?
Zurück zu meiner Frage und den Fragen zu Ihrer letzten Antwort – die stehen ganz oben und konkrete Punkte dazu sind erwünscht.
Vielen Dank!
Ingo Merck
Sehr geehrter Herr Merck,
Ihre weiteren Fragen haben mich ebenfalls erreicht. Es gibt so viele Staaten, in denen Menschenrechte verletzt werden, dass es mich doch wundert, dass Sie ernsthaft meinen, die Bundeswehr könnte militärisch die Menschenrechte durchsetzen. In wie viele Staaten müsste die Bundeswehr dann noch einmarschieren? Glauben Sie wirklich, dass mit Geschützen, Panzern und Bomben sich Menschenrechte in einem Land durchsetzen lassen?
Wenn eine Diktatur entsteht ist selbstverständlich eine Bevölkerung berechtigt, auch mit Gewalt die Diktatur zu beseitigen. Auch das kann ein Akt der "Selbstbefreiung" sein. Leider ist es nur so, dass die meisten westlichen Regierungen auch die diktatorisch strukturierten Staaten unterstützt. Mit der Talibanregierung haben die USA und andere Länder wegen einer Erdgasleitung verhandelt. Die Frauenrechte spielten dabei keine Rolle. Wenn sich die so genannte internationale Gemeinschaft darauf einließe, regelmäßig nicht die Regierungen, sondern nur jene Kräfte zu unterstützen, die die Diktatur beseitigen wollen, wären wir viele Schritte weiter auf unserer Erde.
In Bezug auf Afghanistan hätte ich also nichts dagegen, dass man die Kräfte bewaffnet, die sich gegen eine Diktator der Talibanherrschaft stellen. Ich bleibe aber dabei, dass das mit Militär von außen nicht zu gewährleisten ist. Der amerikanische Chef der ISAF-Truppen hat gerade in der Süddeutschen Zeitung erklärt, dass dann, wenn sie zwei Taliban töten, acht neue entstehen. Das Ergebnis ist also nicht weniger, sondern mehr Terrorismus. Schon daran scheitert für mich moralisch der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Hätten wir das Geld, das wir diesbezüglich für die Bundeswehr ausgeben, für den zivilen Aufbau eingesetzt, und zwar nicht nur in Afghanistan, hätten wir mehr als eine Million Menschenleben retten können.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi