Frage an Gregor Amann von Oliver N. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Lieber Gregor,
zunächst einige Worte an die hier Mitlesenden: Ich kenne Gregor Amann seit mehreren Jahren, da ich Mitglied der Frankfurter SPD war. Inzwischen bin ich in der Wahlalternative Frankfurt im Kreisvorstand und Mitglied des Wahlkampsfteams seines Kontrahenten Hans-Joachim Viehl. Dies um der Fairness willen vorab, damit der geneigte Leser Frage und Antwort einordnen kann.
Nun zu Fragen:
1. Du schreibst und vertrittst, dass die Schröderschen Reformen unabdingbar waren und sind um die Sozialsysteme zukunftsfähig zu machen. Da schließen sich direkt drei Fragen an: Ist also unter einer SPD-geführten Regierung Hartz V - VI ausgeschlossen, da jetzt die notwendigen Schritte unternommen wuren? Wie würdest Du Dich bei Abstimmungen zu diesem Thema verhalten - hast Du als Stadtverordneter je gegen die Fraktionsdisziplin verstossen, wenn Du etwas für falsch gehalten hast? Was sagst Du Menschen, wie Hajo Viehl, die über dreißig Jahre gebuckelt haben und von dieser Regierung MAXIMAL 345 € erhalten und als Pförtner jobben dürfen?
Letzte Frage: Du betonst überall, dass Alle die "links denken" und sozial eingestellt sind" nicht meinem Freund Hajo Ihre Stimme geben sollen, sondern Dir. Dir ist aber schon bewußt, dass sich die WASG gerade gegründet hat, weil eben die SPD-Politik nicht sozial und schon gar nicht links oder progressiv ist? Außer dem formalen Argument, welches sicher zu diskutieren wäre, fehlt mir eine politische Antwort, warum an Dich und nicht Hajo Viehl wählen sollte. Bisher hast Du kein Argument genannt, dass zwingend erforderlich macht, dass Dich WASG/Linke-Mitglieder und Symphatisanten wählen sollten - wir Idioten legen nämlich Wert auf INHALTE!
Lieber Oliver,
das ist nun eine echte Herausforderung: Ich soll ein (von der SPD enttäuschtes) Mitglied der Wahlalternative davon überzeugen, mir (dem SPD-Kandidaten) die Erststimme zu geben! Das dürfte ungefähr so einfach sein, wie einen Vegetarier davon zu überzeugen, der Fleischerinnung beizutreten. Aber ich will es mal versuchen!
Zuerst aber zu Deinen Fragen:
1) Ob ich Hartz V – VI für ausgeschlossen halte? Ich gehe einmal davon aus, dass „Hartz V – VI“ hier als Synonym für „weitere soziale Einschnitte“ steht, richtig?
Zuerst einmal ist es falsch, zu behaupten, die ganze Hartz-Reform bestünde nur aus sozialer Härte. Auf der einen Seite gibt es natürlich Verschlechterungen zum Status quo vor Hartz, aber es gibt auch Verbesserungen, z.B. sind Alg II-Empfänger sozialversichert (Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung); Sozialhilfeempfänger waren dies in der Vergangenheit nicht. Sozialhilfeempfänger haben jetzt, im Gegensatz zu früher, Anspruch auf Arbeitsförderungsleistungen (wie z.B. Weiterbildungs- oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) des Arbeitsamtes (heute: Bundesagentur für Arbeit). Über diese Verbesserungen wird in der Öffentlichkeit seltsamerweise überhaupt nicht geredet. Vor allem aber: zentrales Ziel von Hartz IV ist eine schnellere und effektivere Vermittlung in Arbeit, indem die Zahl der zu bearbeitenden „Fälle“ pro Vermittler stark verringert wird. Was ist daran falsch oder ungerecht?
Jetzt sollte man erst einmal beobachten, ob die durchgeführten Reformen Wirkungen zeigen oder nicht. Falls nicht, muss man natürlich darüber nachdenken, was noch getan werden muss oder kann. Sich da heute schon Denkverbote aufzuerlegen, halte ich für falsch. Ihr tut immer so, als sei das oberste Ziel der Hartz-Reformen, Menschen zu quälen, dabei ist das oberste Ziel, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Und das ist der Maßstab auch für mögliche weitere Reformen in der Zukunft.
2) Habe ich als Stadtverordneter je gegen die Fraktionsdisziplin verstoßen, wenn ich eine Entscheidung für falsch hielt? Nein, denn ich halte es für richtig, dass Fraktionen einheitlich abstimmen, nachdem sie eine gemeinsame Linie beschlossen haben. Natürlich muss vorher jeder Abgeordnete die Möglichkeit haben, in einer gemeinsamen Diskussion seine Fraktionskollegen/innen von seiner eigenen Meinung zu überzeugen! Aber wenn nach ausführlicher Diskussion eine gemeinsame Linie beschlossen wird, erwarte ich von allen, dass sie sich dann daran halten. Ausnahmen kann es m.E. nur bei sehr schwer wiegenden Gewissensentscheidungen geben. Solche gibt es aber auf Stadtverordnetenebene nicht (zumindest gab es noch keine in der Zeit, in der ich Stadtverordneter bin).
Als Bundestagsabgeordneter würde ich gegebenenfalls sehr wohl auch gegen die eigene Fraktion stimmen, wenn es um Entscheidungen über Leben und Tod geht, wie beispielsweise bei der Entscheidung über den Einsatz von militärischer Gewalt. Aber zuerst würde ich versuchen, eine Mehrheit der Fraktion von meinen Argumenten zu überzeugen.
3) Zur Frage der 345 Euro: kein Hartz IV-Empfänger muss wirklich nur mit 345 Euro auskommen. Du verbreitest hier, wissentlich oder unwissentlich, die Unwahrheit! 345 Euro ist die Grundleistung für einen Alleinstehenden, dazu wird aber noch die (ortsübliche) Miete und Heizkosten bezahlt. Außerdem erhalten Partner und Kinder ebenfalls Leistungen und es besteht die Möglichkeit eines Zuverdienstes. Natürlich kenne ich die persönlichen Umstände von Hajo Viehl nicht, aber nach seinen eigenen Aussagen ist er verheiratet und hat einen 1-Euro-Job. Damit ist klar, er muß nicht von 345 Euro leben, wie Du behauptest! Konkretes Beispiel: ein Ehepaar mit einem Kind kommt mit Alg II (ohne 1€-Job) auf ca. 1300 Euro im Monat. Natürlich ist das nicht viel Geld, aber noch schlimmer ist doch, dass es Menschen gibt, deren Nettoverdienst bei einem Vollzeitjob nicht viel höher ist! Erst wenn wir gemeinsam Mindestlöhne durchgesetzt haben (und dafür bin ich!), die deutlich über diesem Niveau liegen, können wir das Arbeitslosengeld II ebenfalls anheben.
Jetzt aber zu der Frage, warum ein Linkspartei-Wähler mir seine Erststimme
geben sollte:
Unser Wahlsystem ist nun einmal so, dass bei der Erststimme nur ein Kandidat gewinnt und alle anderen Stimmen wirkungslos sind. Also haben bei der Erststimme nur die Kandidaten der beiden größten Parteien eine reale Chance. Im Wahlkreis 183 sind das CDU und SPD. Oder glaubst Du wirklich, die Linkspartei wird in diesem Wahlkreis ein Ergebnis erzielen, das in der Größenordnung von CDU und SPD liegen wird? Wenn Du das glaubst, dann ist es auch konsequent, auch die Erststimme Eurem Kandidaten zu geben. Aber jetzt mal ganz ehrlich: realistisch ist doch viel mehr, dass Ihr (in diesem Wahlkreis) nur ein einstelliges und kein zweistelliges Ergebnis erreichen werdet. Wenn dies so ist, dann wird das Rennen bei den Erststimmen (ob es Euch nun passt oder nicht) zwischen dem CDU-Kandidaten und mir entschieden werden.
Ich stehe für:
keine weitere Lockerung des Kündigungsschutzes, keine Aushöhlung der Tarifautonomie, keine Einschränkung der Mitbestimmung, keine Besteuerung von Schichtzulagen, keine Kürzung der Auszubildendenvergütung, keine Erhöhung der Mehrwertsteuer, für eine 3%ige Zusatzsteuer für hohe Einkommen, für verstärkte Investitionen in Bildung und Forschung, für den Ausstieg aus der Atomenergie, für eine Einführung der Bürgerversicherung, keine Studiengebühren und für die volle und gleichberechtigte Integration von Homosexuellen und Migranten.
Mein Konkurrent von der CDU steht in den meisten dieser Punkte für das genaue Gegenteil, laut seinen eigenen Aussagen auf seiner Homepage oder nach den Aussagen des CDU-Wahlprogramms.
Aus diesem Grund würde ich es für logisch halten, dass bei der Wahl zwischen mir und dem CDU-Direktkandidaten auch ein Linkspartei-Wähler mir (aus inhaltlichen Gründen!) seine Erststimme gibt und sich somit für das „kleinere Übel“ entscheidet. Wer sich allerdings nicht auf die Logik des kleineren Übels einlassen möchte, kann natürlich seine Erststimme auch Eurem Kandidaten geben. Diese verpufft dann völlig wirkungslos (denn er wird die Mehrheit nicht schaffen) und erhöht die Wahlchancen des CDU-Kandidaten. Ihr habt die Wahl!
Mit sozialdemokratischen Grüßen,
gregor